Als gäbe es nicht schon genug Weihnachtsfilme auf Netflix, hat der Streaming-Gigant am 24. Dezember 2021 – pünktlich zur Bescherung – seinen Abonnenten und Abonnentinnen ein ganz besonderes Filmvergnügen unter den Christbaum gelegt. Doch ist die Sci-Fi-Satire Don’t Look Up wirklich ein Geschenk, über das man sich freuen kann? Wir von WARDA waren da und haben uns den Film für euch angesehen.
Die perfekte Verpackung – Don’t Look Up macht auf den ersten Blick einiges her
Was wurde im Vorfeld nicht alles über diesen Film gesprochen. Vor allem das exzessive Überangebot an Hollywoodstars (u.a. Leonardo DiCaprio, Jennifer Lawrence, Meryl Streep, Jonah Hill & Co) – vorwiegend solche mit Qualität! – haben die Erwartungen in die Höhe schnellen lassen wie eine unerwartete Panikattacke.
Eine Panikattacke von denen die HauptdarstellerInnen im Film selbst so einige erleiden werden. Auch der Regisseur und Drehbuchautor war vielversprechend. Trotz sinnbefreiter Will Ferrell-Klassiker wie Anchorman und Step Brothers hat der Don’t Look Up Creator Adam McKay in den letzten Jahren mit einigen durchaus seriösen und auf Tatsachen basierenden Filmen wie The Big Short und Vice für Aufsehen sorgen können.
Don't Look Up… but do look at these new posters for the film pic.twitter.com/rY0AsYqvnP
— Netflix (@netflix) December 7, 2021
Für The Big Short (eine Bestsellerverfilmung über die Finanzkrise 2007) gab es für McKay 2016 sogar einen Oscar für das beste adaptierte Drehbuch und zwei weitere Nominierungen für den besten Film und die beste Regie. 2019 wurde Adam McKay für Vice (großartig Christian Bale als fetter Vize von George W. Bush!) ebenfalls für drei Oscars nominiert: Regie, Drehbuch und Film.
Der ehemalige Will Ferrel- und Blödel-Spezialist ist somit jemand, dem der Durchbruch von stupiden Comedys hin zum seriösen Kino durchaus gelungen ist. Wobei McKay mit Sicherheit eines nicht verloren hat: Humor. Eine interessante und wahrlich vielversprechende Mischung, wenn man bedenkt, dass es bei der Katastrophen-Satire Don’t Look Up um einen Film geht, bei dem nicht weniger auf dem Spiel steht als die Existenz unseres Planeten. Doch nicht nur das…
Die Story und noch mehr Stars
Aber was denn noch? Worum geht es bei Don’t Look Up? Die Ausgangslage ist recht simpel – wie bei fast allen Katastrophenfilmen. Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence versucht sich einmal mehr als weird!), eine Doktorandin in Astronomie, entdeckt einen ungewöhnlichen Kometen. Ihr Professor, Dr. Randall Mindy (Leonardo DiCaprio auf schräg!), berechnet, dass dieser die Erde und deren BewohnerInnen in etwas über sechs Monaten zerstören wird. Storys wie diese dürften wohl jedem bekannt sein. Spätestens seit Deep Impact oder Armageddon.
Doch anstatt sich darauf zu fokussieren, etwas gegen diese unmittelbare Bedrohung zu tun, tut die Menschheit (in Form ihrer mächtig kalkulierenden, extrem dämlichen und selbstsüchtigen EntscheiderInnen) erst einmal gar nichts. Zitat von Präsidentin Meryl Streep (die sich als Donald Trump versucht): „I say we sit tight and assess“. Aber was soll sie denn sonst auch sagen? Die Midterms stehen an und es sieht – aufgrund eines Sexskandals – alles andere als gut für sie aus. Klar, sollte angesichts der Tatsache, dass die Welt in einem halben Jahr untergehen wird, eigentlich egal sein. Aber das ist es eben nicht. Und genau da versucht der Film anzusetzen.
