Durch die Gesellschaft geht zum Teil ein Raunen. „Warum soll ich daheim bleiben, ich bin ja gar nicht krank!?“ – so oder ähnlich lauten die unsensiblen Aussagen teilweise, die ich auf sozialen Medien und bei unreflektierten Menschen wahrnehme. Wichtiger erscheint es diesem Personenkreis, sich stattdessen weiter auf Instagram in Szene zu setzen, auf jede erdenkliche Weise ihren vermeintlichen Mut zur Schau zu stellen und die Gefahr zu verharmlosen, die vom Virus ausgeht. Aber dazu habe ich nur eines zu sagen:
Panik ist überhaupt nicht angebracht. Es braucht „nur“ die Zusammenarbeit aller in unserer Gesellschaft. Doch Freiwilligkeit funktioniert leider aufgrund diverser Egoismen nur in den seltensten Fällen wirklich. Das beginnt zum Teil schon bei Kleinigkeiten. Es reicht von simplen Dingen, wie sich in einer Schlange nicht vorzudrängeln, weil man nicht warten möchte, bis hin zu großen, globalen Herausforderungen, wie beispielsweise die eigene Partizipation im Kampf gegen den Klimawandel.
In diesem Fall sprechen sich aber die Politiker aller Richtungen geschlossen für die aktive Mithilfe der gesamten Bevölkerung aus – was ich auch wieder traurig finde, dass es jetzt plötzlich funktioniert und nicht auch schon bei anderen Themen. Im Falle Corona befindet sich das Problem nämlich schon inmitten unserer Gesellschaft und ist längst nicht mehr abwendbar, sondern nur eindämmbar. Es geht jetzt und sofort um Gesundheit und um Menschenleben – das tut es zwar bei Flüchtlingen auch, aber ich kann nicht für alles zugleich sensibilisieren – und diese gilt es zu schützen; nicht euren temporär verlorenen, ach so geilen Lifestyle.
Wir haben eine Erkrankungsrate von 0,0001 Prozent der Bevölkerung. Also ich würde gerne einfach auftreten am Wochenende…
— Dieter Nuhr (@dieternuhr) March 10, 2020
Stay The Fuck Home
Irgendwo zwischen Panik und Verharmlosung liegt die gesunde Mitte. Vorsicht, Sensibilität für das Thema und Solidarität für die schwächeren und älteren Mitmenschen – das wäre angebracht. Auf der einen Seite kaufen Leute die letzten Klopapierrollen, weil sie sich offensichtlich ansch***en – entschuldigt die Wortwahl -, stehlen Atemschutzmasken und Desinfektionsmittel aus Kliniken, die Leben retten sollen, und auf der anderen Seite gibt es die Spezialisten, die sich absolut cool geben und seit neuestem allesamt einen Abschluss in Virologie haben. „Ach, die Grippe ist ja auch nicht so schlimm.“ Aber die Tatsache, dass jährlich 650.000 Menschen durch das Influenzavirus ums Leben kommen, ist euch hoffentlich eh bekannt. Warum also die Ausbreitung eines zweiten Killers fördern?
Als es noch weit weg war, konnten wir vollkommen gelassen zusehen. Je näher uns das Coronavirus kam, umso mehr sahen wir auch die ersten großen Herausforderungen. Von vielen wurde der „spontane“ Krankenhausbau in China vorerst belächelt und jetzt steht unser Nachbarland Italien vor einer Herausforderung, die auch uns treffen könnte, wenn wir weiter egoistisch handeln.
If you only learn one thing about #COVID19 today make it this: everyone’s job is to help FLATTEN THE CURVE. With thanks to @XTOTL & @TheSpinoffTV for the awesome GIF. Please share far & wide. pic.twitter.com/O7xlBGAiZY
— Dr Siouxsie Wiles (@SiouxsieW) March 8, 2020
Das Problem an Corona ist, dass es keine ausgebrochene Krankheit braucht, um übertragen zu werden. Das heißt, ihr könnt euch vollkommen gesund fühlen, aber vielleicht schuld daran sein, dass eure alte Nachbarin ein paar Tage später mit einer schweren Lungenentzündung im Krankenhaus liegt und womöglich stirbt. Das Gesundheitssystem muss im Worst Case in der Lebensrettung Prioritäten setzen, wenn zu viele Menschen auf einmal erkrankt sind und – wie im Beispiel Italien – nicht genug Beatmungsgeräte an den Stationen verfügbar sind.
Sie stirbt dann womöglich, weil ihr es nicht ausgehalten habt, freiwillig auf etwas zu verzichten. Ihr müsst nicht einmal für immer Verzicht üben, sondern euch einfach für ein Weilchen auf das Minimum beschränken. Das Minimum ist, in Zeiten der Digitalisierung – wo ihr den meisten Kontakt mit euren „Freunden“ wahrscheinlich nur über soziale Medien habt – der einfachen Aufgabe nachzugehen, mal nicht quer durch die Stadt zu wandern und zu zeigen, wo ihr überall euren Aperol genossen habt und bei welchen schicken Designerboutiquen ihr vorbeigekommen seid. Die Geschäfte und den Aperol gibt’s auch in ein paar Wochen noch – und wisst ihr was, wahrscheinlich auch noch in 10 Jahren.
Das Problem wiederum am egoistischen Verhalten ist, dass es – abgesehen von der erhöhten Ansteckungsgefahr – womöglich schlimmere Gegenmaßnahmen nach sich ziehen könnte und davon wären auch Menschen, die sich an die aktuellen Maßnahmen halten, ebenso betroffen. Damit macht ihr euch nicht unbedingt beliebt! Denn sollte das Eindämmen nicht auf Basis der Freiwilligkeit funktionieren, werden sich die Verantwortlichen vermutlich gezwungen sehen, ihre Gegenmaßnahmen zu konkretisieren. Das kann im schlimmsten Fall auch temporäre Ausgangssperren bedeuten, wenn das die letzte Möglichkeit ist, um Leben zu retten und eine Überfüllung unserer Krankenhäuser zu verhindern.
Denn – wie du vielleicht schon weißt – es geht nicht nur um dich und deine Gesundheit, sondern vor allem um jene, die das Virus vollkommen niederraffen kann; mit dem Tod als Resultat.
Also hört auf, eure vollkommen wertlosen Instagram- Stories mit Boutiquen und Aperolspritzern in gut besuchten Lokalen zu füllen, begebt euch nach Hause, bleibt im Idealfall auch größtenteils dort und trinkt einen Quarintini (Anm. d. Red.: ein Martini in Quarantäne) – den Trend könnt ihr eh auch gern in eurem Social Media breittreten. Und zudem folgt ihr dann mit #StayTheFuckHome auch mal einem Social Media Trend, der wirklich Sinn macht.
Titelbild Credits: Shutterstock
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