Untreue mag niemand. Vor allem sexuelles Fremdgehen. Affären und Seitensprünge sind für die meisten ein absolutes No-Go und gleichbedeutend mit dem Ende der Liebe. Doch eine Seite dieses Phänomens bleibt unbedacht. Wir versuchen, einen neuen Blick auf dieses emotionale Thema zu werfen.
Affären, Untreue, Fremdgehen: der Eros und der Wunsch nach Zerstörung
Laut der preisgekrönten Psychoanalytikerin Galit Atlas geht es in unserem Leben immer, um die elementare Spannung zwischen dem Wunsch zu zerstören – die Liebe, Güte und das Leben selbst (hier ist der Einfluss von Sigmund Freuds Todestrieb augenscheinlich) – und dem Eros, das nicht nur für Sex steht, sondern auch für den Trieb, am Leben zu bleiben, zu erschaffen, zu erzeugen und zu lieben.
Diese Spannungen bestehen laut Atlas in jedem Aspekt unseres Lebens, einschließlich unserer zwischenmenschlichen Beziehungen. Eine psychologische und psychoanalytische Annäherung an unser Verhalten soll uns natürlich dabei helfen, diese Triebe und Wünsche zu erkennen und uns bewusst zu machen, wie wir genau funktionieren. Entscheidungen, die wir bewusst oder unbewusst treffen, werden so entschlüsselt und können besser hinterfragt werden. So eben der wissenschaftliche Optimalfall.
Die Muster früherer Generationen
Wenn es um Untreue geht, um Affären und ähnliches, ist dieser Prozess, der uns antreibt, natürlich vielschichtig. Die Differenz zwischen Zerstörung (Tod) und Überleben (Leben) ist da nicht immer offenkundig. Vor allem, weil eine Affäre hauptsächlich als eine Form der Zerstörung (einer Beziehung) angesehen wird. Aber zurück zur Partnerschaft.
Warum hat er oder sie gerade diese Liebesbeziehung zu genau diesem Menschen? Warum bleibt sie in dieser toxischen Verbindung gefangen? Selten sind unsere Entscheidungen in einer Partnerschaft zu bleiben oder nicht, wirklich reflektiert getroffen. Laut Atlas haben die Entscheidungen, die wir treffen, sehr viel mit dem Leben unserer Vorfahren zu tun. Inwiefern wiederhole ich in meiner Beziehung Muster, die ich von meinen Eltern übernommen habe und die wiederum von ihren Eltern (den Großeltern) usw.?
Affären, Untreue, Fremdgehen: zwischen Überleben und Zerstörung
Inwiefern geht es bei einer Beziehung (Partnerschaft oder Affäre) nun aber um den erwähnten Überlebensdrang, um Tod und Zerstörung oder um die Sehnsucht, wieder ganz zurück ins Leben zu finden, sich zu spüren?
Untreue ist natürlich destruktiv, weil sie der Beziehung schadet, klar. Doch Menschen haben Affären nicht nur, weil sie Beziehungen zerstören wollen – sie haben dies sogar in den seltensten Fällen vor. Paradoxerweise, so Atlas, steckt hinter der Untreue oftmals sogar das Bestreben, eine Ehe oder Beziehung aufrechtzuerhalten.
„Das Betrügen ist häufig der Versuch, das Machtverhältnis in einer Beziehung auszugleichen oder ungestillte Bedürfnisse zu befriedigen. Die Affäre kann dazu dienen, sich sexuell auszuleben sowie negative Gefühle wie Feindseligkeit und Wut indirekt auszudrücken, doch in vielen Fällen ist sie auch ein Mittel, die Ehe vor diesem Gefühl zu beschützen.“
Fremdgehen um den Status Quo aufrechtzuerhalten
Während man den Status Quo (wie psychisch gesund dieser auch immer sein mag) in der Beziehung aufrechterhält, lebt man seine versteckten und verdeckten, unterdrückten und geheimen Wünsche einfach anderswo aus, um das Gefüge der Langzeitbeziehung nicht aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Das mag jetzt als Rechtfertigung für eine Affäre erst einmal besonders schwach erscheinen. Die Absicht, den anderen nicht verletzen zu wollen, ist einer Affäre jedoch nicht abzusprechen. Klar ist eine Untreue eine Lüge – man belügt die Betrogenen, indem man (sexuelle, aber auch emotionale) Ausflüge verschweigt.
Doch wie Esther Perel anmerkt, hat sich die Lüge in der Beziehung oft schon lange vor der Affäre festgesetzt. Wie lange haben Pärchen zum Beispiel Sex, der für eine*n der beiden komplett unbefriedigend ist? Doch darüber wird nicht gesprochen. Man spricht einfach nicht darüber, dass man sich miteinander langweilt, dass man unerfüllte Wünsche hat, andere Paare beneidet, an sich zweifelt, am anderen verzweifelt, dass man sich im Grunde ein komplett anderes Leben wünscht. Man verbiegt sich vielmehr, passt sich an, reduziert sich auf die Wünsche der anderen Person und hält ein Konstrukt aufrecht, dessen Existenz schon lange fragwürdig ist.