Don’t Look Up – Eine Parabel auf die Klimakrise
Es wird sofort klar, worauf der Film hinauswill. Und zwar darauf, dass eine wissenschaftlich bestätigte Tatsache (der Untergang der Welt!!!) zuerst einmal „sondiert“ werden muss. Nur um dann, nach dieser „Sondierung“, immer noch geleugnet zu werden. Schnell wird den Rettern der Menschheit klar, dass sie in der Minderheit sind, sich niemand für ihr Anliegen (was eigentlich das Anliegen der gesamten Menschheit sein sollte!) interessiert. Und es nicht so sehr um Tatsachen geht, sondern vielmehr darum, wie man „eine Story“ medial vermarktet und verkauft bzw. verkaufen muss, um überhaupt erst gehört zu werden.
Ein Kampf beginnt. Ein Kampf auf Zeit. Don’t Look Up ist in diesem Sinne eine gute Allegorie auf den Klimawandel, denn auch dieser ist eine wissenschaftliche Tatsache, die von allen nur erdenklich Seiten geleugnet wird (stupiden PolitikerInnen, einflussreichen Global Playern, als auch von Otto Normalverbrauchern). Aber auch Parallelen zu der Covid-19-Pandemie sind durchaus angebracht. Und so erinnert der chronisch-panische Professor DiCaprio auch oft an einen Virologen, der, umgeben von Wissenschaftsleugnern, ein mehr als mühsames Dasein führen muss.
Vor allem die Diskussionen mit PolitikerInnen und TV-Show-Hosts und -ProduzentInnen (Cate Blanchett und Tyler Perry) darüber, wie viel Prozent der Wahrheit der Menschheit zumutbar sind, was wie viele Klickzahlen bringt usw. können die Zusehenden durchaus schmunzeln lassen.
Don’t Look Up – Viel zu viel ungenutztes Potenzial
Für eine gute Story bietet Don’t Look Up alles, was man braucht – auch die Themenschwerpunkte sind gut gesetzt (Medienkritik, Wirtschaftskritik, Systemkritik, Konzernkritik). Auch ist so einiges an „Werkzeug“ da (grandiose Schauspieler und Schauspielerinnen!), um dem ganzen auch eine derart großartige Form zu geben, dass einem die Luft wegbleiben könnte. Der ganze Cast kann mit 41-Oscar-Nominierungen aufwarten. (Wir haben nicht nachgehsehen, aber das könnte ein Rekord sein!). Und trotzdem (leider!) liefert Don’t Look Up an allen Ecken und Enden einfach viel zu wenig, für das, was er liefern könnte – und ja, man darf bei diesem Cast und dem Budget auch ruhig sagen – eigentlich liefern MÜSSTE!
Ohgott. "Don't Look Up" tut weh. Jede fucking Minute ist wie 10 Minuten einer Trump Rede. Ich verstehe den Gedanken dahinter, aber der geht 2,5 Stunden. Ich bin bei 40 Minuten… ich glaub das pack ich nicht 😅
— fisHC0p (@fisHC0p) December 26, 2021
Don’t Look Up – tut weh!
Die Film-Ästhetik und das Visuelle versagen auf der ganzen Linie – mit hineingeschnittenen Tierszenen, Geburtsszenen usw. versucht der Regisseur McKay wahrscheinlich so etwas wie die Schönheit der Welt zu vermitteln. Dafür sollte man sich lieber einen Terrence Malick Film ansehen – der weiß nämlich, wie man so etwas wirklich gekonnt darstellt. Das Drehbuch – inspiriert von Wag the Dog, Dr. Seltsam und Network – übertrifft diese Filme in Sachen Satire, Absurdität und Kritik nicht wirklich. Und der Cast!? Man kann an und für sich nichts dagegen sagen – jeder liefert mehr oder weniger solide seine Leistung, möchte man meinen. Man kann aber auch niemanden für etwas Herausragendes hervorheben.
