Schauplatz: Die König Galerie im Kleinen Haus der Kunst. Täter: Erwin Wurm. Opfer: „(…) eine bestimmte Kategorie an weißen Männern, die sich am Würstelstand über ihr Weltbild unterhalten“.
12 überdimensionale Marmorkunstwerke im Spiel mit dem Widerspruch. Dekadenz trifft triviale Speisekarte. Schwere Kost; im wahrsten Sinne des Wortes. Subtil spiegelt Wurms Kunst – oder genauer die verwendeten Materialien – zum Teil doch auch das wider, was viele „Normalsterbliche“ Kritik an der Kunst üben lässt. Doch darf man dafür den österreichischen Künstler Erwin Wurm an sich kritisieren? Oder versucht er eben genau mit dieser Produktion auf den absurden Missstand hinzuweisen? Vielleicht macht man sich da aber auch einfach zu viele Gedanken – eine Ausstellung mit viel Interpretationsspielraum.
Und so tut seine Kunst bereits das Seine. Erwin Wurm ist eben eine Klasse für sich. Kann er überhaupt noch etwas falsch machen? Es scheint, als spiele er bei der aktuellen Ausstellung genau mit dieser Frage. Bewusst oder unbewusst – das Problem einer überkapitalisierten Kunst schwingt subtil mit.
„Skulpturen waren für mich damals schwarz und voller Vogelscheiße“, wie er in einem Interview mit Arte erklärte. Dennoch wurde er Bildhauer. Ein etwas anderer. Mit seinen „One Minute Sculptures“ brach er mit den Konventionen eines Kunsthandwerkes. Und zog weltweit die Blicke auf sich. Seit damals, 1997, setzt er immer wieder neue Maßstäbe. Erinnerungen an die Surrealisten und Dadaisten werden wach. Unfassbar und doch greifbar. Trotzdem anders. Wurm eben.
Erwin Wurm ist eindeutig ein Popstar unter den Bildhauer:innen unserer Zeit. Wenn nicht sogar DER Popstar. Immerhin schaffte er es auch – teilweise bewusst gesteuert – in die popkulturellen Szenen der Musik und Mode. Irgendwas zwischen Selbstironie und Selbstverherrlichung. Aber es funktionierte und funktioniert noch immer.
Wer kann sich noch an das Video von den Red Hot Chili Peppers zum Song „Can’t Stop“ erinnern? Die Inspiration zum Video kam von Erwin Wurm:
Ausstellung SUBJECT im KHK: Erwin Wurm und die Werkserie ICONS
Die Essiggurkerl haben es dieses Mal nicht hineingeschafft. Dafür aber Würstel, Salzstangerl und Co. Imposante, fast monumentale Darstellungen einfachster Lebensmittel. Aus Marmor gefertigt. Ein Vermögen, das an Material hier einfließt. Dekadent. Ganz im Widerspruch zum Dargestellten. Weißer Carrara und Paonazzo Marmor, grauer Marquina Marmor und rosa Breccia – wenn man weiß, was eine Fliese aus diesen Materialien kostet, kann man sich ungefähr hochrechnen, was dann wohl die 2,8 Meter großen Würstel wert sind. Wir bewegen uns hier im fünf- bis sechsstelligen Bereich.
Sehenswert und eindrucksvoll stellt sich diese Einzelausstellung Erwin Wurms auf alle Fälle dar. Einen Wurm sollte immerhin jede:r mal live gesehen haben, weshalb sich ein Besuch bis zum 17. April im Kleinen Haus der Kunst lohnt. Auch die Idee hinter den Werken wirkt stimmig. Der Künstler startet einen Angriff auf „(…) ein Weltbild, das von Enge, Vorurteilen und Intoleranz geprägt ist, von antifeministischer Haltung gar nicht zu sprechen.“
Doch bleibt ein fader Beigeschmack. Einer, den die Kunst seit Jahren immer mehr mit sich bringt. Investments, Druck auf Schaffensprozesse, Galerienwirtschaft und der Verlust des tieferen Sinnes – natürlich gilt das jetzt nicht für jede:n Kunstschaffende:n und auch nicht automatisch für Erwin Wurm. Doch auch bei dieser Vernissage zeigt sich: Die Kunstszene schluckt sich selbst und bringt hervor, was viele den Bezug zur Kunst verlieren lässt.
Berechtigte Kritik oder gezielter Move?
„Die Skulpturen evozieren eine Vielzahl von Assoziationen – von starrem Festhalten an traditionellen Werten bis hin zur Umweltkritik – von Billigfleisch bis Massentierhaltung.“, so die Aussendung. Dem könnte man provokant anfügen, dass auch die Massenproduktion von Kunst stets versucht, der Sammlernachfrage gerecht zu werden. Aber wer wagt, die etablierte Kunst zu hinterfragen, den stempelt man doch gern als Kunstbanausen ab.
„Der Zeit ihre Kunst“, heißt es doch gegenüber auf dem Eingang der Secession. Vielleicht wäre es angemessen auch der Kunst ihre Zeit zu geben. Nämlich in deren Entstehung. Diese großen Werke bräuchten Monate, wenn nicht sogar Jahre, entstünden sie rein aus der Hand der Künstler:innen selbst. Aber Zeit ist bekanntlich Geld.
Bedenkt man, dass Erwin Wurm zu Beginn vor allem mit billigen Materialen gearbeitet hatte, was natürlich auch der Zeit auf der Kunstschule geschuldet war, wirkt das Jetzige so fern. Sagte Erwin Wurm doch, dass „alles um mich herum ein Werkzeug oder Material für Kunstwerke sein kann.“ Warum es nun ausgerechnet ein dermaßen teurer Stein sein muss? Vielleicht führt er damit ja genau das Thema Kapitalisierung in der Kunst ad absurdum; wer weiß. Jedenfalls schafft er es, das Subjekt zu Gedanken zu inspirieren. Und erfüllt damit den Zweck der Kunst.
Titelbild © Simon Veres
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