Illegal Sprayen in Wien: Interview mit einem Graffiti Sprüher
Graffiti ist eine nicht mehr wegzudenkende Kunstform. In jeder Stadt Österreichs, findet sich hier und da ein Tag, ein kunterbuntes Piece an einer Wall oder kurzweilige Kunstwerke auf Metros und Zügen. In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit der illegalen Seite der Graffitikunst.
Dazu habe ich einige Wochen lang nach einem Kontakt gesucht und bin in Wien fündig geworden. Damit unser Gespräch möglichst frei bleibt, habe ich meinem Interviewpartner schon vorab Anonymität versichert. Ich darf euch also weder seinen echten Namen verraten, noch Werke oder Fotos von ihm zeigen. Wir konnten uns am Ende, allerdings auf ein Bild einigen — mehr dazu später.
In diesem ersten Artikel meiner Graffiti-Reportage, möchte ich herausfinden, weshalb illegale Graffitikunst noch besteht, trotz Free-Walls und Wall of Fames in Wien? Wie unterscheiden sich die Vorbereitungen zu legalen Graffiti-Projekten? Und welche Unterschiede sieht mein Interviewpartner selbst zum legalen Sprayen?
Was ist Graffitikunst überhaupt?
„Schon im Jahre 1850 wurde der Begriff Graffiti von Altertumsforscher:innen und Archäolog:innen zur Bezeichnung inoffizieller, gekratzter Botschaften übernommen, die sie bei Ausgrabungen in antiken Stätten fanden.“ – Graffitieuropa
Etymologisch leitet sich Graffiti vom griechischen Wort graphein ab und bedeutet so viel wie „kratzen“.
In den 1970ern begann die Street-Art-Bewegung in New York, Tags auf Züge und öffentliche Gebäude zu sprayen. Heute ist Graffiti längst eine anerkannte Kunstform. Nicht nur das illegale, auch das legale Sprayen bekommt immer mehr Aufmerksamkeit.
Hier sind die wichtigsten Bergriffe der Szene erklärt:
- Der Tag, ist die Unterschrift der Künstler*in und markiert ihre Werke.
- Beim Bombing, wird der (Künstler*innen-)Name so oft wie möglich in einer Stadt gesprüht.
- Ein Piece, ist ein aufwendiges und großflächiges Graffito.
In Wien gibt es schon einige Wände, die legal besprayt werden dürfen und noch mehr Wände, bei denen man ein, zwei Augen zudrückt, wenn darauf ein Kunstwerk hinterlassen wird. Doch an den meisten anderen Orten in Wien und über die Grenzen der Hauptstadt hinaus wird ein Graffito als Sachbeschädigung angesehen und als solche geahndet.
Oft sind es Geldstrafen, die von 600 bis 2.000 Euro variieren können, aber auch Freiheitsstrafen, bei denen sechs Monate bis fünf Jahre vorgesehen sind.
Interview mit einem illegalen Graffiti-Sprayer
Mein Interviewpartner, ich werde ihm das Pseudonym Sam geben, wartet bereits mit seinem Fahrrad auf mich am Westbahnhof. Bevor wir uns auf die ausgemachte Dachterrasse begeben, werden Höflichkeiten ausgetauscht und Einzelheiten zum Interview besprochen.
Sam wirkt schüchtern, aber aufgeweckt und interessiert. Er sieht nicht viel älter aus als ich, hat ein warmes Lächeln und freundliche Gesichtszüge. Sein Kleidungsstil ist unauffällig, passt aber in die Kategorie Streetstyle. Der Lift im Möbelgeschäft bringt uns auf die sonnige Dachterrasse. Oben angekommen, lässt mich der Ausblick kurz die Aufregung vergessen. Nach einer schnellen Aufklärung über die Tonaufnahme, fangen wir an.
© Alina Bogensperger / Dachterrasse
Wie kamst du zum Sprayen?
Über Freunde und Umfeld. Mir kommt vor in jedem Freundeskreis gibt es jemanden, der zum Sprayen anfängt oder Graffiti ausprobiert hat. Bei mir war es auch über Leute in meinem Umfeld, nur dass ich immer weiter gemacht und nicht mehr aufgehört habe.
Wie lange sprühst du schon?
Ich glaube so seit 12, 13 Jahren. Am Anfang, da war ich noch extrem jung. So jung, dass ich nachts nicht allein draußen sein durfte. Deswegen war das Ganze mit mehr Aufwand verbunden (lacht). Da musste ich noch aus dem Fenster klettern und war weit weg davon, zu wissen wie groß die Szene ist und was alles dazugehört. Man hat sich nur Sprühdosen geholt und in der Nacht eine Wand besprayt. Aber woher hätte das Wissen in dem Alter auch kommen sollen. Da gab es im Internet noch keine Anleitung.
Legal Sprayen oder illegales Sprühen?
