Während der Corona-Restriktionen zeigte sich deutlich, wie wichtig öffentlicher Raum zur Entfaltung ist. Sei es aus Gründen der Rekreation, zur sozialen Interaktion oder eben auch für diverse Subkulturen. Vor allem die Ansammlungen am Karlsplatz oder Donaukanal repräsentieren die Relevanz von Austausch, Safe Spaces und kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten. Die Clubkultur verlor temporär ihren Raum, wodurch vor allem in Wien eine zukunftsweisende Debatte losgetreten wurde. Dieser widmete sich auch die Podiumsdiskussion der Vienna Club Commission und mit Johannes Grüss als Vertreter der Clubcommission Berlin kommen Erfahrungswerte aus der deutschen Hauptstadt hinzu. Kann Wien diese als Vorbild nutzen?
Die Pandemie verbannte temporär das Clubleben und die darin integrierte Kultur – langsames Handeln und partielle Ignoranz durch die Politik inklusive. Dies führte nicht selten zu Chaos und unangemeldeten Ansammlungen, was zum Teil wiederum die Polizei auf das Tanzparkett lockte. Partys am Donaukanal, Karlsplatz und auch illegale Raves auf der Donauinsel waren ein Symptom fehlender Verfügbarkeit von Räumen für die Clubkultur und auch Jugendkultur – der dritte „summer of love“, wenn man so möchte.
In dieser Zeit wuchs die Vienna Club Commission zu einem wichtigen Vermittler zwischen Clubs und Stadtpolitik in Wien. Nun wurde diese ab 2022 von der Stadt Wien ausgeschrieben und soll institutionalisiert als neue Vienna Club Commission die Arbeit des Pilotprojektes fortführen. Eines der ersten wichtigen Themen, die es neben den bereits aktiven Arbeitsfeldern zu bedienen gilt, ist die Nutzung und die Bereitstellung von öffentlichem Raum – ganz speziell für die Clubkultur. Genau das war auch Thema der letzten Podiumsdiskussion am 09.09.21.
VCC – Podiumsdiskussion: Clubkultur im öffentlichen Raum
Unter der Moderation von Johanna Mayr-Keber, Host und DJ bei FM4, sprachen vier Vertreter:innen aus Politik und Nachtkultur über die Nutzung und Planung von öffentlichem Raum in Wien. Wichtigen Input lieferte hierbei der Projektleiter der Clubcomission Berlin, Johannes Grüss, der mit seinen Erfahrungswerten fruchtbare Anstöße zur Diskussion liefern, aber auch die Unterschiede zwischen Berlin und Wien aufzeigen konnte. Außerdem waren Magdalena Augustin von Gassen aus Zucker und IG Kultur Wien sowie zwei politische Vertreter:innen, Peko Baxant – Abgeordneter zum Wiener Landtag und Mitglied des Gemeinderates der Stadt Wien (SPÖ) – und Angelika Pipal-Leixner – Agbeordnete zum Wiener Landtag (NEOS) -, dabei.
Von links nach rechts: Peko Baxant, Angelika Pipal-Leixner, Johannes Grüss und Magdalena Augustin
Die Übertragung der Clubkultur in den öffentlichen Raum sowie generell Raumbeschaffung und -erhaltung sind hierbei die zentralen Themen der Diskussion. Durch Johannes Grüss erschließt sich zudem eine Perspektive, wie es funktionieren kann, nachdem Deutschland und Berlin hier Österreich in Sachen Nachtkultur einen Schritt voraus ist. Er bringt dies am Beginn des Gespräches auch ein: „In Deutschland ist es einfacher. Weil Clubkultur bei uns durch das Parlament und auch von der lokalen Berliner Verwaltung als Teil der generellen Kultur anerkannt ist.“
Die Coronakrise sowie die bisherige Arbeit der Vienna Club Commission leitete jedoch auch in Wien eine positive Entwicklung in die Wege. Dennoch, Bürokratie und rechtliche Rahmenbedingungen stellen in Österreich nach wie vor eine für viele scheinbare unüberwindbare Hürde dar. Diese Hürde soll durch die Vienna Club Commission und deren Expertise in Zukunft leichter zu überwinden sein.
