Wiener Kultfigur meets USA. Im Frühjahr 2022 verbrachte Viennas Vorzeige-Autorin Stefanie Sargnagel mehrere Wochen im Collegstädtchen Grinnel (Iowa), um dort als Writer in Residence den Student*innen das Schreiben beizubringen. Ihre Aufzeichnungen aus jener Zeit sind nun in dem Reisebericht Iowa erschienen. Wir haben das Buch für euch gelesen.
Reiseberichte in der Literatur
Lets be honest, Reiseberichte, -tagebücher, Roadtrips und so weiter gehören vermutlich in die Biografien eines jeden Autors, einer jeden Autorin, der oder die etwas von sich hält – oder so etwas wie Weltbürgerlichkeit zur Schau stellen will.
Simone de Beauvoir, Josef Winkler, Valerie Fritsch und viele, viele mehr haben ihre Aufenthalte literarisch festgehalten, verarbeitet oder weiterverarbeitet. Reisen war schon immer auch Inspiration, nicht nur für die Travel Influencer.
Reisebericht der Wiener Kultautorin Stefanie Sargnagel
In der Zwischenzeit hat sich auch Wiens literarische Galionsfigur Stefanie Sargnagel zu so einer Reiselektüre hinreißen lassen, ist auf diesen Genre-Zug aufgesprungen und nach Amerika (Iowa) gedüst, um den Amis die Kunst des Schreibens näherzubringen. Und hoffentlich auch ein wenige Wiener Schmäh.
Das war im Frühjahr 2022. Vor kurzem sind die Aufzeichnungen der österreichischen Feldforschungspoetin, die sie über ihren visit gemacht hat, beim Rowohlt Verlag in Buchform erschienen. Begleitet wurde die Autorin von der deutschen Kult-Musikerin Christiane Rösinger, die sich selbst in so mancher Fußnote im Buch humoristisch verewigt hat.
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USA, USA, USA: Stefanie Sargnagel in Iowa
Iowa ist auf der Weltkarte ziemlich unbekannt. Traditionell finden dort jedoch die ersten US-Vorwahlen der Parteien statt. Daher hat Iowa in den Wahljahren ein großes politisches Gewicht. Aber sonst? Es herrscht der Konservativismus, möchte man annehmen.
Und klar, wenn man jemanden in so etwas wie das reaktionäre Herz der USA entsenden wollte, um eine linke Expedition zu starten, wer könnte für diese Mission wohl geeigneter sein, als Stefanie Sargnagel. Wir erinnern uns: 2014 hat Sargnagel das FPÖ-Oktoberfest besucht und für Vice darüber einen unterhaltsamen Bericht verfasst. Die Ausgangslage bzw. die Kombination Sargnagel trifft Iowa, ist in Sachen Komik wohl mehr als vielversprechend.
Sargnagel mit humoreskem Rundumschlag
Und in der Tat entfaltet sich eine Geschichte vor uns, die wohl unterhaltsamer kaum sein könnte. Ob die linke Wokeness, die sektenartigen Glaubensgemeinschaften, das Campusleben oder einfach nur das dort sein in Iowa. Sargnagel verwöhnt uns mit einem humoresken Rundumschlag, gespickt mit Beobachtungspossen, die extrem gut unterhalten. Dabei ist es nicht so, dass besonders viel passiert. Doch der Autorin gelingt es, aus dem kleinen Alltag, etwas ganz Großes zu machen – was aber immer schon ihre Stärke gewesen ist.
Und auch wenn Iowa für eine Linke-Autorin in etwa so leicht angreifbar ist, wie ein Zeltfest der FPÖ in einem x-beliebigen österreichischen Dorf, so bleibt Sargnagel dennoch zurückhaltend, lässt aufgelegte Seitenhiebe gegen Rechts (z.B. gegen die Waffenvernarrtheit der Amerikaner*innen) links liegen 😉 und setzt den Fokus auf andere Phänomene. Womit der Text auch eine zusätzliche, reflektiertere Tiefe bekommt.
Iowa: Kulturelle Beobachtung mit Witz
Die besuchten Orte, wie zum Beispiel der megalomanische Supermarkt aka Konsumtempel Walmart, eine deutsche Glaubensgemeinschaft, ein Waffenladen (Babydecken in Tarnmustern), ein „Indianercasino“ usw. werden nicht wirklich durch den Kakao gezogen, was ja eigentlich zu erwarten gewesen wäre. Stattdessen übt sich die Autorin in Distanz und nimmt die Rolle einer kulturellen Beobachterin ein.
Doch der Humor kommt in Iowa natürlich alles andere als zu kurz. Entfaltet sich aber vor allem zwischen Sargnagel und ihrer Reisebegleitung Christiane Rösinger, die sich ein ums andere Mal auf die Schippe nehmen, aber dennoch zusammen hervorragend funktionieren, weil sie auch unterstützend füreinander da sind, wenn es nötig ist.
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Stefanie Sargnagel: Frausein, Körperlichkeit, Kinderwunsch
Vor allem Sargnagels Körper und das Frausein werden vor dem Hintergrund heteronormativer Körperformen und westlicher Schönheitsideale immer wieder (äußerst humorvoll!) verhandelt und auch das Alter ist ein Thema. Auch Sargnagels persönlicher Kinderwunsch wird angesprochen und kommt in Form eines Tabubruchs daher, da dieses Thema gesellschaftlich nicht wirklich besprochen wird, vor allem nicht in der populären Literatur.
Doch all diese schweren Themen greift die Autorin eher nebenbei auf und baut ihre ernsthaften Überlegungen immer auf einem humoresken Fundament, sodass es nie zu so etwas wie einer deprimierenden Schwere kommt. Kritische Aspekte in Form von klugen Kommentaren werden wohldosiert hineingestreut und mit einer Brise Komik versehen.
Ein feministisches Offenbarungsprogramm, wie der Standard behauptet, ist Sargnagels Iowa bei weitem nicht. Dennoch gelingt der Autorin eine perfekte Gratwanderung zwischen Ernsthaftigkeit und Unterhaltung, die niemals langatmig wird.
By the way: feministische Offenbarungen liest man eher bei Marlen Haushofer, Simone de Beauvoir oder Laurie Penny.
Stefanie Sargnagels Iowa: ein Fazit
Das Großartigste an den Vereinigten Staat von Amerika sind immer noch die Klischees. Sie bestätigen uns das Bild, das wir immer schon gehabt haben. Vor allem, wenn diese bei Sargnagel zum Thema werden, läuft die Autorin zur Höchstform auf, sodass sie mehrmals Parallelen zu den Simpsons zieht und ihren Besuch zu einem wahr gewordenen Klischees hochstilisiert.
In Iowa läuft die Meisterin des zu Literatur kristallisierten Wiener Schmähs wieder zur Höchstform auf. Verdeutlicht mit ihrer teilweisen Zurückhaltung jedoch auch eine literarische Reife, da aufgelegte Witze gekonnt umschifft werden. Gekonnt werden kulturelle Differenzen angedeutet und um diese herum eine Festung des Spaßes konstruiert. Unser Wissen über die USA wird durch Iowa natürlich nicht bereichert, unterhalten wird man dennoch außergewöhnlich gut. Absolut lesenswert!
Titel © Rowohlt Verlag
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