Influencer: Untergang der Menschlichkeit und Hinwendung zum absoluten Kapitalismus?
Influencer. Wohl das Schlagwort und zugleich auch der Traumberuf der letzten Jahre. Ob Beautytipps, Life-Hacks, Challenges, Alltagsgeschichten, Eltern-Dasein oder Gedanken worüber auch immer. Ein jedes Thema wird bedient. Doch hinter diesem Trend privater Darstellung in den sozialen Medien verbergen sich fragwürdige Dynamiken. Fäden des menschlichen Alptraums ziehen die Strippen dieses kulturindustriellen Traums. Zwei Autoren haben ein Buch darüber geschrieben, das es in sich hat.
Traumberuf Influencer
Viele junge Menschen haben nicht mehr den Beruf Feuerwehrmann, Polizist, Arzt oder Schauspieler als Ziel. Nein! Diese wollen lieber Influencer oder YouTube-Star werden. Natürlich fehlgeleitet, verblendet und manipuliert von einer Vielzahl an Instagram-Stars, die in Dubai oder sonst wo mit ihren Ferraris oder Jetskis herum cruisen. Und sich nebenbei einfach einmal so marionettenhaft einem demokratiefeindlichen und politisch korrupten System preisgeben.
Aber egal. Der Weg zu Ruhm und Geld, zu dem auf Instagram und Co zelebrierten High Life scheint so nah, einfach und lebenserfüllend zu sein, dass man sich schon fast schämen muss, auf den sozialen Medien nicht präsent zu sein. Dass das Influencer-tum alles andere als #awesome und #wow ist, und moralisch sogar extrem verwerflich erscheint, darüber haben Ole Nymoen und Wolfgang M. Schmitt ein außerordentlich intelligentes Buch geschrieben.
Aus der Höhle der Löwen
Doch wer jetzt vorschnell urteilt und meint, bei diesem Werk handelt es sich einmal meh, „nur“ um die Kritik zweier universitär und theoretisch verstaubter Kulturwissenschaftler, die eine Welt beschreiben, von der sie (praktisch) keine Ahnung haben, der irrt gewaltig. Denn beide Autoren wissen, wovon sie reden. Und das nur allzu gut. Denn sie entspringen, könnte man sagen, mitten aus eben jener Welt, die sie im Buch Influencer. Die Ideologie der Werbekörper so kritisch unter die Lupe nehmen.
Wolfgang M. Schmitt zB. ist jung (geb. 1987) und selbst Influencer seit der ersten Stunde. Vor allem bekannt durch den ideologiekritischen Youtube-Kanal „Die Filmanalyse“, den er seit 2011 selbst erfolgreich betreibt und der über 65.000 Abonnenten zählt. Zusammen mit Ole Nymoen (der andere Autor des Buches) diskutiert er aber auch regelmäßig im gemeinsamen Podcast „Wohlstand für Alle“. Über 20.000 Abonnenten. Somit sind die Macher dieses genialen und kritischen Buches waschechte Digital Natives. Und man sollte daher ganz genau hinhören bzw. hinlesen, was sie über diese Welt der guten Menschen von Instagram zu sagen haben.
Unsere guten Freunde aus der Influencer-Family
In zehn fulminanten Kapiteln betreiben die Autoren vor allem eines: Aufklärungsarbeit. Und das haben wir alle bitter nötig. Auch wenn viele Follower vielleicht insgeheim ahnen, dass die „Stars“, denen sie folgen, nicht wirklich ihre Freunde sind, so ist es geradezu erschreckend zu lesen, wie groß die wirtschaftlichen Dimensionen, die sich hinter diesen guten Freunden verstecken, so wirken. Denn es ist Tatsache, dass deutsche Unternehmen bis zu 38.000 Euro pro Post an Top-Influencer bezahlen. Außerdem planen deutsche Marketer bereits 42 Prozent ihres Gesamtbudgets für Influencer-Marketing auszugeben. Die Werbung steht somit vor einer Revolution, wenn diese nicht schon lange in Gang ist.
Product-Placement de luxe – die Vereinnahmung des Privaten
Während z.B. Thomas Gottschalk in seinen berühmt gewordenen Haribo-Werbungen privat diese Fruchtgummibären nicht mögen muss. Zwischen ihm und dem Produkt immer noch eine Grenze besteht. So lassen die Influencer:innen diese Abtrennung hinter sich und werden eins mit dem Produkt. Deren Begeisterung ist nicht mehr nur gespielt, sie ist verkörpert.
Der/die/das – in der Tat gibt es auch das mit der rein digitalen Figur Shudu Gram – Influencer:in, ein reiner Werbekörper. Dies ist nur eine der vielen Erkenntnisse mit denen Nymoen und Schmitt unseren Horizont erweitern. Und wer bei diesem Fazit nur gelangweilt mit den Schultern zuckt, der lese bitte weiter, denn die Veränderungen, die diese Vorgehensweisen in einem Leben hinterlassen, sind auf den ersten Blick nicht so leicht zu begreifen.
