Auch lange nach dem 40-Jährigen Hip-Hop Jubiläum ist die Debatte rund um Realness und dem Ursprungsgedanken im Genre so fresh wie noch nie. Gerade die letzten Jahre mit Aufkommen von Mumblerap, den Aufstieg von Trap zur Supermacht und die übersteigerte kommerzielle Selbstdarstellung haben Wasser auf die Mühlen der Realkeeper gekippt. Widersprüchlicher könnte es nicht sein, denn ein Genre, das kompromisslose Authentizität fordert, hat sich durch Sell-out oder Anpassung seinen unaufhaltsamen Einzug in den Pop-Mainstream geebnet. Man war zwar nicht immer willkommen, aber man hat sich mit allen Mitteln an den Türstehern der Majors vorbeigetrickst oder diese zur Zusammenarbeit gezwungen. So stellt sich im Jahr 2021 die Frage so deutlich wie noch nie: Was ist eigentlich noch vom Ursprungsgedanken des Hip-Hop übrig? Und wie sehr verdirbt Geld den Charakter?
Arte präsentiert seit 1.Oktober in der Mediathek unter dem Titel „Hip-Hop-Kultur“ ein Themenschwerpunkt rund um das globale Genrephänomen Hip-Hop. „Zwischen Beats und Breaks verabschieden wir uns von Stereotypen und geben Einblicke in den Facettenreichtum des Genres.“
Gezeigt wird eine Sammlung an Videos zu den Legenden der Anfangszeit, sowie internationale Szenegrößen und die allgemeine geschichtliche Entwicklung. Gewohnt sachlich und professionell nähert man sich an ein Genre, das mittlerweile absoluten Kultstatus genießt. Eine Empfehlung für Hip-Hop-Heads und alle anderen, die den Hype um die Anfänge dessen, was heute von so vielen Menschen geliebt wird, nachvollziehen wollen.
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Hip-Hop: Von Subkultur zum Mainstream
Über 40 Jahre regionale Merkmale einer globalen Kultur. Eine Umschreibung, die einem in der Auseinandersetzung mit einem der erfolgreichsten Genres heute immer wieder begegnet. Die Betonung dabei liegt auf die Tatsache, dass Hip-Hop mittlerweile ein globales Phänomen geworden ist.
Die regionalen Merkmale – wie beispielweise in Österreich der Dialektrap oder die ausgebliebene Kommerzialisierung aufgrund des nicht vorhandenen Marktes – beschreiben dabei die regionalen Unterschiede. Denn egal ob superdominant in den Charts oder Nischenunterhaltung, gewisse Elemente prägen wiederum das, was allgemein als Hip-Hop-Szene verstanden wird, bis heute. Als Ursprungselemente der Szene werden Rap (MCing), DJing, Breakdance, Graffiti-Writing und Beatboxing verstanden.
In den Anfangszeiten stand Realness dabei für die Kombination dieser Elemente, man hatte sich allem verschrieben. Oftmals kamen Rapper aus Writer-Kreisen oder hatten nebenbei ihre Breakdancecrew. Die Vermengung der Anfangszeit kann man auch in den ersten Videoproduktionen gut beobachten.
Von Skillz, Props und Kommerz
Props – der Ausdruck „Props“ kommt vom englischen Begriff „proper respect“. Es ähnelt dem deutschen „Hut ab“ oder „Respekt“ – gab es zu Beginn für jene, denen es gelang, diese Elemente so gut es ging zu kombinieren. Damals lautet die Frage noch eher „Was kannst du?“, anstatt wie heute oft „Was hast du und wie viel davon?“. Doch die Empowerment-Positionen, die bis heute im Rap gelten, galten schon damals.
Das Egonarrativ bestand auch schon in der Anfangszeit, lag aber noch auf einem deutlich politisierten Stil. Ermächtigung für benachteiligte Jugendgruppen, der daraus resultierende soziale Aufstieg öffnete erst nach und nach immer weitere Türen und ließ die Interpreten in ihren Themen weiter wachsen. Die Ironie dabei ist, dass die Botschaft durch ihren eigenen Erfolg begraben wurde.
Bronx, Geburtsort des Hip-Hop – zu Beginn stand das Genre für den Kampf gegen soziale Ungerechtigkeit | ©Shutterstock
Mit dem kommerziellen Aufstieg kam auch immer mehr die kapitalistische Lüge der Chancengleichheit ins Game geschlichen. Aus „die Welt ist ungerecht“ wurde „jede:r kann es schaffen“. Ein Irrglaube, der sich bei Leuten, die „es geschafft“ hatten, selbstverständlich einschlich.
Wenn ich es schaffen kann, dann kann das doch jeder!? Das man aber nur einige wenige vorne braucht und die Masse eher als Konsumenten, um Wohlstand zu generieren, entgeht dabei nur allzu oft den „Aufsteigern“. Oder es wird im Sinne des Erfolgs verschwiegen. Das Publikum hatte man nach und nach zu bloßen Konsumenten degradiert.
