Deglobalisierung: Trennung der Nationen als Weg in die Zukunft?
Nicht zuletzt seit dem Brexit, der Corona-Krise oder dem Ukraine-Krieg spüren wir sie plötzlich immer mehr: Landesgrenzen. Bemerkbar machen sich diese nicht nur für Privatpersonen, wenn es beispielsweise ums Reisen geht, sondern vor allem auch in Form von Preiserhöhungen und Inflation. Als Folge streben immer mehr Staaten danach, wieder unabhängiger von den anderen zu sein – ein Trend zur Deglobalisierung macht sich bemerkbar. Und die Auswirkungen sind nicht unerheblich.
Unternehmen haben in den vergangenen Jahrzehnten enorm von der Globalisierung und der zunehmenden internationalen Vernetzung profitiert. Auch in Österreich ist das Auslandsgeschäft von immenser Bedeutung: So bezeichnet die WKO die Exportwirtschaft Österreichs als „eine Erfolgsstory, die ihresgleichen sucht“. Erst 2021 wurde ein neuer Exportrekord mit satten 165 Mrd. Euro Volumen erzielt. Die Exportquote macht mehr als 50 Prozent des österreichischen BIPs aus. Und jeder zweite Job in Österreich ist direkt oder indirekt vom Export abhängig.
Möglich wurde diese „Erfolgsstory“ durch viele Ereignisse, die wir rückblickend betrachtet in ihrer Gesamtheit als Globalisierung bezeichnen. Große Treiber war unter anderem die Ostöffnung im Jahr 1989. Weiters der EU-Beitritt und die Einführung des Euros, wodurch sich die österreichische Wirtschaft nachhaltig internationalisieren konnte. Hürden wie unterschiedliche Währungen, Rechtslagen oder Standards haben sich zugunsten der florierenden Wirtschaft immer mehr abgebaut.
Bremse für den Boom
Zum ersten Mal seit langem erhält das „all-time-high“ der heimischen – und nicht nur der heimischen – Exportwirtschaft nun eine Bremse. Die Dynamik im Warenaußenhandel soll laut Prognosen nämlich 2022 deutlich abschwächen.
Grund dafür ist einerseits das weitestgehend ausgeschöpfte Aufholpotential im Welthandel. Andererseits spielen aber auch Lieferengpässe und damit einhergehend Materialmangel in den Produktionsstätten, die vor allem durch die Corona-Krise ausgelöst, eine große Rolle. Zuletzt kam es durch die Sanktionen im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg weiter zur Verstärkung des Effekts. Aber auch der Brexit und der Handelskonflikt mit den USA nehmen nach wie vor Einfluss.
Wenngleich die Auslöser dieser Krisen jeweils unterschiedlich waren, haben sie doch eines gemeinsam: Sie konnten nur deshalb so heftige Folgen nach sich ziehen, weil die Finanz- und Wirtschaftsmärkte international so eng miteinander verflochten sind. Die Folge: Die seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/2009 beginnende Deglobalisierung hat sich verstärkt und immer mehr Regierungen streben danach, wieder unabhängiger von ausländischen Importen zu sein. Denn auch diese sind in Österreich nicht unerheblich. Sie haben laut der österreichischen Wirtschaftskammer vor allem im dritten Quartal 2021 noch einmal stark zugenommen – um satte 22,5 Prozent.
Deglobalisierung als Gegenbewegung
Wenn globale Wertschöpfungsketten nicht mehr rentabel sind, wird der Schrei nach protektionistischen Maßnahmen und Unterstützungen durch den Staat seitens der Unternehmen lauter. Vor diesem Hintergrund ist es gar nicht mehr so verwunderlich, dass 2016 die Mehrheit der Briten für den Brexit stimmte. Oder auch, dass der große Freihandelskritiker Donald Trump den Weg ins Weiße Haus schaffte.
Doch ist die Deglobalisierung als Gegenbewegung die Lösung?
Mittelfristig betrachtet bringt die Tendenz zur Deglobalisierung für die Finanzmärkte jedenfalls eine gewisse Belastung. Denn während staatliche Förderprogramme und Eingriffe die Volkswirtschaften zwar durchaus robuster gegen Störungen von außen machen, zieht die Autonomie auch ein Verlust an Effizienz nach sich.
Wenn nicht mehr beim global konkurrenzfähigsten Anbieter gekauft wird, steigen die Kosten. Das beste Beispiel dafür ist aktuell Russland. Denn russisches Gas ist für Europa deutlich günstiger als beispielsweise Erdgas aus den USA. So stellt sich auch die Frage, inwiefern man mit einem strategischen Gegenspieler zumindest wirtschaftlich zusammenarbeiten möchte – und das nicht nur in Hinblick auf Russland. Sondern die Frage bezieht sich auch auf den aufstrebenden Giganten China. Die Problematik dahinter: Teurere Produkte mindern die Kaufkraft. Dadurch sinkt wiederum die Nachfrage. Und das belastet die Umsätze vieler Unternehmen erheblich.
Was sind die weltweiten Rahmenbedingungen für materiellen Wohlstand? Wie haben sich diese Bedingungen verändert, und welche möglichen Verteilungskonflikte gibt es? Unser vierter Megatrend-Report ist diesen Fragen nachgegangen. (vvw) https://t.co/BfbWf8beIi
— Bertelsmann Stiftung (@BertelsmannSt) June 20, 2022
Blick nach Österreich
In Österreich setzt die Politik – im Gegensatz zu vielen anderen EU-Ländern – fast ausschließlich auf Maßnahmen zur Entlastung von Haushalten und Unternehmen. Das habe den Grund, dass die Inflation – so Vize-Kanzler Werner Kogler (Grüne) – in Österreich vor allem von außen aufgenommen werde (siehe Streitgespräch im Standard vom 17.06.2022).
Die Lösung für die Inflationsrate von zuletzt 7,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahr sollen 28 Milliarden Euro sein. Diese möchte die Regierung bis zum Jahr 2026 in die Hand nehmen, um der ausufernden Teuerungswelle den Kampf anzusagen. So sollen ein Klimabonus, die schrittweise Abschaffung der kalten Progression sowie die Indexierung von Sozialleistungen für den Verbraucher Erleichterung schaffen. Die Effektivität bleibt erstmal fraglich.
Zudem werden Preisdeckel bei Mieten, Energiepreisen und Grundlebensmittel heiß diskutiert. Diese Maßnahmen sind jedoch nicht unumstritten – haben doch staatliche Hilfen ihre Grenzen. Und so bleibt das Grundproblem bestehen. Deshalb ist die Forderung groß, das Problem an der Wurzel zu bekämpfen: Europa muss autonomer werden und die Abhängigkeit, insbesondere in Sachen Energie und fossilen Brennstoffen, deutlich verringern. Da dies jedoch zweifelsfrei noch Jahre dauern wird, bleibt offen, ob die Deglobalisierung die Antwort und der Weg zurück tatsächlich der Weg in die Zukunft ist.
Wir haben diskutiert: Wie gut ist das Anti-Teuerungspaket der Regierung, kann der Staat mehr tun,müssten wir Miet-, und Strompreismarkt mehr regulieren? Dabei: @WKogler, die neue Chefökonomin des ÖGB @HeleneSchuberth& @GFelbermayr https://t.co/X2idjvtdgS
— Andras Szigetvari (@ASzigetvari) June 19, 2022
Titelbild © Pexels
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