„Die militante Veganerin“ erntet oft Kritik aus den falschen Gründen

Die militante Veganerin hat sich durch ihren radikalen Ansatz zum Tierschutz einen Namen in den sozialen Medien und auf YouTube gemacht. Zu Beginn polarisierte sie vor allem durch Videos. Dabei zerlegte sie im Stil von Straßenumfragen unvorbereitete Jugendliche und Kinder nach Strich und Faden verbal. Ihre Opfer suchte sie sich nach ihrem Konsumverhalten beim Thema Ernährung aus. Ihre Botschaft: Isst du Fleisch, dann bist du mein Feind!
Mit diesem rhetorischen Kampf-Setting schaffte sie es, sich ein riesiges Publikum aufzubauen. Doch das waren nur die ersten Schritte ihres neuen Influencer-Daseins. Denn schon bald zeigte sie sich mit dem Who’s who der deutschen online Welt und des YouTube-Kosmos.
Dabei polarisierte sie in einem Rahmen, der ihre Reichweite stets pushte. Natürlich hat die militante Veganerin dabei auch viel an Kritik erfahren. Wir haben uns die Kontroverse, um die militante Veganerin als Medienpersönlichkeit näher angeschaut, und sind draufgekommen, dass sowohl sie als auch ihre Kritiker*innen in manchen Punkten falschliegen.
Die militante Veganerin: Aufstieg auf YouTube
Die Geschichte der militanten Veganerin begann vor einigen Jahren, als sie anfing, Videos auf YouTube hochzuladen, in denen sie ihre Überzeugungen und Erfahrungen als vegane Aktivistin teilte. Ihr Kanal wurde schnell beliebt, da sie eine klare und radikale Botschaft vertrat, die viele ansprach. Sie sprach sich vehement gegen die Ausbeutung von Tieren aus und forderte ihre Zuschauer*innen auf, sich ebenfalls für Tierrechte zu engagieren.
Mit der Zeit wurde die militante Veganerin immer populärer und ihre Videos wurden Tausende Male geteilt und kommentiert. Sie baute eine treue Fangemeinde auf, die ihre Ansichten teilt und ihre Botschaft weiterträgt. Die militante Veganerin, die bürgerlich Raffaela Raab heißt, nutzt dabei auch andere Social-Media-Plattformen wie Instagram und Twitter, um ihre Anhängerschaft zu erreichen und für ihre Sache zu werben.
Doch die Popularität brachte ihr auch Kritik. Viele warfen ihr vor, zu extrem zu sein und andere Menschen für ihre Entscheidungen zu verurteilen. Einige argumentierten, dass eine zu radikale Herangehensweise kontraproduktiv sein kann und dass ein sanfterer Ansatz mehr Erfolg haben könnte. Sie hat trotz der Kritik ihre Positionen verteidigt und beharrt darauf, dass ihre Botschaft gehört werden muss. Inhaltliche Kritik an die Herangehensweise ignoriert sie dabei größtenteils. Sie betont, dass der Schutz von Tieren eine moralische Pflicht ist und dass jede*r einzelne einen Beitrag leisten kann, um Tierleid zu reduzieren.
Heute hat Raffaela eine beachtliche Anzahl von Follower*innen auf YouTube und anderen Plattformen erreicht. Sie hat sich zu einer wichtigen Stimme in der Debatte um Tierrechte entwickelt und inspiriert andere, sich ebenfalls für diese Sache zu engagieren. Ganz nebenbei ist die militante Veganerin mittlerweile eine eigene Marke in den sozialen Medien geworden. Obwohl ihre radikale Herangehensweise umstritten ist, hat sie zweifellos einen großen Einfluss auf die öffentliche Diskussion über Tierrechte.
Mehr Fans, mehr Kritik
Veganismus ist ein Thema, das häufig polarisiert. Denn dabei geht es um Ernährung, also ein Thema, zu dem jede*r von uns eine Meinung hat. Je größer ein Thema in seiner Reichweite und Interesse innerhalb der Gesellschaft ist, desto mehr besteht auch die Chance, dass eine polarisierende Debatte entstehen kann. Aus dieser Debatte ist aber längst schon ein Kulturkampf entstanden.
So ähnlich läuft es auch größtenteils bei den öffentlich geführten Diskussionen rund um die militante Veganerin. Denn um ehrlich zu sein, geht es bei der Kritik an ihr schon lange nicht mehr um Veganismus oder ihr Auftreten als Aktivistin. Ihre Reichweite scheint hingegen viele angelockt zu haben, die sie mittlerweile aus den „falschen“ Gründen kritisieren.
Militante Veganerin startet durch auf OnlyFans
Spätestens seit Anfang April 2023 hat sich vieles an „Kritik“ an ihr nämlich in blanken Sexismus verwandelt. Denn da informierte sie ihre Follower*innen darüber, dass sie nun mit pornografischen Inhalten auf OnlyFans durchstarten möchte. Viele hielten es anfangs noch für einen Aprilscherz. Jedoch schien es nach dem ersten April, als sie ihren Kanal noch immer weiter promotete, für manche kein Halten mehr zu geben. Denn spätestens an der Stelle konnte man ihr unterstellen, dass sie „Geldgeil“ sei.