Öffentlichen Raum nutzen: Status Quo und die Rolle der Vienna Club Commission
„Ein wichtiger Bestandteil der Clubkultur ist es, Safe Spaces und Plätze für Minderheiten und verschiedene Identitäten zur Verfügung zu stellen.“ Magdalena Augustin und die IG Kultur Wien haben gerade auch deshalb mit der Vienna Club Commission den Open Air Guide verfasst, der potenziellen Veranstalter:innen die Prozesse erleichtern soll. Ihre persönlichen Erfahrungen brachten sie in direkten Kontakt mit den vielen Baustellen, die eine Veranstaltung im öffentlichen Raum mit sich bringt.
„Wir hatten das Gefühl, dass es in Wien zu wenige Outdoor-Veranstaltungen gab, weshalb wir diese mit Gassen aus Zucker ausrichten wollten. Wir mussten aber schnell feststellen, dass dies keineswegs einfach ist.“
Ihr geht es hier wie vielen Veranstalter:innen. Denn im Gegensatz zu Berlin fallen die diversen Kompetenzen an verschiedene Magistratsabteilungen der Stadt Wien, wodurch der bürokratische Aufwand wächst. Bekanntermaßen fanden deshalb viele clubkulturelle Veranstaltungen als angemeldete Demonstration statt. Dies soll jedoch keinen Standard darstellen, wie es sich auch Magdalena Augustin wünscht: „Warum können wir nicht Konzepte erstellen, die vom Aufwand den Demonstrationen näher sind? Eine Erleichterung wäre in Wien auf jeden Fall wünschenswert.“
Dem bringt Peko Baxant – selbst leidenschaftlicher Musiker – schlagfertige Argumente entgegen: „Natürlich ist es ein Ziel, dass der Zugang zu Veranstaltungen im öffentlichen Raum erleichtert wird. Dennoch gilt es anzuführen, dass es mit Sicherheit keine so einfache Gestaltung gibt, wie wir uns das alle Wünschen. Denn es gilt alle Interessensgruppen miteinzubeziehen. Es gibt die Polizei, die Anrainer:innen, die Veranstalter:innen und die Besucher:innen – das Hauptziel der Vienna Club Commission ist es, ebendiese Interessensgruppen zu integrieren und die Standpunkte zusammenzuführen.“
Damit thematisieren die Teilnehmer:innen der Podiumsdiskussion auch die zukünftigen Aufgabenbereiche der Vienna Club Commission, wobei Peko Baxant hier eine klare Unterscheidung zum Berliner Pendant anstrebt: „In Wien ist die Club Commission nicht nur eine Institution für die Clubs, sondern auch für die Stadtverwaltung und alle Interessensgruppen.“ Angelika Pipal-Leixner ergänzt, dass „die Club Commission eben auch zwischen den Feiernden und den Anrainer:innen vermitteln soll.“
Der Wert der Club- und Nachtkultur: klare Tendenzen in Wien
Natürlich steckt die Nachtkultur in Wien im Gegensatz zu Berlin in Sachen Akzeptanz und allgemeine Relevanz noch in den Kinderschuhen. Dennoch ist eine klare Tendenz in Richtung vollwertiger Anerkennung zu erkennen. Langsam, aber sicher scheint auch die Politik zu akzeptieren, dass nicht nur Opern, Theater und Museen ein Teil der Kultur sind. Immerhin sind Jugendkultur und diverse Subkulturen auch Ursprung jeglicher als klassische Kultur bezeichneten Bereiche.
In Wien macht der Clubkultur aber auch eine andere Kultur stets einen Strich durch die Rechnung, wie es Magdalena Augustin anführt: „Wir haben in Wien auch die Kultur, dass wir bereits nach 5 Minuten die Polizei rufen, wenn es zu laut wird.“ Ein Problem, dass sich wohl so schnell nicht lösen lässt.