Von Hip-Hop Artist zum Gebrauchtwagenhändler
So kommt es, dass manche Rapper:innen heute eher wie Motivationstrainer:innen anstatt Künstler:innen rüberkommen. Manche der erfolgreichsten deutschen Rapper:innen vertreiben sogar ihr eigenen Motivationsvideos, womit armen verzweifelten Menschen falsche Hoffnung verkauft wird.
Das Selbstverständnis als Künstler:in ist auf der Strecke geblieben. Man versteht sich lieber als Geschäftsmann/Geschäftsfrau, Sportler:in, Dealer:in, Vater, Mutter oder Liebhaber:in, Treu & verlogen zugleich – der Erfolg kann nur durch einen neoliberalen Lebensstil garantiert werden, das Produkt ist wichtiger geworden als die Botschaft.
Heute füllt Hip-Hop komplette Hallen und Stadien, was lange nicht selbstverständlich war | © Shutterstock
Doch wie konnte es eigentlich so weit kommen? Und wie konnte es dazu kommen, dass der Fokus von sozialen Ungleichheiten auf Flex-Attitüde und Angebertum umgeschwenkt ist? Waren daran Hörer:innen, Interpreten:innen, die Industrie oder doch alle zusammen schuld? Fragen über Fragen, dabei steht moderne Rapmusik eigentlich für harte Ansagen. Allein bei der eigenen Identitätspolitik wird es dann schnell schwammig.
Was bringt das Hip-Hop Game als nächstes?
Die letzte musikalische Neuerung im Genre, welche auch als Katalysator für den Aufstieg Mancher Rapper:innen in den Pop Olymp galt, war die Eingliederung der elektronischen Tanzmusik in das Genre Hip-Hop. Afrotrap und Clubbanger gehören heute zum Standardrepertoire der deutschen Rap-Playlisten. Aus Producer-Sicht hat sich vieles geändert. Hatten sie früher eher das Sampling für Hip-Hop-Beats verwendet, gilt schon seit vielen Jahren das Generieren von Tönen als neuer Usus.
Der Aufstieg der Synthesizer durch die elektronische Musik hatte auch das Rapgame erreicht. Die Menschen hatten einfach kein Bock mehr, bloß die Hände zu heben, sondern sie wollten tanzen. So eroberte moderner Rap nach und nach die Tanzflächen rund um den Globus. Der Aufstieg von Trapsound über den Dirty-South bis hin zum absoluten Pop-Status-Quo war abgeschlossen.
Und die Message?
Hip-Hop hat stets eine Message transportiert, auch wenn diese wie zurzeit das bloße Besingen des Status quo und der bestehenden Machtverhältnisse bedeutet. Man kann im Hip-Hop oder Rap nicht unpolitisch sein. Unpolitisch sein, in einem geschichtlich nur so vor Politik triefenden Genre, bedeutet die Akzeptanz der bestehenden Machtverhältnisse. Man positioniert sich nun auf die Seite der Ungerechten.
Man kann aber auch zusehends beobachten, dass sich im Untergrund viele Künstler:innen nicht länger damit begnügen wollen, in einer Welt die kurz vor dem Abgrund steht, nur über Marken Klamotten zu reden. So entstand in den letzten Jahren neben dem oberflächlichen Mainstream auch ein immer kreativerer und aussagekräftiger werdender Sound. Widerstand im Untergrund. Im Moment noch ganz in der Ferne, aber die Nuancen und Tendenzen sind spürbar. Ebenso wie der Umgang mit strukturellen Problemen wie Sexismus innerhalb der Szene. Wie auch Debatten rund um #Deutschrapmetoo im Jahr 2021 nochmals verdeutlicht haben.
Fakt ist Hip-Hop wird das wie immer selbst regeln. Denn ein Genre, das stets aus einer Anti-Haltung herausgewachsen ist, besitzt auch die Kraft, ein eigenes Korrektiv zu bilden. Im Sinne der Kunst kann man also nur hoffen, dass die kommerzielle Blase bald platzt. Was unumgänglich geschehen wird. Denn auch wenn das Wirtschaftssystem uns immer mehr Wachstum verspricht, es ist unmöglich, so etwas als Dauerzustand zu etablieren. Der Zenit wird erreicht werden und daraus wird wieder eine neue Gegenbewegung erwachen. Hip-Hop muss sterben, damit Hip-Hop weiterleben kann. So kann man ruhig noch auf die nächsten 40 Jahre gespannt sein und sehen, wohin uns die Reise führt.
Auch in der österreichischen Hip-Hop-Welt gibt es Künstler:innen, die nach wie vor auf Statement und Empowerment setzen. Zum Beispiel KeKe oder auch Kid Pex sind Namen, die wir euch bereits vorgestellt haben.
Titelbild © Shutterstock
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