In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich wirtschaftlich und geopolitisch so einiges getan. Die Volksrepublik China ist zum Big Player aufgestiegen und kämpft mit den USA um die globale Vormachtstellung (in welchem Bereich auch immer). Und Europa? Zwei gerade im C.H. Beck Verlag erschienene Bücher zeichnen ein ernüchterndes Bild dieser ökonomisch-ideologischen menage a troi.
Zwei Perspektiven: ein und dasselbe Problem
Selten ergänzen sich zwei voneinander unabhängige Publikationen so treffend wie Christian Geinitz‘ „Chinas Griff nach dem Westen“ und Josef Bramls „Die transatlantische Illusion“. Was uns von WARDA dazu bewegt hat, beide Bücher zusammen, anstatt nur eines allein unter die Lupe zu nehmen.
Das Erste widmet sich – (außerordentlich!) ausführlich – Chinas Versuchen, sich in die westliche Wirtschaft einzukaufen. Denn mit Milliardenbeträgen kaufen sich chinesische Investoren (unter der Schirmherrschaft der Kommunistischen Partei und unter strengem Blick des chinesischen Staatschefs Xi Jinping) in europäische Unternehmen ein. Besonders beliebt sind deutsche Marken aus dem Segment „Hidden Champions“, sprich: den stillen Helden der Nischenmärkte, die oft nur Insidern ein Begriff sind.
Chinas Ziel ist jedoch nicht mehr wie früher eine innovative Technik einfach nur (mehr schlecht als recht) zu kopieren und zu Schleuderpreisen zu verhökern. Mittlerweile denkt man um. Und seit einigen Jahren geht es vielmehr um den Zugang zu technischem, organisatorischem und kaufmännischem Wissen. Dieser Ansatz soll helfen, Chinas Wirtschaft im Ganzen zu modernisieren. Heißt vor allem, dass man mittlerweile strategisch agiert anstatt nur auf die Anforderungen des Marktes zu reagieren.
Going-Out: Expansion mit System
Eine Entwicklung, die sich dabei schon früh angedeutet hat. Denn schon in den 1960er Jahren wurde in China darüber diskutiert, dass individuelles Gewinnstreben und individueller Wohlstand kein Privileg des Kapitalismus sind, sondern sich in den Sozialismus einfügen lassen. (Die kunstvolle Dehnbarkeit bestimmter Begriffe kommt somit nicht erst in unserer Gegenwart zu Anwendung.)
Chinas Rosinenpickerei
Hat man Chinas Einverleibung der Schwellen- und Entwicklungsländer in Afrika und Asien vor ein paar Jahren noch zur Kenntnis genommen, so zeigt man sich nun plötzlich besorgt. Vor allem, da China nur noch in entwickelte Volkswirtschaften investieren will (allem voran Deutschland!), um sich deren Technologie zu eigen zu machen, Knowhow anzueignen und schlussendlich den Weltmarkt zu bestimmen und zu beherrschen. Zu Chinas Bedingungen natürlich.
Christian Geinitz „Chinas Griff nach dem Westen“ ist, was das betrifft, vor allem eine Art modernes Nachschlagewerk, eine profunde und tiefreichende Auflistung einer Vielzahl an chinesischer Unternehmensübernahmen in Schlüsselbranchen, die in den letzten Jahren (oft im Stillen) über die Bühne gegangen sind. Der Wirtschaftsredakteur der FAZ nimmt uns in seinem Buch mit auf eine „Reise“, die mit jeder umgeschlagenen Seite, immer mehr zu einem Alptraum wird. Strategisch klug, nutzt China bei seiner Einkaufstour nämlich Krisen oft für seine eigenen Interessen.
Wie man von Krisen profitiert
Bestes Beispiel Portugal. Geschwächt durch eine Schuldenkrise, war der EU-Mitgliedsstaat dazu gezwungen Staatsbeteiligungen zu veräußern. Als Gegenleistung dafür gab es ein 78 Milliarden Euro schweres Hilfspaket der EU und des Weltwährungsfonds. Die Chinesen waren da natürlich sofort zur Stelle, boten angeblich 200 Millionen Euro mehr als die deutsche Konkurrenz und sicherten sich schlussendlich den Zugriff auf einen der größten Energieversorger Europas, welcher auch bei erneuerbaren Energien ganz vorn mit dabei ist, berichtet Geinitz in seinem Buch.
Leichtes Spiel für China?
Ein Einzelfall? Natürlich nicht! Vor allem Chinas ambitioniertes „Seidenstraße-Projekt“, das immer mehr Kooperationspartner gewinnt, wird den Welthandel wie wir ihn kennen, gravierend verändern. Wobei europäische Unternehmen und Länder auch von sich aus bei China anklopfen, weil sie natürlich Teil dieser „Entwicklungsachse“ werden wollen. So auch Portugal.