Mit der Integration der Vienna Club Commission ist der erste Schritt in Richtung Akzeptanz der Clubkultur als Teil der gesamturbanen Kultur getan. Peko Baxant führt zudem an, dass dies nur der Beginn sei. „Mit dem Schritt, die Vienna Club Commission auszuschreiben, soll aber noch nicht Schluss sein. Wir schaffen damit nur ein neues Kapitel oder besser gesagt ein neues Buch. Bis jetzt gab es das Problem, Clubkultur als Teil der Kultur zu etablieren, um dafür vor allem Geld und Respekt zur Verfügung stellen zu können. So entwickelt sich die reine Idee nun langsam zur greifbaren Realität.“
Der öffentlicher Raum der Zukunft: Von Stadtplanung und mehr Flexibilität
In Sachen Organisation und Gestaltung des öffentlichen Raumes kann Berlin durchaus als Vorbild für Wien fungieren, wenngleich sich die organisatorischen Voraussetzungen unterscheiden. Die Initiative DRAUSSENSTADT, an der auch die Clubcomission Berlin teilnimmt, verwirklicht in der deutschen Hauptstadt die Idee, alle Arten von Kultur auf die Straßen und öffentliche Räume zu bringen.
Johannes Grüss dazu: „Plötzlich war aufgrund der Pandemie alles geschlossen. Es gab daher seitens der Künstler:innen eine große Nachfrage, auch in der Krise eine Bühne zu bekommen, um mit der Community zu interagieren und zu präsentieren. Hier ging es um die Suche nach Orten, wo das pandemische Risiko möglichst gering war.“
Die Clubcomission Berlin hatte im Zuge der Teilnahme an DRAUSSENSTADT Spaces gescoutet und davon 13 Plätze unter Vertrag gebracht. Jeder „Raum“ brauchte wiederum ein oder mehrere Host-Kollektive zur Verwaltung und auch Gestaltung der Plätze. Doch dem nicht genug – mit der Entwicklung neuer Viertel ergibt sich zudem die Möglichkeit, sich als Vertreter:innen der Nachtkultur noch mehr einzubringen.
„Dort (Anm. d. Red.: bei der Entwicklung neuer Viertel) klinkt man sich bei der Stadtplanung ein, um schon vorab potenzielle Probleme zu eliminieren. Zudem werden die verschiedenen Interessensgruppen in die Planung integriert. Dadurch kommen alle für das Leben wichtigen und relevanten ‚Räume‘ in die Gesamtplanung. Auch in Wien sollte man damit beginnen, diese Räume zu schaffen und zu schützen. Nicht alles verplanen, sondern diese sinnvoll nützen.“, erklärt Johannes Grüss.
Integration von Zielen und Problemen in die Stadtplanung
Was zum Teil bereits in der Seestadt passierte – mehr oder weniger erfolgreich -, soll sich über die gesamte Stadt verbreiten – eine inklusive Stadtplanung. Probleme, wie Raucher und Lärmbelästigung vor Lokalen und Clubs, möchte man so umgehen. Am Beispiel Berlin versucht die Stadtverwaltung, alle Interessensgruppen in die Entscheidungsfindung zu integrieren und so vorausschauend zu planen.
Daher fordert Johannes Grüss, dass auch in Wien die Vienna Club Commission in solche Prozesse integriert werden sollte, um mit ihrem Know-How dazu beizutragen, alle Interessensgruppen möglichst gleichwertig zufriedenzustellen. Magdalena Augustin spricht an, dass Raver für Open Airs auch bereit sind, an den Stadtrand zu fahren – diese These wird durch gut besuchte Veranstaltungsorte wie dem Alberner Hafen oder dem Zukunftshof gestützt.
Somit ergibt sich, dass die Zukunft besser geplant sein sollte. Vorausschauende Stadtplanung somit als Sicherung verschiedener Kulturräume. Schützen und nützen als Stichworte, damit die nächste Generation der Clubbesucher:innen auch Räume zur Entfaltung hat.
Natürlich drängt sich mit der Gentrifikation in jeder Stadt ein weitere Faktor auf, den es langfristig in jeglichen Überlegungen zu beachten gilt. Denn diese führt in Berlin beispielweise auch dazu, dass die Clubkultur westwärts wandert.
Eines steht fest. Öffentlicher Raum ist keine statische Angelegenheit, sondern unterliegt fortlaufenden Entwicklungen. Gerade deshalb braucht es auch eine Vertretung und Vermittlung in solchen Fragen, weshalb die Vienna Club Commission zukünftig noch eine weitere Daseinsberechtigung und Wichtigkeit besitzt.
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