Untreue: Gefühle ausleben, die nicht erlaubt sind
Im mühevollen Aufrechterhalten dieser trügerisch-heilen Beziehungswelt, entstehen natürlich eine Menge Gefühle, die im Verborgenen bleiben. Und genau da setzt die Untreue an. Denn laut Atlas werden in den Affären oft Gefühle ausgelebt, die in der eigentlichen Beziehung nicht erlaubt sind. Vor allem Aggressionen.
„Es ist nicht ungewöhnlich, dass Menschen außerehelichen Sex als gewalttätiger beschreiben und Sex in der Ehe als sanfter und `zivilisierter´“. Da die Partner*innen unbewusst einander vor Aggressionen schützen wollen, werden diese in der Beziehung gedämpft, unterdrückt. Drängen aber dennoch danach, irgendwie ausgelebt zu werden. Und werden eben ausgelebt in den Aktivitäten außerhalb der primären Beziehung.
Der Konflikt zwischen Abenteuer und Sicherheit
Die anfangs erwähnte Spannung zwischen Leben und Tod gibt es natürlich auch im sexuellen Begehren. Vor allem in langfristigen Beziehungen. In seinem Buch Kann denn Liebe ewig sein? erörtert der Psychoanalytiker Stephen A. Mitchell den Konflikt zwischen Abenteuer und Sicherheit im Sexualleben.
Laut dem US-amerikanischen Psychologen sind Romantik, Vitalität und Sexualität Faktoren, die das Leben erst lebenswert machen und die es sich daher lohnt, voll auszukosten. Eine Romanze hat daher primär mit existenzieller Begeisterung (Lebendigkeit) zu tun, und nichts mit dem vermeintlichen Wunsch, den anderen zu verletzten. Dass die Verletzung bei Entdeckung der Affäre entsteht, ist natürlich klar.
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Mit der Zeit verkümmert ein sexuelles Liebesabenteuer oft schnell zu etwas weniger Belebendem, wird teilweise sogar langweilig. Warum? Weil es laut Mitchell Gefahr, Geheimnis und Wagnis braucht, um sich lebendig zu fühlen.
Gefühle von Sicherheit und Vertrautheit helfen, trotz ihrer unbestreitbaren Vorbildlichkeit einer langfristigen Beziehung bezüglich Abenteuer, leider weniger. Mitchell ortet das Geheimnis einer langlebigen und glücklichen Beziehung daher im komplexen Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Gefahr, Vertrautem und Neuem.
Muss man denn gleich fremdgehen?
Bei einer Affäre geht es, laut diesen Ansätzen, daher nicht darum, jemanden zu verletzten, sondern eher darum, etwas Neues zu erfahren und ein Abenteuer zu erleben. In ihrem Buch Wild Life: Die Rückkehr der Erotik in die Liebe beschreibt Esther Perel eben dieses Paradox zwischen Häuslichkeit und sexuellem Begehren. Sie will Paaren dabei helfen in ihren Langzeitbeziehungen einen Raum für Abenteuer zu erhalten, damit die sexuelle und abenteuerliche Spannung nicht abflacht.
Doch was das Phänomen der Affäre betrifft, geht Esther Perel sogar noch einen Schritt weiter. Sie ortet hinter der Affäre sogar eine Möglichkeit zu wachsen. Liebesaffären, oft als der Anfang vom Ende verschrien und ein Zeichen für Unwürdigkeit und Schwäche, bieten ihr zufolge sogar eine Möglichkeit, Liebe zu stärken.
Wichtiger Punkt: Selten in der Geschichte war Treue so ein Thema wie jetzt. Laut Perel liegt das daran, dass heutzutage alle Bindungsbedürfnisse auf den jeweiligen Partner, die jeweilige Partnerin gerichtet sind.
Untreue, Affäre, Fremdgehen: ein Fazit
Fremdgehen vollzieht sich immer in einem bestimmten Kontext. Wie schon erwähnt: unterdrückte Wünsche usw. Einseitige Schuldzuweisungen machen demnach wenig Sinn, so Perel, wobei ein Hintergehen natürlich alles andere als vorbildlich ist.
Doch gilt es dabei, hinter die Kulissen zu blicken und die wirklichen Ursachen zu entdecken: radikale Unterwerfungen von einem oder einer der Partner*innen, Überangepasstheit, fehlende oder fehlerhafte Kommunikation. Aber auch die gegenseitig gestützten Lügen.
Unter der Oberfläche einer, scheinbar reibungslos funktionierenden Beziehung, verbergen sich oft ungeahnte Parallelwelten aus Sehnsüchten, Wünschen und auch Aggressionen. Wenn man diese zu verstehen in der Lage ist, wird man auch einen anderen Blick auf das Thema Beziehung, vor allem aber auf das Phänomen Untreue werfen können.
Titelbild © Shutterstock
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