Im dortigen Sines „bietet ein bedeutender Tiefwasserhafen Zugang zum Atlantik, hier werden vor allem Öl und Erdgas umgeschlagen, in der Nähe liegen wichtige Raffinerien und Treibstofflager.“, erläutert Geinitz. 2019 hieß es noch, dass mit Chinas Hilfe (640 Millionen Dollar) ein zweiter Terminal entstehen könnte. (Möglicher Name: „Vasco da Gama“). „Diesen Vorstellungen nach soll Sines als Knotenpunkt fungieren, um den westlichen Punkt des eurasischen Schienennetzes mit der Maritimen Seidenstraße im Atlantik zu verbinden.“
USA vs. China – zwei Mächte teilen sich die Welt
Doch daraus wurde bisher nichts. Warum? Das Sines-Projekt war den USA ein Dorn im Auge. Denn für die Amerikaner bildet die Südwestspitze Europas einen Ausgangspunkt nach Nordamerika und weist Richtung Panama-Kanal, liegt also im US-Interessensgebiet.
Während sich USA und China praktisch die Welt aufteilen, bleibt man selbst nur stille:r Zuseher:in. Und das muss sich so schnell wie möglich ändern, so Braml, ein bekannter USA-Experte und Generalsekretär der Deutschen Gruppe der Trilateralen Kommission – einer einflussreichen globalen Plattform für den Dialog zwischen Amerika, Europa und Asien.
Die einstige „Illusion“, die USA wären die Schutzmacht, welche für die Sicherheit und den Wohlstand der Alten Welt sorgt, ist nämlich genau das: ein Trugbild. Denn wie die Geschichte zeigt und Braml in seinem Buch darlegt, steckt auch hinter den Aktionen der USA bloßes Kalkül, welche moralische Ziele vorgeben, im Kern jedoch realpolitisch motiviert sind.
Bei all dem vermeintlichen Bemühen der Amerikaner um „Werte“, auch im weißen Haus strebt man nach Macht und im gewissen Sinne genauso nach der Weltherschafft wie China oder der Brain mit seinem Pinky.
Lehrstunde im Vertreten von Interessen
Während China und USA ihre wirtschaftlichen und geopolitischen Interessen knallhart vertreten, geht es der EU, wie Braml feststellt, hauptsächlich um Werte. Das skurrile dabei ist, dass diese Werte selbstverständlich gut sind. Doch, wie wiederum Geinitz in seinem Buch zeigt, wenden sich vor allem die osteuropäischen Länder immer mehr von der EU ab und biedern sich China geradezu an, eben weil sie sich von diesen höheren Werten „gedemütigt“, „gegängelt“ und „ausgeschlossen“ fühlen.
China als Investor kümmert sich herzlich wenig um die gegenwärtige politische Lage der Länder, in die es investiert und denen es Kooperation in Aussicht stellt. Ein Wettbewerbsvorteil. Leider. Während man für Geld aus der EU noch bestimmte Auflagen erfüllen muss (Menschenrechte, Pressefreiheit, Demokratie, usw.), kümmert es China überhaupt nicht, was in dem jeweiligen Land passiert.
Ungeniert kooperiert man z.B. mit afrikanischen Gangsterstaaten, schmiert dort irgendwelche Diktatoren und reißt sich das an Bodenschätzen reiche Land unter den Nagel. Die USA, den westlichen Werten mehr verpflichtet als China, gehen nicht ganz so hart vor. Wobei das Chaos, welches die Amerikaner angerichtet haben (vgl. Iran, Irak, Afghanistan usw.), nicht minder problematisch ist.
Fazit
Fazit dieser beiden lesenswerten Bücher ist, könnte man sagen, der Apell an Europa: nicht mehr nur Zuseher zu bleiben, sondern endlich aktiv zu werden. Und das natürlich ohne die Werte, die Europa hat, zu verraten. Ein geradezu unmögliches Unterfangen.
Denn wie Geinitz feststellt, haben nicht alle Länder Interesse an hohen Umwelt-, Klima-, Sozial- oder Arbeitsstandards. Auch die Aussicht auf Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Korruptionsbekämpfung wirkt auf viele Staaten oftmals eher abstoßend als verlockend.
Doch solange China eine (wertfreie) Alternative ohne große moralische Kompromisse und finanzielle Abstriche anbietet, ist die Verlockung geradezu enorm, eher dem chinesischen Kalkül des Geldes als dem europäischen Modell der hohen Werte zu folgen. Man darf gespannt sein, in welche Richtung sich die Welt diesbezüglich noch so entwickeln wird.
Titelbilbild © Shutterstock
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