Das seelische Leid ist unsichtbar und für Außenstehende meist nicht fassbar. Das ist mitunter einer der Gründe, weswegen psychische Erkrankungen tabuisiert werden und Betroffenen nur wenig Unterstützung zur Verfügung gestellt wird. Gerade für finanziell schwache Menschen stellt sich die Suche nach einem kostengünstigen bzw. gar kostenlosen Therapieplatz sehr schwierig dar. Doch es gibt sie – die Hilfe aus der Ausweglosigkeit.
Die damals 18-jährige Sarah* war eine der Betroffenen. Die Studentin litt in ihrer Jugend an Magersucht, woraus sich bald auch Angststörungen und eine schwere Depression entwickelten. Ihr wurde bewusst, dass sie dringend Hilfe benötigte und sie wandte sich in ihrer damals scheinbar hoffnungslosen Situation an Rat auf Draht.
Sarah benötigte dringend einen Therapieplatz, hätte sich die horrenden Therapiehonorare allerdings niemals leisten können. Mit dem Hinweis auf ihre finanzielle Situation erhielt die junge Studentin von Rat auf Draht den Link zu www.psyonline.at – einer Website, die Therapeutinnen mit teilweiser oder sogar voller Kostenübernahme durch die Krankenkasse auflistet. Auf dieser Website besteht die Möglichkeit, u.a. nach Bundesland und Postleitzahl, Methoden, Fachgebieten und Alterszielgruppen zu filtern.
Auf psyonline.at konnte Sarah bei den freien Plätzen ihre Therapeutin finden, bei der sie mittlerweile seit vier Jahren in Behandlung ist. Einen „Schnuppertermin“ erhielt sie zum damaligen Zeitpunkt bereits nach zwei Wochen.
Volle Kostenübernahme der Therapie versus Teilrefundierung
Grundsätzlich kann zwischen den TherapeutInnen mit Kassenplätzen gewählt werden. Im Gegensatz zu privaten PsychotherapeutInnen sind die Plätze hingegen stark limitiert. Dennoch können die Kosten von der Krankenkassa auch bei privaten Therapiestunden teilrefundiert werden: Die ÖGKK beispielsweise verlangt dafür eine ärztliche Bestätigung, die dem Psychotherapeuten oder der Psychotherapeutin zu Beginn vorgelegt werden muss.
Spätestens bis zur elften Therapiesitzung sollte ein Antrag auf Kostenzuschuss gestellt werden – nachträgliche Anträge werden nicht bewilligt. Diesen reicht üblicherweise der Therapeut bzw. die Therapeutin bei der Krankenkasse ein. Vertrags-PsychotherapeutInnen rechnen die Sitzungen direkt mit der Kasse ab, bei Wahl-PsychotherapeutInnen hingegen muss der oder die Betroffene die Kosten zunächst selbst tragen und kann anschließend um Kostenzuschuss ansuchen.
Die dafür notwendigen Unterlagen sind eine ärztliche Bestätigung, eine bereits bezahlte und detaillierte Honorarnote (inklusive Behandlungsart, Diagnose etc.) sowie ein Zahlungsnachweis. Der Kostenzuschuss beträgt bei einer 60-minütigen Einzelsitzung € 28,00.
Depression – Modeerscheinung oder tatsächliches Problem?
In Österreich litten 17,7 % der Bevölkerung im Jahr 2016 an psychischen Erkrankungen. Der EU-Durchschnitt lag zu diesem Zeitpunkt bei 17,3 %. Im Depressionsbericht des Sozialministeriums aus dem Jahr 2019 ist von 5,1 % Betroffenen mit Depressionserkrankung die Rede. Allerdings handelt es sich dabei nur um einen Richtwert, denn die Dunkelziffer liegt vermutlich viel höher.
Viele Erkrankte nehmen ihre Situation entweder nicht ernst oder schämen sich davor, um Hilfe anzusuchen. Psychische Erkrankungen sind oftmals der Beginn vieler physischer Krankheiten. Diese Zahlen zeigen deutlich, dass Handlungsbedarf besteht und dringend mehr Therapieplätze zur Verfügung gestellt werden müssen, um die psychische Gesundheit der Bevölkerung sicherzustellen.
Suizid als eine der häufigsten Todesursachen
14,4 von 100.000 ÖsterreicherInnen nahmen sich 2018 das Leben. Damit gehört der Suizid zu einer der häufigsten Todesursachen bis zum 50. Lebensjahr. Bei Personen zwischen 15 und 29 Jahren liegt der Suizid als Todesursache sogar an zweiter Stelle. Es wird davon ausgegangen, dass depressive Erkrankungen dieses Jahr neben Herz-Kreislauf-Krankheiten zu den vorherrschenden Ursachen der Krankheitslast zählen werden.
