Toxische Pommes ist im Internet so etwas wie eine kleine Revolution für Österreich. Hunderttausende Follower auf TikTok und Instagram bezeugen fast täglich ihre knappen, sehr geistreichen und überaus witzigen Clips. Doch funktioniert sie auch als Autorin? Wir haben ihr neues Buch Ein schönes Ausländerkind gelesen und geben unseren Senf dazu.
Internetstar mit riesiger Online-Fan-Gemeinde
Toxische Pommes hat eine beachtliche Fangemeinde von Hunderttausenden Anhänger*innen, die sie mit ihrem einzigartigen Humor begeistert. Als satirische Entertainerin bringt sie auf originelle Weise die Feinheiten und subtilen Facetten zwischenmenschlicher Interaktionen in der österreichischen Gesellschaft humorvoll zur Geltung.
Mit scharfem Witz analysiert sie Klischees, Vorurteile und politische Realitäten und scheut sich nicht, rassistische Tendenzen und Xenophobie anzusprechen, die in Österreich, aber auch darüber hinaus existieren. Auf gerade einmal 15 Sekunden sind diese treffsicheren Kommentare zum Zeitgeschehen reduziert und geradezu beängstigend erfolgreich. Nun hat die Online-Satirikerin ihren ersten Roman veröffentlicht und man darf gespannt sein, ob ihr der Umstieg in der Erzählform gelungen ist.
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Exilliteratur mit neuen Impulsen
Die sogenannte Exilliteratur ist ein literarisches Feld, um nicht zu sagen Genre, das sich im deutschsprachigen Raum recht gut etabliert hat – auch oder vielleicht vor allem in Österreich. Autoren und Autorinnen wie zum Beispiel Ilija Trojanow, Dimitré Dinev und die unlängst mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnete Barbi Marković haben die Messlatte ziemlich hoch gelegt. Und so ist es schon von Anfang an schwer für das Buch von Toxische Pommes Ein schönes Ausländerkind wirklich neue Impulse zu setzen.
Dennoch gelingt es der Neo-Literatin, eine bekannte Geschichte durchaus anders zu erzählen. Anstatt als Migrantin den Feind (ganz einfach und auch offensichtlich) in der österreichischen Gesellschaft zu suchen (obwohl man sich wünschte, sie würde es tun!) und in diese Richtung ihren Shit abzulassen (und ja, Österreich hätte diesen Shit mehr als verdient!), legt die Satirikerin ihren Fokus auf die dreiköpfige Einwanderer-Familie. Hält sich dabei mit ihrem vertrauten Humor jedoch überraschend zurück. Wer ein Gag-Feuerwerk, wie in ihren Clips erwartet, der wird eines „Besseren“ belehrt und bekommt eine geradezu herzerweichende Geschichte serviert.
Das Leben in Österreich: Vom Regen in die Traufe?
Aber zurück zur Story: Vater, Mutter, Tochter fliehen vor dem sich anbahnenden Bosnienkrieg nach Österreich. Die Eltern sind gebildet (Akademiker und Akademikerin) und versuchen, sich in einem Land durchzuschlagen, wo sogar die Hilfe, die ihnen geboten wird, eine obskure Form von Ausbeutung und auch Hass mit sich bringt.
Eine österreichische Familie nimmt die Fliehenden nämlich in einem ihrer Häuser auf – nur um die Mutter und den Vater als eine moderne Art von Haussklaven zu missbrauchen. Die geflohene Familie darf das Haus zwar bewohnen, im Gegenzug hat die Mutter der österreichischen Hausherrin als Reinigungskraft, Köchin, Haushälterin, Fürsorgerin (und so weiter) zur Verfügung zu stehen — und das gefühlt rund um die Uhr.
Der Vater darf den Rasen mähen und kleinere Reparaturen übernehmen. Ein unbezahlter Fulltime-Job. Mehr als das! Eine Ausbeutung der furchtbarsten Art, nahezu total in ihrer Menschenverachtung. Das stört die österreichische Hausherrin natürlich herzlich wenig.
Ab und zu gibt es Geschenke (Spielzeug, dass die eigenen Ösi-Kinder nicht mehr mit dem Arsch ansehen), aber dankbar muss man als Flüchtling ja ohnehin für alles sein. Aber wir schweifen vom Thema ab.
