Wie selten ein Künstler oder eine Künstlerin vor ihm zeichnet sich der chinesische Kunstschaffende Ai Weiwei durch einen unaufhaltsamen politischen Aktivismus aus, der sich nicht nur durch seine Werke zieht. Sondern diese auch begründet; mit diesen verwoben, mit diesen eins ist. Seine Kunst ist eine Kunst, die zu gleichen Teilen auch Protest und Widerstand ist. Nun hat der Weltstar seine Autobiographie veröffentlicht. Wir haben sie uns durchgelesen.
Ai Weiwei – eine Autobiographie als politisches Statement
„1000 Jahre Freud und Leid“ nennt sich Ai Weiweis kürzlich erschienene Autobiographie und schafft es, wie der Künstler mit seinem Werk selbst, innovativer zu sein als die meisten anderen Autobiographien. Untypisch ist vor allem, dass Ai Weiwei sein Buch mit dem Leben seines Vaters beginnen lässt, welches dabei knapp die Hälfte des Buches für sich in Anspruch nimmt.
Denn erst ab der Mitte des Werkes geht es mehr oder weniger um den Künstler selbst. Wobei es nie wirklich nur um Ai Weiwei geht. Denn sein Leben ist gewissermaßen eine Wanderung durch die skurrile Landschaft eines chinesischen Regimes, die Tiefe Einblicke in einen politischen Irrsinn gewährt, der mit einem absurden Theaterstück vergleichbar ist.
Vater und Sohn – Kreuzungspunkt zweier Widerstandskämpfer
Dass diese beiden Biographien von ihrer Struktur her tiefe Parallelen aufweisen, liegt daran, dass Vater und Sohn zu gleichermaßen Staatsfeinde waren bzw. Ai Weiwei immer noch einer ist. Inhaftiert und gedemütigt, jedoch unnachgiebig in ihrem Kampf für Gerechtigkeit, flammt in beiden das Feuer des Widerstandes.
Zu Beginn seines Schaffens noch angesehener Dichter, wird Ai Qing – Weiweis Vater – zunehmend zum Systemkritiker. Was er mit einer 20-jährigen Verbannung zu „bezahlen“ hatte. Wie viele „Rechtsabweichler“ vor ihm, wurde also auch Weiweis Vater „zur Umformung der Gedanken an einen der unwirtlichsten Orte des Landes verbannt.“ An seiner Seite: Ai Weiwei.
Sie lebten zusammen in einem Erdloch und der Vater wurde zu Arbeit verdonnert, wobei er ganz alleine Sträucher schneiden musste. Eine Tätigkeit, die alleine seiner öffentlich ritualisierten Erniedrigung dienen sollte. Anstatt daran zu zerbrechen, keimte jedoch so etwas wie die Saat des Widerstands im Sohn auf. Die zugegeben nur langsam reifte. Aber vielleicht gerade deshalb später (und heute) nur umso unnachgiebiger und nachhaltiger wirkt.
Ai Weiweis Leben in New York und Rückkehr nach China
Denn zuerst will Ai Weiwei einfach nur weg, gar nichts mehr mit China zu tun haben und nie mehr wieder dorthin zurückkehren. Fluchtstation ist dabei, wie für viele Chinesen, New York. Dort musste sich der heutige Weltstar mit etlichen Gelegenheitsjobs über Wasser halten. Doch das zähe Leben dort bot ihm dennoch die Gelegenheit in die schillernde Kunstwelt der 1980er einzutauchen. So knüpfte Weiwei viele Kontakte, blieb als Künstler jedoch extrem unerfolgreich.
Der New Yorker Kunstszene, vor allem ihrer neoliberalen Ausprägung und der Transformierung von Kunst zu einem Spekulationsobjekt überdrüssig, kehrte er Anfang der 1990er nach China zurück. In China bezeugte er „ein Austrocknen des geistigen Lebens und den Verlust der Fähigkeit, Ereignisse so zu erzählen, wie sie wirklich geschehen waren.“ Eine Beobachtung, die er schon recht früh gemacht hatte, aber erst später darüber nachzudenken begann.
© Penguinverlag
Doch der Aktivist weiß sich zu wehren. Aber nicht nur das. Er reagiert vor allem in Form seiner künstlerischen Interventionen auf diese ideologisch verseuchten Lesarten der Wirklichkeit, welche das Regime überall zu verbreiten vermag.
Ein differenziertes Bild Chinas
Eine der Stärken des Buches ist es jedoch, ein durchaus differenziertes Bild Chinas zu zeichnen. Denn was vermutlich viele im Westen nicht wissen – wie sollten sie denn auch, wo der Chinesische Staat doch alle Medien kontrolliert und nichts von seinen Eskapaden nach außen dringen lässt –, gibt es in China selbst durchaus Widerstand gegen das Regime und auch Proteste gegen die Regierung.
Vor allem die chinesische Kunstszene ist geprägt von Kampf und Widerstand gegen die unbarmherzige Ideologie des Staatsapparats. Und so gewährt uns Weiwei einen interessanten Einblick in sein eigenes Schaffen, aber auch in das Werk einiger seiner Kollegen.
Die erweiterten Hintergrundinformationen zu vielen seiner eigenen Werke sind definitiv ein Highlight seiner Autobiographie. Aber auch die tiefe Einsicht in die Praktiken des chinesischen Regimes geben einen Einblick, wie absurd ein Leben dort sein kann – vor allem, wenn man sich nicht anzupassen gedenkt.
Ai Weiwei – 81 Tage in Isolationshaft
Auch seine eigene Inhaftierung und wie es genau dazu gekommen ist, wird detailliert beschrieben. Und unterstreicht an etlichen Stellen eine ungeahnte Absurdität. Wir erinnern uns: 2011 war der Künstler 81 Tage lang von der Bildfläche verschwunden. Warum? Weil er mithilfe der Sozialen Medien (vor allem Twitter) das Regime kritisiert hat und als Widerstandskämpfer immer mehr Anhänger finden konnte.
Die detaillierten Schilderungen seiner Gefangenschaft – geprägt von täglichen Verhören – und die Unterwerfung unter eine erbarmungslose Tagesroutine gewähren einen Einblick, wie gefährlich der chinesische Staat eigentlich ist. Und wie brüchig und lächerlich aber auch dessen Argumentationen sind, wenn sie versuchen eine Inhaftierung oder ihre Schritte zu rechtfertigen.
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Phasenweise absurd und schrecklich zugleich in seiner erbarmungslosen Skurrilität, ist die Autobiographie Ai Weiweis mehr als nur die Geschichte eines einzelnen Menschen. Sondern bietet sie uns vor allem einen lehrreichen Einblick in die bizarren Funktionen eines Regimes, welches seine Weltherrschaft immer mehr ausbaut. Und dessen Strukturen in absehbarer Zeit vielleicht auch zu den unseren werden.
Wie schwierig es ist sich dagegen zu wehren, schildert einem diese fulminante Autobiographie eines Ausnahmekünstlers, der seine kreativen Energien zur Gänze aus einer lodernden Bereitschaft für den Widerstand zehrt.
Titelbild © Shutterstock
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