Es gehört schon zur Normalität, sich diverse pornographische Inhalte zur Hilfe zu nehmen. Es ist ja auch nichts dabei – solange es in Maßen passiert. Aber wie die Statistik von Pornhub offenlegt, gab es dort im Jahr 2019 durchschnittlich 115 Millionen Besuche pro Tag (!). Und das ist immerhin nur eine Plattform. Durch Zufall kam ich auf Idee, einen Selbstversuch zu starten. Ein radikaler Pornoentzug – ob das was ändert?
Wie bei so vielen Dingen glaube ich, dass unsere Gesellschaft auch mit pornographischen Inhalten einen fast schon krankhaften Umgang pflegt. Nur redet nie wirklich jemand darüber. Dennoch masturbieren viele mit heruntergelassenen Jalousien und Hosen zu Hardcore-Pornos. Natürlich ist es wichtig, seine Sexualität auszuleben. Aber manchmal führt einen der Äther der Schmuddelfilmchen auch in die Hände einer Aufnahme, für die man sich womöglich nachträglich ein bisschen schmutzig fühlt oder gar schämt. Dabei beginnt es immer so harmlos.
Aller Anfang ist schwer – oder in diesem Fall hart
Eine selbstgebrannte CD mit Bildern nackter Frauen. Der Drucker beherrscht nur Schwarzweiß. Egal. Denn entblößte Brüste sind mit 11 Jahren auch ohne Farbe ein absolutes Highlight. Man war schnell zufrieden. Und auch feuerbereit. Viel mehr gab es ja nicht. Internet – das hatten nur die reichen Kinder.
Mit 13 Jahren habe ich dann zwei DVDs bei einer Freundin meiner Mutter mitgehen lassen. Ich schäme mich für nichts. Die Titel noch immer präsent in meinem Kopf. „2 Dicks in 1 Chick #3“ und „Fuck WG“. Das war auch das Jahr, als Bruce Allmächtig rauskam. Eine Fügung des Schicksals. Denn mein Vater wusste, dass ich Jim Carrey liebe. Also gabs von ihm einen DVD-Player und den Film zu Weihnachten.
Eine kurze Ära des dauernd mit sich allein sein Wollens folgte. Statt der Dauerschleife Bruce Allmächtig gab es Stöhnen auf und ab in voller Lautstärke. Zumindest so viel wie mein 20cm-Röhrengerät hergab. Wir wohnten am Land. Die einzige Nachbarin war eine recht alte Dame. Ich bildete mir ein, sie könnte nicht gut hören. Vielleicht konnte sie es. Doch das war mir egal. Endlich nicht mehr nur das Cover der 2 DVDs als Vorlage verwenden. Ich werkelte also, bis überhaupt nichts mehr ging.
Es dauerte nicht mehr lange bis zum ersten Mal. Echter Sex nach so viel Reizen. Nicht das beste erste Mal. Aber wer hatte das schon. Dass auch der rasch gestiegene Pornokonsum eine Rolle spielen könnte, weshalb ich es nicht bis zum vollwertigen Abschluss schaffte, kam mir damals nicht in den Sinn. Aber eine nackte Frau war nicht mehr so außergewöhnlich, wie es vielleicht ohne die Bilder der entblößten Körper sich räkelnder und stöhnender mid-zwanzigjähriger Pornobräute gewesen wäre.
Viele Jahre, viel Sex, aber immer noch Porno
Absolut normal. Sich einen von der Palme wedeln, wenn mal wieder nichts auf Tinder geht. Aus Faulheit zumeist der Griff zu diversen Seiten mit gratis Bewegtbildmaterial. Geht schnell, geht unkompliziert. Wir nehmen die Leistungsgesellschaft und den Zeitstress sogar in unsere One-(Wo)man-Shows ohne Publikum mit. Je höher die Frequenz an echtem Sex, umso mehr auch das Bedürfnis nach Sex. Daher auch mehr vom Spaß allein.
Obwohl es bereits gute Alternativen gibt, greift man eben oft aus Zeitdruck auf Massenware. Zwar nicht so oft wie noch als Teenager, aber trotzdem mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Pornosucht? Ich glaube nicht. Was ich aber weiß, mein Sexleben hatte sich verändert. Eh klar – bin ja keine 20 mehr. Aber manchmal habe ich mich selbst schon gefragt, ob nicht auch der Konsum von Mainstream-Pornos einen negativen Einfluss auf mich hat.
Die Grenzen wurden immer wieder neu definiert. Das lag auch daran, dass ein Orgasmus nicht mehr selbstverständlich war. Mit Tinder erreichte das dann nochmal ein neues Level. Da gab es Wochen, in denen ich fast wie ein Verrückter dem Orgasmus nachjagte. Und trotz intensiver bettsportlicher Betätigung nur mäßiger Erfolg. Ich dachte, das wäre das Alter. Aber das allein war es nicht.
Ein Moment der Erleuchtung – wenn auch ein absurder Moment
Die Uhr stand kurz vor Lockdown 1.0. Wieder so eine Tinderbekanntschaft. Ein kurzes Date mit sehr offenen Gesprächen. Als sie mir dann eröffnete, dass sie es cool findet, Filmchen laufen zu lassen, während man miteinander spielt, fand ich die Idee anfangs äußerst prickelnd. Ich kannte das zwar schon. Aber nur mit Partnerinnen, nicht mit Kurzzeitaffären oder One-Night-Stands.