Mithilfe vieler Bezüge zu Werken von Karl Marx sowie der Frankfurter Schule führen uns die Autoren – mit einem Satz aus dem Kultfilm Matrix gesprochen – „tief hinein ins Hasenloch.“ Und wer den Film kennt, der weiß, dass dort unten die Wahrheit einem schwer im Magen zu liegen vermag.
So schafft diese zwielichtige Form der „Warenästhetik“ (betrieben von den Influencer:innen) eine Art „Gebrauchswertversprechen“, dass den Kunden davon überzeugt (heißt, die Follower:innen), dass der Kauf der Ware (das Produkt, das der Influencer direkt oder indirekt empfiehlt und bewirbt) dem Wohlempfinden dient. Und nicht der Bereicherung des Verkäufers. Was ja eigentlich der Fall ist. Die Ware verwandelt sich somit in eine Marke. Auch in die Marke, die die Influencer:innen selbst geworden sind. Dieses „erzeugte Gebrauchswertversprechen fällt jedoch selten mit dem realen Gebrauchswert zusammen, vielmehr handelt es sich um »ästhetischen Schein«“1, so die Autoren im Buch weiter.
Und gerade das ist das Perfide dieser Influencer:innen. „Ohne aufdringlich zu werden, (…) erscheinen sie wie Freunde, die ihren Followern voller guter Absichten ein Produkt empfehlen. In Wahrheit helfen sie vor allem sich selbst.“2
Die digitalen Kapitalrealisateure
Die Stärke in diesem Buch liegt auch in der Aufarbeitung unserer eigenen Mediengeschichte. Ausgehend von Film und Fernsehen bis hin zum digitaler Kapitalismus höchster Güte, der mittlerweile betrieben wird. Denn wie die Autoren richtig anmerken: „Den Aufstieg der Influencer kann nur verstehen, wer den jüngsten historischen Übergang in der Geschichte des Kapitalismus mitsamt seinen Neuerungen und Kontinuitäten begreift.“3
Eine der absurdesten Denkanstöße im Buch: Werbung wurde früher als lästig empfunden. All jene, die sich an die Fernsehzeit erinnern, wissen noch, dass die dort gezeigten Filme in regelmäßigen Abständen von Werbung unterbrochen wurden. Was wirklich niemandem gefallen hat. Aber ein nötiges Übel gewesen ist, das man für einen (guten) Film in Kauf genommen hat.
Heute ist die Werbung integriert, denn in den sozialen Medien sieht man sich „täglich die banalen Szenen des mit Produkten ausstaffierten Influencer-Alltags, sprich: reine Dauerwerbesendung an.“4 Die wir kostenlos abonniert haben. Und das ohne zu merken, welchen Preis wir dafür bezahlen. Es ist erschreckend, „als hätten Millionen junge Zuschauer Teleshopping-Kanäle zu ihren liebsten Fernsehsendern erkoren.“5
Nun ist es offiziell: "Influencer. Die Ideologie der Werbekörper" ist bei @Suhrkamp erschienen. @SchmittJunior und ich sind in die Abgründe von Instagram, YouTube und TikTok hinabgestiegen. Es geht um Werbung, 1-Prozent-Feminismus, Warenästhetik und vieles mehr! pic.twitter.com/qIZzYWfDKL
— Ole Nymoen (@nymoen_ole) March 8, 2021
Aufklärung
Doch das ist nur ein kleiner Einblick in diesen Mikrokosmos Influencer, den die Autoren gekonnt auseinander nehmen. Und in ihrer Dekonstruktion schaffen sie es, den aufklärerischen Bogen recht weit zu spannen. Von Kapitalismuskritik, dem Untergang der Kreativität, der Bloßlegung eines Pseudofeminismus, bis hin zu der moralischen Verwerflichkeit. Nymoen und Schmitt sezieren ein Phänomen, dessen Ausprägung man mittlerweile wirklich hinterfragen muss. Und dabei entkleiden sie das gehypte Influencer-tum geradezu meisterhaft seiner glänzenden Fassaden. Lassen Kapitel um Kapitel etwas mehr die kapitalistische Fratze vorkommen, die sich am Grunde dieser neo-liberalen Verheißung des American-Dream verbirgt.
Und jeder, der als Digitaler Native zu wissen glaubt, wie es läuft, weil er ja aus dieser Welt entspringt, und meint dieses Buch nicht lesen zu müssen, der weiß es eben nicht. Denn um wirklich zu wissen, was wie läuft, was mit uns (verkehrt) läuft und inwiefern die sozialen Medien – die wir alle so „gekonnt“ bedienen und die eigentlich eher uns bedienen – an dieser Misere schuld sind, dem können wir dieses Buch empfehlen.
Denn mittlerweile kommen die kapitalistischen Verhältnisse nirgendwo so ausgeprägt zum Vorschein wie in den Sozialen Meiden. In denen wir uns so frei dünken, dass wir nicht begreifen, inwiefern wir vereinnahmt und verblendet werden. Denn in einer Welt, in der Emanzipation mit Konsum gleichgesetzt wird – und nichts anderes tun die Influencer als Werbekörper – bedeutet dies, dass man sich diese erst einmal leisten muss. Ein besserer Weg dorthin, ist das Lesen dieses Buches.
Titelbild Credits: Shutterstock
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