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In der Antike wurde Kreativität oft mit Krankheit assoziiert. Man glaubte, dass nur jemand der an einer körperlichen oder geistigen Krankheit litt, ein Künstler werden konnte. Doch gibt es wirklich einen Zusammenhang zwischen Kunst und seelischem Leid und wie sieht der aus?
„LEIDENSCHAFT – LEIDEN SCHAFFT“
Eines der womöglich bekanntesten Werke, „Der Schrei“ von Edvard Munch wurde von einer Panikattacke inspiriert. Munch schrieb folgendes in sein Tagebuch: „Ich ging mit zwei Freunden die Straße hinab. Die Sonne ging unter – der Himmel wurde blutrot, und ich empfand einen Hauch von Wehmut. Ich stand still, war todmüde und lehnte am Geländer – über dem blauschwarzen Fjord und der Stadt lagen Blut und Feuerzungen. Meine Freunde gingen weiter – ich blieb zurück, zitternd vor Angst – ich fühlte den Schrei in der Natur. Ich malte dieses Bild – malte die Wolken wie wirkliches Blut – die Farben schrien.“
Etwa zehn Jahre zuvor hatte sich sein Künstlerkollege Van Gogh nach einem Streit sein Ohr abgeschnitten. Zwei Jahre darauf schoss er sich in die Brust und unterlag den Verletzungen. Schriftstellerin Sylvia Platt nahm sich mit 30 Jahren ihr Leben indem sie ihren Kopf in einen Gasofen steckte, während einer depressiven Episode.
Tschaikowsky schrieb in einem Brief an seinen Neffen: „Es gibt Tage, Stunden, Wochen, ja Monate, in denen alles schwarz aussieht und ich von dem Gedanken gequält werde, dass man mich aufgegeben hat, dass sich niemand für mich schert.“
Auch Kurt Cobain erkannte einen Zusammenhang zwischen seinem Leid und seinem Schaffen : „Thank you for the tragedy, I needed it for my art.“
Studien zum Zusammenhang von psychischen Störungen und Kreativität
Lord Byron: „Wir von der Kunst sind alle wahnsinnig. Manche Leiden unter Fröhlichkeit, andere unter Melancholie, aber alle sind wir mehr oder minder verrückt.“
Eine Studie des „Office of National Statistics“ aus England, welche im Zeitraum von 2011 bis 2015 durchgeführt wurde, zeigt auf, dass Menschen in Kunst bezogenen Jobs ein vier Mal höheres Risiko aufweisen an Suizid zu sterben.
Eine weitere Studie aus 2013 suggeriert, dass das Schriftstellerdasein speziell mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit einer Schizophrenie, bipolaren Störung, Depression, Angststörung, Drogenmissbrauch und Suizid verbunden ist. Zwei Jahre später kam die Wissenschaft zu dem Schluss, dass die Wahrscheinlichkeit, dass kreative Menschen Gene für psychische Erkrankungen in sich tragen, 25% höher ist.
Es gibt also einen klaren Zusammenhang zwischen Kreativität und Gemütsstörungen, wie zum Beispiel Depressionen. Neurowissenschaftlerin Nancy C. Andreasen erklärt den Zusammenhang zwischen Depressionen und Kunst in ihrem Buch „The Creative Brain“ folgendermaßen: Kreative Menschen sind offener für neue Erfahrungen, sie haben eine höhere Toleranz für Ambiguität und können somit Dinge auf eine völlig neue Art und Weise betrachten. Weniger kreative Menschen reagieren in Situationen oftmals nach vorgelebten Modellen, während kreative Menschen in einer fluiden und schwammigen Welt leben.
Dies kann zu sozialer Entfremdung führen. Raf Camora thematisierte dieses Problem in seinem Lied „Dumm und Glücklich“. Er stellt sich die Frage, warum er nicht einfach wie alle anderen sein kann, nicht überlegen und sein Leben genießen und kommt dann zu dem Schluss: „ICH MUSS LEIDEN UM ZU ÜBERLEBEN“ .
Doch Künstler entfremden sich oftmals nicht nur von der Gesellschaft und ihren Mitmenschen, sondern auch von sich selbst. Viele kreative Menschen leiden unter dem sogenannten „Hochstapler“- Syndrom. Betroffene sind von massiven Selbstzweifeln hinsichtlich ihrer eigenen Leistungen und Fähigkeiten geplagt und haben das Gefühl, ihren Erfolg nicht verdient zu haben.
Psychische Probleme können ein Teil der künstlerischen Identität werden. Eine Besserung könnte somit zu einer Identitätskrise führen. Munch war sich seiner Angststörung bewusst, doch er unternahm nichts dagegen. Er war sich sicher, dass seine Krankheit notwendig für sein künstlerisches Schaffen war. Ihr Untergang wäre auch der Untergang seiner Kunst gewesen.
KUNST ALS THERAPIE
Picasso drückte seine depressive Verstimmung mithilfe seiner Werke aus. Für ihn spielte die Verwendung von Farben eine zentrale Rolle. Der Schaffensraum von 1901 bis 1904 wurde unter dem Namen „Blaue Periode“ bekannt. Auf Picassos „Blaue Periode“ folgte eine Art Emanzipation. Er schaffte es sich von den Einflüssen der Avantgarde und der anderen Künstler zu lösen und seinen eigenen Stil zu entwickeln. Die Depression war somit ein Grundstein für den Ausbruch aus vorbestimmten Strukturen und Denkmustern.
Doch auch im 21. Jahrhundert findet man immer noch viele Künstler, die einen ähnlichen Gemütszustand wie Tschaikowsky, Picasso und Co. beschreiben.
Musiker Raf Camora sagte 2012 in einem Interview, dass viele seiner Texte nicht entstanden wären, wenn er nicht gespürt hätte, was es heißt, geistig zu leiden. „Melancholie bis auf die blanken Knochen. Suizidgefährdet, verloren und depressiv.“ , beschreibt er seinen Gemütszustand in „Therapie nach der Zukunft“. Der Künstler hatte eine schwierige Kindheit, war in therapeutischer Behandlung und sagt von sich selbst, dass er eine Zeit lang kurz davor war „auszuticken“ .„Musik hat mich geheilt.“, sagte er. Musik habe ihn aus allem gerettet, aus Neurosen, Psychosen und Paranoia.
2016 sagte er: „Wenn ich meine Dämonen nicht habe, stagniere ich.“
Man könnte hier sozusagen von einer Wechselbeziehung sprechen: Psychische Störungen können als Motor für die Kunst fungieren und gleichzeitig kann die Kunst als eine Art der Erlösung betrachtet werden.
Informationen und Hilfe bei Depressionen findest du hier und hier.
Titelbild Credits: Shutterstock
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