Sam erzählt mir im Laufe des Interviews, dass er gerade in seinen Graffiti-Anfangszeiten, hauptsächlich illegal gesprayt habe. Erst später hätte er begriffen, dass es auch Legal-Walls gibt. An den Legal-Walls sei es ihm gelungen, seine Sprühkunst zu verbessern, sein Graffiti zu optimieren und neue Techniken auszuprobieren. Er betont im weiteren Verlauf des Interviews immer wieder, wie wichtig Legal-Walls für die Spray-Szene seien.
Warum sprayst du illegal?
Boah schwere Frage (lacht). Es ist einfach das Hobby das ich mir ausgesucht habe. Es macht Spaß und ich kann es mit Reisen kombinieren. Ich habe überall auf der Welt Leute kennengelernt. Eine Hauptmotivation ist auch, das Sprayen ein Hobby ist, dass ich von überall aus machen kann. Egal wo oder wann. Ob ich mir Spots anschaue, Skizzen mache oder mir Inspiration hole.
Ich sehe es halt als Form, um sich kreativ auszutoben. Beim illegalen Malen kommt das Auschecken der Places noch dazu. Manchmal liegst du da stundenlang im Gebüsch und schaust, ob und wann die Security kommt. Die Planung macht Spaß, es ist wie Urban Exploring nur mit dem zusätzlichen Malprozess. Du kommst an Orte an die andere Menschen nicht kommen, U-Bahn-Schächte zum Beispiel. Das hat einfach einen Reiz.
Wie sind die Vorbereitungen vor einer illegalen Sprayaktion?
Das ist extrem unterschiedlich. Es gibt Sachen, beziehungsweise Orte, die muss man sich länger anschauen. Die sind komplizierter, weil es dort zum Beispiel Sicherheitsbeamte oder Kameras gibt. Es gibt in der Szene Leute, die malen auf Züge, andere machen U-Bahnen oder welche die auf der Straße sprühen.
Es kommt halt immer drauf an, wo gesprayt wird. Auf der Straße gibt es nicht so viel Vorbereitung. Vielleicht wird vorher die Stelle angeschaut, die bemalt werden möchte und es wird jemand mitgenommen der für dich „checkt“, also Ausschau hält. Dann malt man halt drauf los. Auf der Straße ist unvorhersehbar, was passiert. Aber bei Zügen und U-Bahnen braucht es Vorbereitung. Da macht es schon Sinn, sich die Sachen öfter anzuschauen und mehrmals hinzugehen. Man schaut sich die Abläufe an, wie Securitys Aufsicht haben und wo Kameras sind.
© Alina Bogensperger / Donaukanal
Planung und Ablauf einer illegalen Sprayaktion
Bei den Fragen zu Ablauf und Planung war Sam zögerlich. Er hat mir einiges nicht beantwortet und oft in der zweiten oder dritten Person von sich selbst geredet. Er meinte am Ende zu mir, dass die Bewachung mittlerweile schon sehr gut sei und daher alles auf das Wissen von Abläufen und Zeitfenster ankäme.
Weißt du was dir in den letzten Minuten durch den Kopf geht, bevor du eine Aktion startest?
Wenn die Sprühaktion an einem Ort stattfindet, wo ich mich generell öfter befinde, dann kenne ich mich da schon perfekt aus und es ist so normal für mich, wie Zähne putzen am Morgen. Da muss ich nicht mehr viel Nachdenken. Dann gibt es aber auch andere Spots, wo ich nicht regelmäßig bin. Deswegen bin ich dort automatisch nervöser, denk über alles noch einmal nach. Über die Konsequenzen oder wie ich reagieren würde, wenn was schief geht.
Und wenn du erwischt wirst? Was dann?
Ähm, das kommt natürlich auf die Situation an. Wenn die Polizei kommt, dann lauft man in der Regel weg. Bei Securitys eigentlich auch, aber es kommt ganz drauf an, wie die Leute auf dich reagieren. Es passiert auch manchmal, dass gerade ein Zug bemalt wird und dann kommt jemand vom Putzpersonal. Entweder ist es der Reinigungskraft egal, dass du da gerade sprayst oder eben nicht.
Es kann alles passieren. In der Regel ist es aber gut, Ruhe zu bewahren und nicht in Hektik zu geraten. Natürlich wird aber versucht, solche Situationen komplett zu vermeiden.
Mit welchen Konsequenzen musstest du wegen dem illegalen Sprayen bereits rechnen?
Das kann ich dir leider nicht so genau beantworten, da es zu viel von meiner Person verraten würde. Aber so allgemein sind Hausdurchsuchungen beliebt, mit Untersuchungshaft in anderen Städten und Ländern muss ebenfalls gerechnet werden und natürlich Geldstrafen. Ich kenne auch einige Fälle, wo jemandem aus der Szene Gewalt von der Polizei widerfahren ist. Also die Konsequenzen können schon vielseitig sein.
Welche Disziplinen gibt es beim Sprayen?
