Mit 40 Jahren in Rente bzw. Pension. Finanzielle Unabhängigkeit inklusive. Der Wunsch vieler Menschen. Doch dieses Ziel hat einen hohen Preis. Jetzt verzichten und später belohnt werden, funktioniert das? Die FIRE-Bewegung ist vor allem für die jüngeren Generationen ein Vorbild. Was steckt hinter dem Trend und ist finanzielle Unabhängigkeit wirklich so einfach zu erreichen?
FIRE: Financial Independence, Retire Early
Das große Ziel ist immer vor Augen. Jeder ausgegebene Cent wird dabei sorgfältig überdacht, denn heute nicht ausgegeben, führt dieser einen Schritt näher an die zukünftige Freiheit heran. Die Befürworter*innen der FIRE-Bewegung (auch Frugalisten genannt) streben danach, so viel wie möglich zu sparen und ihr Geld gewinnbringend anzulegen.
Ihr Ziel ist es, nie wieder arbeiten zu müssen und stattdessen von den Erträgen ihrer Investitionen zu leben. Doch stellt sich die Frage: Ist das realistisch? Und welche Lebensqualität bleibt übrig, wenn man alles für die Zukunft zurückhält? Und wie schnell verfällt man bei diesem Lebensstil in eine Geiz-ist-geil-Kultur?
Shen und Leung: mit 31 finanziell unabhängig in Rente
Als eine Art Gallionsfiguren der FIRE-Bewegung gelten Shen und Leung. Im Alter von 31 Jahren haben die beiden ihre gut bezahlten Jobs als Softwareentwickler gekündigt und leben seitdem ihren Traum eines dauerhaften Nomadenlebens – finanzielle Freiheit inklusive.
Sie haben in Vietnam, Portugal oder Taiwan gelebt, alles finanziert durch Zinsen und Gewinne aus ihrem Portfolio, das hauptsächlich aus Anleihen und breit gestreuten Aktienfonds (ETFs) besteht. Von Kryptowährungen haben sie dabei die Finger gelassen, denn das war ihnen zu sehr Glückspiel.
Zu der Zeit ihres Rückzuges aus der schnöden Arbeitswelt (2015), verfügten sie über eine Summe von einer Million kanadischer Dollar. Um sich dieses Geld zu ersparen, steckten sie schon in jungen Jahren einen Großteil ihrer Gehälter in ETFs und Anleihen, lebten sparsam und stiegen durch schnelle Jobwechsel die Gehaltsleiter hoch. Ihnen zufolge sollten 40.000 Dollar im Jahr ausreichen, um finanziell unabhängig leben zu können.
Die Inflation? Ihr Lebensstil (das Reisen und digitales Nomadentum) sind die beste Verteidigung dagegen, denn. „Irgendwo auf der Welt ist es immer billig“ zu leben.
Die Vier Prozent-Regel
Einer der Grundpfeiler der FIRE-Bewegung ist die sogenannte Vier-Prozent-Regel. Diese besagt, dass das angesparte Gesamtvermögen so groß sein sollte, dass jährlich vier Prozent davon zum Leben verwendet werden können. Die Idee ist es, ausschließlich von den Zinsen bzw. Aktienausschüttungen des Vermögens zu leben.
Da die Kapitalmärkte langfristig im Durchschnitt um etwa sieben Prozent wachsen und dies um die Inflation bereinigt werden muss, sollte dieser Vier-Prozent-Puffer theoretisch ein Leben lang ausreichen. Für finanzielle Unabhängigkeit ist dabei auch das 25-Fache der eigenen Jahresausgaben nötig, besagt die frugalistische Faustformel der FIRE-Bewegung.
Auch laut Berechnungen des Guardian müsste man das 25-fache des eigenen Jahresbedarfs klug beiseitegeschafft haben, um realistischerweise ausgesorgt zu haben. Den Rest erledigen dann sozusagen die Zinsen.
Das Who is who der FIRE-Bewegung
Natürlich sind Shen und Lueng nicht die ersten Frugalisten. Bereits kurz nach 2000 entstand in den USA die FIRE-Bewegung. Vor allem die Finanzkrise 2008 und das Buch Early Retirement Extreme von Jacob Lund Fisker waren wichtige Meilensteine in dieser Entwicklung.
2011 ging dann der Kanadier Peter Adeney mit seinem Blog Mr. Money Moustache an den Start – bis heute ein wichtiger Prediger der Genügsamkeit, der tausende Menschen auf der Welt für den Frugalismus gewinnen konnte.
FIRE-Bewegung: happily ever after?
Wer jetzt annimmt, eine frühzeitige Rente ist das ultimative Glücksversprechen, der muss jedoch eines Besseren belehrt werden. Denn wie Gabe Bult – ihm ist es gelungen, mit nur 24 Jahren in Rente zu gehen – berichtet, war für ihn die Zeit ohne Arbeit alles andere als leicht. Warum?
Viele der Menschen, die den Weg der FIRE-Bewegung ambitioniert beschreiten, stellen sich scheinbar niemals die Frage, was wohl danach kommt, nach ihrer frühzeitigen finanziellen Freiheit. Das nicht bedachte Problem einer frühzeitigen Rente ist nämlich, dass viele Menschen so etwas wie existenzielle Bestätigung hauptsächlich aus ihrer Arbeit beziehen.
Fällt diese dann plötzlich weg, kann das durchaus problematisch sein. Und wer jetzt vorschnell meint, genau zu wissen, was er oder sie mit dieser finanziellen Freiheit anstellen würde, es sei versichert, dass Gabe Bult genauso dachte, aber leider daneben lag.
Unglücklich ohne Job
Statistisch gesehen wird nämlich ein Drittel der frühzeitig pensionierten Menschen depressiv. Der Job – egal ob verhasst oder nicht – erfüllt in diesem Sinne sehr wohl eine sinnstiftende Funktion. Vermutlich deshalb, mutmaßt Bult, weil viele Menschen sich noch nie überlegt haben, wer sie überhaupt sind, jenseits ihres beruflichen Alltags.
Sich erst später genau darüber Gedanken machen zu müssen, kann einen da durchaus in eine Krise stürzen. Ein großer Fehler, den Bult in seinem Leben als „FIRE-Fighter“ gemacht hat, war, dass er auf ein soziales Umfeld verzichtet hat und lieber der finanziellen Unabhängigkeit nachjagte – was er bedauerlicherweise erst später erkannt hat.
Gabe Bult hat den Prozess bis hin zur finanziellen Unabhängigkeit niemals genießen können, hat seine zahlreichen Jobs gehasst, da diese nur Mittel zum Zweck gewesen sind. Er hatte zwar ein konkretes Ziel (finanzielle Unabhängigkeit), aber ohne den Weg dorthin zu genießen. Und am Ziel angelangt, wusste er plötzlich nicht mehr – wer er genau war.
Fazit
Die FIRE-Bewegung ist ein durchaus spannender Lebensansatz, der stark minimalistisch geprägt ist. Doch wie jeder Lebensstil kann auch dieser schnell zur Sucht werden, sodass am Ende vielleicht das Geld, aber die mentale Einstellung nicht passt.
Das ganz große Glück verspricht auch die FIRE-Bewegung nicht und wer die Erwerbstätigkeit als großen und bösen Feind sieht, der wird auch mit einem Leben ohne Job nicht wirklich glücklich werden. Ein schöneres Hier und Jetzt oder radikal sparen für die Zukunft? Eine Frage, deren Antwort wohl, wie so viele, in der goldenen Mitte zu finden ist.
Titelbild © Shutterstock
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