Häufig kommt das aus dem Mund derer, die dabei aber gleichzeitig wie eifrige Jünger Tech-Bros und Cash-Influencern huldigen. Denn während wir im Turbo-Neoliberalismus jeglichen Ansatz von Menschenverachtung und wirtschaftlicher Ausbeutung feiern, wird das auch gleichzeitig als sexistische Argumentationsgrundlage jederzeit aus der Lade geholt, wenn man gegen eine weibliche Person vorgehen möchte. Oftmals entscheidet dabei das Geschlecht, ob „Geldgeil“-sein etwas Gutes oder etwas Schlechtes ist.
Durch ihre Videos hat sie anscheinend eine Klientel angelockt, welche genau auf derselben Ebene kritisiert, wie sie es selbst beim Thema Veganismus gemacht hat. Nämlich auf der Persönlichen und Charakterlichen. Wenn Fleischessen eine moralische Schwäche ist, dann ist „Geldgeilheit“ es wohl auch. Und da Raphaela in ihren YouTube-Videos viele Menschen auf der persönlichen Ebene fertiggemacht hat. Sehen nun manche in ihren Kommentaren eine perverse Form der „Rache“.
Kritik am Konsumenten, niemals am Produzenten
Das Problem an der Debatte mittlerweile ist Folgendes: Der Ursprung, also Tierschutz, um den es mal einst ging, scheint vergessen zu sein. Es scheint eher darum zu gehen, ob die militante Veganerin ihre Reichweite verdient hat oder eben nicht. Dabei gebe es grundsätzlich einiges an den Videos, die die militante Veganerin im Namen des Tierschutzes vermarktet hat, zu kritisieren.
Denn genauso wie sie auf der persönlichen Ebene und über ihr Geschlecht angegriffen wird, hat sie oft junge Passant*innen aufgrund ihres Konsums-Verhaltens öffentlich bloßgestellt. Dabei hat sie die Menschen eben nur auf der persönlichen Ebene kritisiert. Man findet bei ihr niemals Kritik an dem kapitalistischen System und seiner Verwertungslogik. In ihrem Narrativ bedient sie nur die Erzählung von der Macht des Konsumenten!
Wenn der Konsument durch seine bloßen Essgewohnheiten derart weitreichende Auswirkungen auf den Markt hat, warum werden dann täglich Tonnen an Lebensmittel vernichtet? Die militante Veganerin beleuchtet in ihren Videos aber hauptsächlich die Konsumgewohnheiten der Menschen und ignoriert die Wertschöpfungskette so wie die fehlende Abstimmung der einzelnen Handelsstufen. Und außerdem wird dabei ebenso jegliche Klassenfrage im Hinblick auf Einkommen, Bewusstsein, Aufklärung und Motive ausgeblendet.
Verschärft die militante Veganerin die Problematik?
Durch diese oberflächliche „Kritik“, die in Wirklichkeit stets den Fokus vom Produzenten auf den Konsumenten lenkt, setzten wir uns nicht mit der Produktions- und Verwertungslogik der Lebensmittelindustrie auseinander. Dass das System Profite bedient und nicht nur darauf ausgelegt ist, die bloße Nachfrage der Konsument*innen zu befriedigen, wird dabei vergessen. Anstatt die Produktion zu hinterfragen, streiten wir lieber darüber, wer auf der persönlichen Ebene moralisch überlegen ist. Dass das in Wirklichkeit eine Stellvertreterdebatte ist, die das Tierleid nicht mindert, sondern im Gegenteil uns davon ablenkt, verliert man schnell durch die Emotionalisierung aus den Augen.
Zeitgleich erzeugen Produzenten weiterhin unter grausamen Bedingungen Fleisch für ihre Profite. Vielleicht sollten wir uns eher darauf fokussieren, dass durch die Profitorientierung der Industrie das Tier nach kalten mathematischen Regeln der Effizienz als reines Produkt unheimlichem Leid ausgesetzt wird. Diesen Zustand verschärft natürlich die Kritik der militanten Veganerin nicht, aber er könnte den Unmut darüber in eine falsche Richtung kanalisieren.
Tiere werden währenddessen weiterhin ausgenutzt
Viele der Befürworter*innen der militanten Veganerin sprechen an der Stelle davon, dass ihr schockierender Zugang dafür erst die Grundlage schafft, für eine weiterführende Diskussion. Jedoch fehlen bei ihr leider diese weiterführenden Kritiken bzw. die nötige inhaltliche Tiefe, um auch tatsächlich die Verhältnisse aufzuzeigen. Aber vielleicht wäre das ein Punkt, an dem Aktivist*innen anknüpfen könnten.
So ist bei der militanten Veganerin oftmals gut gemeint, das Gegenteil von gut. Jedoch muss man an der Stelle Raffaela auch zugutehalten, dass sie wenigstens etwas tut. Ob ihre Motive dabei tatsächlich so edel sind, wie sie behauptet, darüber können wir gerne spekulieren, jedoch bleibt es immer noch ihre freie Entscheidung, wie sie sich als Aktivistin in der Öffentlichkeit präsentieren möchte.
Und solange Tiere nicht sprechen, lernen und aufstehen, um sich darüber zu beschweren, dass man sie als Projektionsfläche für den eigenen Geltungsdrang missbraucht, werden sie wohl weiterhin von uns Menschen zu allem, wozu wir sie benötigen, instrumentalisiert. Egal, ob nur als Nahrung oder eben als Projektionsfläche für das eigene Ego.
Titelbild © Shutterstock
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