Ich wusste schon vor dem Interview, dass Sam bereits Züge, S-Bahnen und Metros besprayt hat. Mich hat hier vor allem interessiert, wieso jemand gewillt ist, so ein hohes Risiko einzugehen, obwohl Metros, eingestellt werden, sobald sich Graffiti auf ihnen befindet. Erst wenn die Wagons gereinigt worden sind, darf die Metro den Bahnhof verlassen.
Ist das Sprayen auf Züge für dich die Königsdisziplin?
(Lacht) Nein. Ich verstehe, wieso viele Leute meinen, dass es die Königsdisziplin ist. Es wird am meisten gehypt und die Konsequenzen sind am größten. Wenn du in Asien eine U-Bahn bemalst, kannst du dafür für einige Jahre ins Gefängnis kommen und dann finden dich die Leute krass. Aber ich denke, dass egal wo oder auf was du sprayst, du kannst es zu deiner Königsdisziplin machen. Wenn du etwas gut kannst und dieses Können weiter verbesserst, dann ist es deine Königsdisziplin. Ich teile auch nicht die Meinung, dass jemand krass ist, weil er eine Gefängnisstrafe bekommen hat.
Gibt es Auswahlkriterien, welchen Zug du beispielsweise anmalen möchtest?
Ja auf jeden Fall. In der Zug- und U-Bahn-Sprühszene geht es häufig um die Modelle. Wenn du in Österreich mit dem Zug fährst, kennst du wahrscheinlich die verschiedenen Züge; S-Bahn, Railjet und so weiter. Da gibt es Modelle, die sehen optisch cool aus.
Der Anreiz für Sprühende ist auch oft, möglichst viele Zugmodelle zu malen. Meistens sind die alten Züge die schönsten, so wie die alte Wiener S-Bahn. Dazu kommt noch, dass viele Zugmodelle bald nicht mehr fahren. Es ist irgendwie ein Zug-Nerd-Ding. Manchmal ist es so, dass ein Projekt nicht verwirklicht wird, weil vor Ort nicht das richtige Zugmodell stand. Auf einen neuen „Plastikzug“ möchte man nicht malen. Am Ende des Tages bleibt uns Sprühern nur ein Foto von dem besprayten Zug, daher spielt es eine Rolle, welcher Zug gewählt wurde.Zeigst du die Fotos deiner Werke jemanden?
Also ich mache mehrere Sachen in einer Woche und schau mir die Bilder dann alle paar Monate durch. Aber da gibt es verschiedene Antriebe, viele wollen aus den Fotos ein Buch machen oder was weiß ich.
© Sam
Auf was arbeitest du hin?
Auf ein Buch (lacht).
Hat dein Graffiti eine Bedeutung?
Nein, nicht wirklich. Ich denke ziemlich viel an das zukünftige Foto, wenn ich male. Natürlich will ich, dass das Bild gut ausschaut, aber ich überlege schon, welche Position gut für das Foto ist. Denn, das Foto ist das, was bleibt.
„Die Konzentration ist eine andere“
Inwiefern unterscheidet sich die illegale Street-Art zu legalen Graffiti-Projekten?
Das Gefühl ist anders. Der Grund, weshalb man es macht, ist irgendwie derselbe, aber beim illegalen Malen kommen noch weitere Zusatzaspekte dazu. Die Konzentration ist eine andere. Wenn ich illegal male, bin ich im Kopf freier. Ich male sehr selten auf legalen Wänden. Obwohl ich es gerne öfter machen würde, um mehrere Stile ausprobieren zu können.
Findest du Wien ist eine Graffiti-freundliche Stadt?
Ja, auf jeden Fall. Wien setzt sich für legale Wände ein, es gibt Leute, die Kultur fördern. Wien ist in Österreich schon die coolste Stadt fürs‘ Sprühen. Graffiti ist schlussendlich eine eigene Form von Kultur. Es ist eine Form um sich Auszudrücken, die Bewegung selbst ist zwar noch relativ jung, aber es ist eine Bewegung mit kulturellem Aspekt, die ins Stadtbild eingreift.
Der charismatische Sprayer
Ich war von Sam, seinem Auftreten und seiner Art zu reden, überrascht. Sam war schüchtern und zurückhaltend, wusste aber genau, was er sagen wollte und hat sich klar und verständlich ausgedrückt. Es wurde nicht viel herumgeredet, keine Ausreden oder Entschuldigungen gesucht. Trotzdem wirkte alles überlegt und nichts, was Sam während dem Treffen und Interview zu mir gesagt hat, klang naiv oder rücksichtslos.
Wir sprachen off-record, auch noch kurz über seine Grenzen. In diesem Gespräch hat Sam mir verraten, dass er nie private Häuser oder Wohnung besprayen würde. Bei großen Firmen, die das Geld für eine Reinigung hätten, denke er allerdings anders.
Den Kontakt von Sam zu bekommen, hat mich einiges an Nerven und Zeit gekostet. Trotzdem bin ich froh, dass das Gespräch stattfinden konnte. Ich möchte mich an dieser Stelle für Sams‘ Vertrauen bedanken und freue mich schon auf sein geplantes Buch.
Titelbild © Alina Bogensperger
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