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Als Reaktion auf Preisdumping-Proteste der Bauern hat Lidl in Deutschland reagiert und dort den Fleischpreis erhöht. Eine faire Erhöhung, die hauptsächlich den Bauern zu Gute gekommen wäre. Jetzt hat man das Konzept fallen lassen. Der Grund: keiner wollte das Fleisch kaufen.
Same old, same old?
Anfang Dezember 2020 demonstrierten Deutsche Bauern gegen die Niedrigpreispolitik für Lebensmittel in Discountern. Sie äußerten – wieder einmal! – ihren Unmut über das Preisdumping ihrer Fleischprodukte. Das Ergebnis dieser Proteste haben viele gemeint vorhersehen zu können.
ABER FLASCH!
Lidls moralischer Mega-Akt
Die Verantwortlichen von Lidl ließen ihre Herzen erweichen. Und tatsächlich wurden in den Deutschen Lidl Zweigstellen die Preise für zehn Schweinefleischprodukte um einen Euro je Kilo erhöht. Dem nicht genug, sollten die Mehreinnahmen sogar direkt bei den Bauern landen, die das Fleisch liefern. „Schnell und unbürokratisch auf den Höfen“ landen war die Devise. Die Preiserhöhung – oder sagen wir lieber die gerechte und längst überfällig faire Preisanpassung – war eine Art „Soforthilfemaßnahme“.
Vor allem wegen dem Ausbruch der Afrikanischen Schweinepest war der Preis eingebrochen. Viele Länder wollten kein Schweinefleisch aus Deutschland mehr nehmen. Das bedeutete einfach erklärt: In Deutschland selbst war aufgrund des Wegfalls der Exporte das Angebot für Schweinefleisch plötzlich höher als die Nachfrage. Überangebot! Was natürlich auch den Preis drückte. Doch Lidl, allen Erwartungen zum Trotz, reagierte menschlich. Bauern. Konsumenten. Alle waren glücklich und die Hoffnung in Welt und Menschheit war wieder hergestellt.
Lidl-Kampagne zur Preiserhöhung für Schweinefleisch // © Lidl
Ernüchterung
Bis jetzt! Leider. Das Rad der Moral und des Anstands wurde wieder zurückgedreht. Die Lidl-Initiative ist gescheitert. Warum? Weil die Kundinnen und Kunden den einen Euro extra pro Kilo Schweinefleisch nicht zahlen wollten! Was im Allgemeinen doch sehr für Verwunderung sorgte, da Lidls moralischer Ansatz ja auch gut recherchiert war. Kein Unternehmen stürzt sich in so eine Kursänderung ohne Umfragen und mediale Kampagnen. Doch trotz grundsätzlicher Befürwortung der Verbraucher. Der Solidarität mit den kleinen Bauern. Und der allgemeinen Sympathisierung mit der Preiserhöhung. Die Ware blieb in den Regalen liegen.
Grundsuche
Wie konnte das passieren, wo doch der Rückhalt so groß schien? Einige führen dieses Scheitern auf die vermeintlich schlechte Bewerbung dieser Aktion zurück. Andere beklagen das allgemeine Übersehen der Haltungs-Kennzeichnung selbst. Heißt: Lidl z.B. hätte die Kundschaft besser informieren müssen und das Produkt besser kennzeichnen sollen.
An letzterem Punkt könnte durchaus etwas dran sein. In einer Verbraucherumfrage gaben nur 35%Prozent der Befragten an, dass ihnen eine Haltungskennzeichnung schon einmal aufgefallen war. KritikerInnen meinen daher, eine wichtige Kennzeichnung sollte vor allem eines: beworben werden.
Andere sehen das Problem jedoch vor allem in der Glaubwürdigkeit der Werbung. Was durchaus nachvollziehbar ist. Niedrigfleischaktionen die billig sind, tiergerecht und zugleich auch Premiumqualität versprechen. Wie soll das gehen? Werbung mehr Schein als Sein. Auch umgekehrt. Es ist teuer aber fair. Warum soll ich dieser Werbung glauben? Doch warum sollte man dann auch der Werbung über eine Kennzeichnung trauen? Ein Teufelskreis!
Kein Wunder, dass #Bauernbonus-Experiment @lidl gescheitert ist – punktuelle Preiserhöhung & selbstgemachte Kennzeichnung sind keine Lösung.
Stattdessen nötig: Verbot unfairer Handelspraktiken & höhere gesetzliche Tierhaltungs-Standards mit staatl. Label.https://t.co/pYNFyByTO1— Verbraucherzentrale (@vzbv) February 5, 2021
Verbraucher handeln anders, als sie sagen
Bezüglich der Punkte zur Grundsuche ist bei jedem wohl etwas Wahres dran. Und alle gehören sie bedacht und optimiert. Doch bei dieser illustren Aufzählung taucht ein Grund nicht auf: die Verbraucher selbst. Aber vielleicht sind ja gerade die Konsument*innen das eigentliche Problem.
Die Verbraucher*innen also. Wenn es um das Thema Fairness geht sind diese ganz schnell und lautstark vorne mit dabei mit ihren Solidaritätsbekundungen. Doch wenn es ums konkrete Handeln geht und sie für diese Fairness ganz praktisch Geld auf den Tisch legen müssen, dann lassen sie ihre Brieftasche lieber stecken.
Vielleicht hat Lidl in Deutschland ja nicht wirklich etwas falsch gemacht. Außer, dass sie eben versucht haben, ihr richtiges Konzept in einer falschen Welt umzusetzen. Und vielleicht ist es ja geradezu essenziell, dass die Verbraucher ganz einfach anders handeln, als sie es in den Umfragen sagen.
Theorie und Praxis
Theoretisch immer auf der moralischen Seite, entscheiden sie sich am Ende dennoch viele für den niedrigen Preis. Ganz einfach. Weil Geld immer knapp ist. Und weil man im konkreten Handeln vielleicht nicht immer so gut ist, wie man im Vorhinein noch überzeugt gewesen ist.
Durchaus verständlich. Die Zeiten sind hart. Viele müssen sehen, wie sie über die Runden kommen. Doch Tatsache ist, dass Fairness immer auch eine Entscheidung ist und kostet. Geld. Vor allem aber Überwindung. Der eine Euro mehr, ausgegeben für Fairness fehlt dann vielleicht beim Vergnügen und beinhaltet somit einen Kompromiss, den nicht viele eingehen wollen.
Lidl hat das Beste versucht. Aber vielleicht in der falschen Welt. Die Discounter Kundinnen und Kunden gehen in den Discounter, vielleicht ja gerade deswegen, weil es dort billig ist, Fairness und Nachhaltigkeit zweitrangig und wo anders zu finden sind. Und nach diesem Flop wird wohl kein Discounter so schnell wieder versuchen, moralisch und fair zu handeln. Aber warum auch, wenn nicht einmal die Verbraucher dies tun?
Titelbild Credits: Shutterstock
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