DiCaprio und Lawrence versuchen sich in Panikattacken zu übertreffen und Merly Streep kann man aus einem unerfindlichen Grund diese Rolle der Bad-Präsidentin nicht so recht abnehmen. „Das Böse“ verkörpert sie in Der Teufel trägt Prada oder der Serie Big Little Lies bei weitem besser und gekonnter als hier. Und die Story? Woon-Mo Sung bringt es diesbezüglich auf den Punkt: „Die Botschaften des Films sind stets recht schnell klar und was dann noch bleibt, ist das drauf Rumreiten. Und so werden die rasch geschnittenen Hochglanzbilder ebenso rasch immer inhaltsleerer, obwohl sie vorgeben, vor Inhalten zu bersten.“
Copyright: Netflix
Gescheiterte Satire?
Satire sollte etwas Neues bringen. Neue Perspektiven, Ansichten, den Horizont erweitern. In Don’t Look Up ist rein gar nichts neu. Man kann sich bei allem denken, dass alle Beteiligten genauso handeln werden, wie sie es eben tun und die Geschichte genauso ausgehen wird, wie sie es schlussendlich auch tut. Populäre (Vor-)Urteile und Meinungen werden bestätigt. Die Sicht der Menschen nicht auf eine höhere Ebene geholt. Daher ist auch der Handlungsverlauf alles andere als überraschend. Und zwei Stunden und zwanzig Minuten etwas zu zeigen, was nicht wirklich überrascht und so rein gar nichts Neues bieten will, ist schon ein waste of time.
Don’t Look Up ist ein Film, der sich über Inszenierung und Oberflächlichkeit lustig macht und dabei leider selbst alles andere als tiefgründig dabei ist. Und genau daher nicht mehr ist und genau das bleibt: oberflächlich und inszeniert. Während satirische Geniestreiche wie z.B. Wag the Dog oder Network den Zusehenden einen tiefen psychologischen Einblick in gesellschaftspolitische Dynamiken gewähren, fischt Don’t Look Up knapp zweieinhalb Stunden in den seichten Gewässern populärer Konformität. Und bestätigt uns nur das, was wir alle mittlerweile ohnehin schon glauben und zu wissen meinen.
Don’t Look Up – das ultimative Geschenk
Im grandiosen Werk Das Reich der Zeichen, in dem der Semiotiker Roland Barthes über seine Japanreise berichtet und damit versucht einen Gegenmythos zu den Mythen des Westens zu schaffen, um diese „zu überformen und dadurch zu entmachten“, gibt es ein Kapitel über das Schenken. Darin beschreibt Barthes, dass es in Japan beim Schenken primär um die Geste des Schenkens geht und nicht so sehr um den Inhalt bzw. das Geschenkte an sich. Daher sind viele Kleinigkeiten in Japan oft opulent verpackt, viel opulenter, als es der bescheidene Inhalt darin vermuten lassen würde, vielleicht sogar verdient.
Don’t Look Up ist in diesem Sinne (Barthes) das ultimative Weihnachtsgeschenk von Netflix. Mit einem megalomanischen Staraufgebot verpackt ist es, wenn man es aufmacht, vom Inhalt her leider viel zu bescheiden, um als Zuseher damit wirklich glücklich zu werden. Vielleicht sollte man zu diesem Film weiter nicht mehr viel sagen und als Schlussfazit nur ein Wort weglassen: Don’t Look!
Seht euch lieber diese 10 Netflix and Chill Filme für eine Punktlandung beim Date an. Davon habt ihr viel mehr, als von deisem „Weihnachtsgeschenk“. Und ein Re-watch von Squid Game offenbart allemal mehr Einsichten als Don’t Look up beim ersten Mal. Aber jetzt genug davon.
Titelbild Credits: Netflix
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