Psychische Erkrankungen haben auch weitreichende Folgen für das Arbeits- und Wirtschaftsleben, denn nicht selten sind Betroffene arbeitsunfähig. Der Vizepräsident des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie (ÖBVP) Wolfgang Schimböck wies am Welttag der Suizidprävention auf die Notwendigkeit hin, betroffenen Personen schnellstmöglich erste Hilfe zu leisten.
Dauer der Kostenübernahme durch die Krankenkasse
Wie lange Therapiekosten von der Krankenkassa übernommen werden, hängt von Art, Schwere und Dauer der psychischen Erkrankung ab. Sarah verfasste in ihrer ersten Therapiestunde gemeinsam mit ihrer Therapeutin einen Brief an die Krankenkasse. Dieser enthielt alle Informationen über die Gründe der Inanspruchnahme eines Kassenplatzes und die Schilderung ihrer finanzielle Situation. Sarahs Therapeutin musste anschließend beurteilen, ob und wie lange Therapiestunden notwendig seien. Zum damaligen Zeitpunkt wurden die Sitzungen für zwei Jahre von der Krankenkassa genehmigt und in weiterer Folge um zwei Jahre verlängert.
In Summe erreichte Sarah nun 150 Therapiestunden. Eine weitere Verlängerung hält ihre Therapeutin allerdings für unwahrscheinlich. Offenbar hatte die Studentin zum Zeitpunkt des Therapiebeginns ziemliches Glück, da die Kassenplätze grundsätzlich sehr limitiert sind und man üblicherweise mit längeren Wartezeiten rechnen muss.
Um die Chance auf die Verlängerung des Kostenzuschusses durch die Krankenkasse zu erhalten, bedarf es einer Diagnose durch klinische PsychologInnen oder PsychiaterInnen. Außerdem muss der oder die behandelnde Therapeut bzw. Therapeutin bestätigen, dass durch die Psychotherapie bereits Erfolge erzielt wurden.
Zwei-Klassen-Psychotherapie?
Herrscht beim psychotherapeutischen Angebot eine Kluft zwischen Privat- und Kassenpatienten? Sarahs Therapeutin betreut neben privaten auch Kassen-KlientInnen. TherapeutInnen können selbst entscheiden, ob und wie viele Kassenplätze sie vergeben möchten. Ein qualitativer Unterschied wäre der Studentin nicht aufgefallen.
Die Therapiesitzungen dauern in der Regel 45 Minuten und wie oft diese stattfinden, dürfen sich PatientInnen aussuchen. Das bedeutet allerdings natürlich, dass sich die Dauer der Therapie in Summe verkürzt, da die Stunden schneller „aufgebraucht“ werden.
Kann Therapie wirklich helfen?
Ob die Psychotherapie betroffenen Personen tatsächlich hilft oder psychische Erkrankungen heilt, hängt auch von der Persönlichkeit der KlientInnen ab. Betroffene müssen die Bereitschaft und den Willen haben, sich auf die Therapie einzulassen und diese auch regelmäßig zu besuchen. Sarah empfand die Therapiesitzungen zu Beginn nicht als hilfreich. Sie erhoffte sich Tipps von ihrer Therapeutin, war allerdings gezwungen, sich selbst mit ihren Gedanken und Problemen auseinanderzusetzen.
Ihre Psychotherapeutin gab ihr hierfür zahlreiche Denkanstöße, wodurch die Studentin lernte, selbst zu reflektieren. Die Therapie war also nicht nach einer 45-minütigen Einheit pro Woche zu Ende, sondern wirkte noch Tage und Wochen fort. Letztlich besteht der Erfolg darin zu lernen, auch unabhängig von der Psychotherapie seine eigene Denkweise nachhaltig zu optimieren.
Hilfe im Notfall: Der Psychosoziale Dienst
Wer akut Hilfe benötigt, kann im Notfall beim Psychosozialen Dienst (PSD) um Rat und Beistand ansuchen. Dieser ist in Wien rund um die Uhr telefonisch unter (01)31330 erreichbar. Die MitarbeiterInnen des PSD können in Notsituationen auch Angehörigen wichtige Tipps und Anweisungen für weitere Schritte geben. In Wien gibt es mehrere Standorte, bei denen Personen in psychischer Not erste Hilfe, z.B. in Form eines Gesprächs oder einer Medikation bekommen können.
*Name von der Redaktion geändert.
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