Erschütternde Nebensächlichkeiten
Es soll erwähnt werden, dass Toxische Pommes, auf all diese vielen Formen und Facetten des Mikrohasses und der Ausbeutung nicht wirklich explizit eingeht, sondern eher nebenbei anmerkt, was an diesem Land so schrecklich ist: Die Lehrerin, die das Kind bewusst schlechter benotet, obwohl es ausgezeichnete Leistungen erbringt, und das alles mit einem Argument vom Tisch wischt, dass Ausländer bei ihr eben aus Prinzip keine gute Note bekommen – WTF!? Oder die Beamtin, die der Familie eine für den Verbleib wichtige Staatsangehörigkeit verweigert, indem wichtige Information vorenthalten werden. Man kann das alles einfach nicht glauben, wenn man das liest! Umso mehr verwundert einen auch die literarische Leichtfüßigkeit der Autorin, die an keiner Stelle dem Hass verfällt, sondern geradezu nüchtern und pointiert ihre Erlebnisse schildert.
Um all diesen Hass des Gastlandes geht es der Autorin in ihrem Buch nämlich nicht, nicht primär. Federleicht schreibt Toxische Pommes über all diese emotionalen Hürden hinweg und hat nur einige witzig-geistreiche Kommentare dazu abzugeben. Es sind jedoch gerade diese vermeintlichen Nebensächlichkeiten, die man einfach nicht vergessen kann.
Im Grunde erzählt die Autorin jedoch eine Familiengeschichte voller Zartgefühl, mit tiefgreifendem Verständnis für alle Figuren. Die Liebe zum Vater, der zu Hause bleibt, bleiben muss, und sich liebevoll um die Tochter kümmert. Die Mutter, die es schafft, von der Putzfrau zur Pharmazeutin aufzusteigen (weil sie endlich eine fehlende Diplom-Ergänzungsprüfung nachholen darf!). Und immer wieder das große Thema der Entfremdung. Denn was passiert, wenn eine ganze Familie in ein fremdes Land zieht, es jedoch nur ein Teil davon schafft, sich zu assimilieren?
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Zwischen den Kulturen
Ein Mensch zwischen den Kulturen, nirgendwo zu Hause und doch irgendwann am Ankommen. Trotz der Liebenswürdigkeit den Figuren gegenüber, aber auch einer Form der noblen Zurückhaltung, kommt man nach dem Lesen des Buches nicht umhin, diese Aufsteigergeschichte als eine Art Armutszeugnis für Österreich zu lesen. Und man ist sich nicht sicher, ob es hinter den Fassaden der Freundlichkeit ein so unterschwellig fremdenfeindliches Volk wie das der Österreicher*innen jemals sonst irgendwo gegeben hat. Auch wenn die Autorin mit diesen Figuren nicht so hart ins Gericht geht, wie sie es vielleicht tun sollte. Aber wir schweifen wieder ab.
Fazit
Ein schönes Ausländerkind ist ein geschmeidiges Buch, vor allem die BMKS-Dialoge zwischen Vater und Tochter in Originalsprache (mit Übersetzungen in der Fußzeile) sind schön (aber auch witzig) zu lesen und zeigen, wie eine zweite Sprache mit einem deutschen Erstsprachen-Werk koexistieren kann und dabei eine wunderschöne Form der Authentizität vermittelt.
Gefühle der Entfremdung wurden selten so einfühlsam vermittelt und Figuren (auch die bösen) werden selten so liebevoll und nachsichtig gezeichnet, wie in diesem Buch. Der Frontalhumor, den man von der Satirikerin in ihren Clips gewohnt ist, schmiegt sich hier ganz leicht zwischen die Worte, sodass er einem, aufgrund der Traurigkeit der Geschichte, oftmals zu entgleiten droht.
Der Debüt-Roman von Toxische Pommes ist ein extrem politisches Buch, ohne eines sein zu wollen, es rührt, ohne schnulzig zu sein, es macht traurig, ohne uns weinen zu lassen und immer wieder muss man schmunzeln. Ein schönes Ausländerkind vermag es, uns in seinen Bann zu ziehen und in der witzigen, aber auch liebevoll einfühlsamen Sprache der Autorin, fühlt man sich mit jeder Seite etwas mehr angekommen. Und am Ende wünscht man sich, dass es den Figuren darin ebenso ergangen ist.
Titelbild © Screenshot Toxische Pommes – Stand Up Auftritt (PCCC*) am 13.9.2021 im WUK
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