Das Fusion Festival im norddeutschen Lärz, etwa 2 Stunden nördlich von Berlin, war mir lange kein Begriff. Immer wieder hörte ich von Freund*innen und Bekannten, dass es dort dieses “etwas andere” Festival gibt. Zuschreibungen wie “lebensverändernd”, “Bewusstseinserweiterung”, “Ferienkommunismus” und “Parallelwelt” wurden in diesen Gesprächen genannt.
Ein Festival der etwas anderen Art
Tickets für das Festival lassen sich regulär gar nicht kaufen, man muss sich in einer Lotterie für das Ticket bewerben und die Chancen, eines zu bekommen, stehen circa 1 zu 2! Auf etwa 70.000 Festival Tickets kommen über 200.000 Bewerbungen! Aber was macht dieses Festival so besonders?
Ich habe den weiten Weg in den Norden Deutschlands auf mich genommen, um diese Frage für euch zu beantworten.
Ein leichter Wind weht durch die Wasserstoff-gefärbten Haare des Ordners, der uns auf unseren Campingplatz lotst. Tausende sogenannte “Supporter” arbeiten beim Festival gratis mit und bekommen im Gegenzug ein Ticket geschenkt.
Das Festivalgelände befindet sich auf einem alten sowjetischen Militärflughafen. Die damalige Landebahn zieht sich wie eine Arterie durch das Festivalgelände und wird links und rechts von schier endlosen Campingplätzen flankiert.
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Der wohl größte augenscheinliche Kontrast zu anderen Mainstream Festivals ist die konsistente Abwesenheit von Marken oder Brandings, man befindet sich in einer kommerzfreien Zone.
Hier gibt es keine Werbebanner oder überteuerte VIP Bereiche, keine Mainstage, die von einem Mobilfunkanbieter präsentiert wird und keine kommerziellen Verkaufsstände, abgesehen von (den ausschließlich vegetarischen) Essensständen und Bars. Die Preise sind fair, 4 Euro für ein Bier, 25 Euro für eine Flasche Sekt, und 7 Euro für eine Pizza Margherita.
Die Veranstalter des Festivals sind als ehrenamtlicher Kulturverein organisiert, das Gelände befindet sich seit den frühen Nullerjahren in deren Eigentum. Die Einnahmen und Erlöse des Festivals werden zur Instandhaltung und Organisation des Festivals genutzt und um gemeinnützige, karitative und soziale Projekte mit Spenden zu unterstützen. Man kann also behaupten: Hier wird gefeiert, für einen guten Zweck!
Ein Line Up und Gelände, das verzaubert
Das Line Up und vollständige Programm wird meistens erst kurz vor Festival Beginn publiziert, offensichtlich geht es hier nicht um Blockbuster Bookings, um die Menschen anzulocken – obwohl sich das Line Up sehr wohl sehen lassen kann! Von Hip-Hop Acts aus der feministischen bzw. linken Fraktion, wie zum Beispiel Ikkimel, 6euroneunzig oder Pöbel Mc, über Live Bands wie Erobique (Urlaub in Italien) oder Friedberg, bis hin zu Techno Größen wie Dominik Eulberg, Ian Pooley und Co wird das Gelände mit musikalischer Diversität bespielt. Die musikalische Ausrichtung ist vordergründig elektronisch – jedoch variantenreich in ihrer Vielfalt. Hier hört man Musikrichtungen, die bei anderen Festivals fast ausgestorben sind: Dubstep, Roots Reggae, Jungle, Ambient, Reggaeton, Baile Funk, Progressive Psy Trance, Goa, Punk und andere Genres, die ich nicht klar und eindeutig identifizieren konnte, präsentieren sich der sehr interessierten Zuhörerschaft.
Mit über 40 gezählten Bühnen bietet die Fusion das wohl umfassendste Musikprogramm, das ich jemals auf einem Festival erlebt habe. Die Bühnen tragen kreative Namen wie Tanzwüste, Luftschloss, Turmbühne, Palast der Republik oder Panne Eichel – jede hat ihren eigenen Charme und musikalische Ausrichtung.
Das Rahmenprogramm wird bereichert durch Lesungen, Theater, Workshops, Kino und Vorträge. So konnte man auch dem Aufdecker Julian Hessenthaler zuhören und mehr über die Hintergründe der Ibiza-Affäre erfahren.
Die Turmbühne, quasi die Mainstage des Festivals, eröffnet am Donnerstag um 18:00 Uhr – ab diesem Zeitpunkt endet das musikalische Programm, bis auf ein paar kurze Verschnaufpausen, quasi nie! Personen, die in der Nähe der großen Bühnen übernachten, sollten sich adäquaten Gehörschutz mitnehmen.
Traumfänger trifft Rave-Stick
Wie ein verzauberter Wald mutet das Gelände an, wenn man durch das weitreichende Bühnen-Areal schlendert. Projektionen, aufwändig gestaltete Holzschnitzereien, beleuchtete Zelte, PyroTechnik, feuerspeiende Metalldrachen, Tribünen und Podeste aus Holz, dazu ausgefallene PA Anlagen mit einem Soundsystem, bei dem sich mancher Club etwas abschauen könnte – die ganze Aufmachung erinnert etwas an Mad Max im Techno Gewand.
Sieht man sich die Fusion Festival Besucher*innen genauer an, fällt auf, dass hier niemand ein Smartphone in der Hand hält – hier werden keine Instagram Stories gemacht und auch kein Feed voll gepostet – die Menschen leben wohl im Moment – vielleicht liegt es aber auch am kategorischen Fotoverbot am Dancefloor.
Getränke lassen sich mühelos vom Campingplatz auf das Festivalgelände mitbringen, mobile Händler*innen bieten Ihre Angebote feil und helfen dir bei allem, was du sonst zum Feiern brauchst!
Auch wenn es keine Polizei am Gelände gibt, läuft doch alles geregelt ab – die Menschen gehen respektvoll miteinander um und halten das weitläufige Festival Gelände bewusst sauber.
Teilweise muss man sehr lange Fußwege auf sich nehmen, um an den gewünschten Ort zu gelangen. Sanitäreinrichtungen wie Toilette und Dusche sind teilweise überlaufen, jedoch ist die Infrastruktur vor Ort professionell organisiert und falls man sich mal wo verläuft, gibt es immer eine freundliche Person, die dir weiterhilft! Nach drei Tagen voller Bässe, Kurzhaarfrisuren und Traumfängern ist es für uns wieder an der Zeit, unsere Zelte abzubrechen und zurück in unsere kapitalistisch geprägte Ellbogen- Realität zu fahren. Das Fusion Festival war auf jeden Fall eine willkommene Auszeit in einem Paralleluniversum, charakterisiert von einem hippiesken Gemeinschaftsgefühl, begleitet von guter Musik und tiefgründigen Gesprächen.
Manche nennen die Fusion Festival das “Burning Man” von Europa, auch wenn der Vergleich etwas hinkt, ist die Fusion der wohl letzte “nicht-so-geheime” Geheimtipp, wenn man ein Festival abseits von Mainstream und Kommerz sucht. Ein Festival, das den Begriff “Festival” neu definiert!
Titelbild © Jakob Kattner
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