Als wir dann so unser Ding machten, fing mein Hirn an, tiefphilosophische Fragen zu erörtern. Bester Zeitpunkt. Kennt man. Aber das war so selbstkritisch, dass es sogar mich überrascht hatte. Der Kontrast zwischen dem, was auf dem Bildschirm passierte und dem, was wir miteinander machten, war absurd. Da wurde mir bewusst, was diese Reize bei mir anrichten. Welche Bedürfnisse sie wecken. Bedürfnisse, die in Wirklichkeit nicht meine eigenen sind. Darauf folgte ein Entschluss.
Ein halbes Jahr pornofrei – mit erstaunlichem Ergebnis
Was als vermeintliche Kurzschlussidee begann, bekam mit dem Lockdown dann seinen Vollzug. Keine Pornos mehr. Auf unbestimmte Zeit, aber mindestens drei Monate. So der Vorsatz. Während des Lockdowns vielleicht nicht die beste Idee, weil gerade keine Affäre zur Hand. Aber wann ist für sowas schon ein guter Zeitpunkt? Ich erzählte niemandem etwas davon. Klar, ich weiß wie Menschen sind. Sie würden versuchen, mich zu triggern oder sich einen Spaß daraus zu machen. Erst recht meine Freunde. Da bekäme ich einige Nachrichten mit perversen Videos.
Glücklicherweise musste ich während der „Ausgangssperren“ nicht ganz auf Sex verzichten. Auch Masturbation war ohne Pornos weiterhin erlaubt. Aber der videographischen Form von sexuellen Reizen wollte ich mich jedenfalls nicht mehr aussetzen. Zu Beginn fühlte es sich nicht sonderlich anders an. Nicht anders mit Frauen. Nicht anders mit mir allein.
Nach einer Weile – wenn ich mich recht erinnere, war es sogar recht rasch – setzte eine Veränderung ein. Zeit mit mir allein zelebrierte ich auf einmal. Von der Pflicht nun zur Kür. Und im Zweiergespann? Hier offenbarte sich eine Welt, die ich beinahe schon vergessen hatte. Nicht nur der Akt an sich fühlte sich lebendiger an. Es waren plötzlich wieder Kleinigkeiten, die Begeisterung in mir hervorriefen. Für das Gegenüber. Für den Moment. Sogar für nackte Brüste, obwohl davon schon einige mein Blickfeld in Kurzdistanz gekreuzt hatten. Und ja – auch der Orgasmus hatte wieder einen vollkommen anderen Stellenwert. Ein bisschen wie mit 16.
Offen gestanden war es nicht immer leicht. An manchen Tagen konnte deshalb zeitbedingt keine Stressreduktion durch Handanlegen praktiziert werden.
Pornoentzug als Multiplikator für den eigenen Höhepunkt
Die Pornosucht konnte ich ausschließen. Aber es gab auf jeden Fall zu viele sexuelle Reize. Die bestehen ja auch bereits ohne Schmuddelfilme. Hinzu kommt, dass Probleme und Schwierigkeiten im sexuellen Kontext in der Welt der Männer gerne kleingeredet werden. Wir wollen eh immer. Wir können eh immer. Deshalb kann es da auch keine echten Probleme geben. Der ehrliche Zugang zu sich selbst geht in Erwartungshaltung und Übersexualisierung unter. Den richtigen Zugang zu sich selbst finden womöglich sogar Frauen früher, weil ebendiese sich bereits früh mit ihren Problemstellen konfrontiert sehen, wenn sie Sex in vollen Zügen genießen möchten.
Der Orgasmus des Mannes ist mit dem Öffnen einer Weinflasche zu vergleichen, während jener der Frau in jungen Jahren eher einem Rubiks Cube gleicht. Mit zunehmendem Alter holen Frauen aber ordentlich auf und erreichen ein anderes Level, sind meist sogar schneller und haben ein intensiveres Erlebnis. Während Männer noch immer die Flasche mit einem groben Ruck öffnen. Da spielt mit Sicherheit auch die Welt der Pornos eine Rolle. Leistungsdruck, falsche Vorstellungen, ein schlechter Zugang zu sich selbst und kein echtes Fallenlassen in vielen Fällen.
Ich selbst hätte nicht behauptet, dass ich massiv beeinflusst war von diesen Filmen. Aber bei nachträglicher und ehrlicher Betrachtung muss ich das wohl dementieren. Ich hatte oft richtig guten Sex. Doch der Zugang zu mir selbst und zu meinem Gegenüber hatte sich womöglich durch den Konsum von Pornos verändert. Alles war schnelllebig. Es war auf eine gewisse Art fast fremdbestimmt. Und dieses – nennen wir es mal – Projekt gab mir wieder einen Anstoß, mehr meine eigene Sexualität zu leben und zugleich auch nicht derart überreizt zu sein. Das kann jeder halten, wie er es möchte. Aber solch eine Entziehungskur kann ich jedem nur wärmstens empfehlen. Ich werde jedenfalls bei dieser radikal reduzierten Variante bleiben.
Und ja, Pornographie sollte man nicht nur in Hinblick auf die eigene Sexualität kritisch betrachten. Gerade bei jungen Menschen, die von klein auf einen Internetzugang haben, dürfte dies womöglich einen noch stärkeren Effekt haben.
Zudem gibt es weitere Kritikpunkte. An der Fülle des Angebots kann man sehen, welche Bedingungen in diesem Business herrschen müssen – ebenso daran, dass der Großteil gratis ist. Auch darüber sollte mehr diskutiert werden. Wir plädieren jedenfalls für feministische Alternativen.
Titelbild Credits: Lolostock / Shutterstock
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