Vollkommen irrelevant, ob die bisherigen Maßnahmen sinnvoll waren oder nicht, ist eines ganz offensichtlich – das Coronavirus und die daraus resultierende Krise spielen dem Bundeskanzler Sebastian Kurz und seiner Art des Führungsstiles sehr gut in die Hände.Von Message Control, Fake Laws, Intransparenz, auf Angst basierender Rhetorik und der Inszenierung seiner Person.
Während sich viele Menschen über womöglich sogar sinnvolle Maßnahmen beschweren, verlieren sie ihren Fokus für die reale und ebenso fragwürdige Vorgehensweise des Bundeskanzlers. Durch das Präventionsparadoxon richten die Menschen ihren Blick noch immer auf das Coronavirus und die vermeintlich überzogenen Maßnahmen. Hierbei übersehen sie viele kleine, weitaus wichtigere Details, die einer Demokratie auf lange Sicht wirklich schaden können.
— Ruprecht Polenz (@polenz_r) April 22, 2020
Message Control – und das Bad in der Unschuld
Hier scheiden sich die Geister. Natürlich bringt eine nach außen hin geschlossene Kommunikation mehr Vertrauen in der Bevölkerung. Kritikfähigkeit sollte dennoch eine Eigenschaft einer Regierung sein – die Sebastian Kurz aber versucht, mit genau dieser Message Control auszusetzen.
Betrachten wir vorangegangene Regierungen mit Sebastian Kurz als Mitglied, sollte jedem wachsamen Auge auffallen, dass die einzige Konstante Sebastian Kurz ist, aber die Schuldigen stets andere waren. Man erinnere sich an die Regierung Kurz Kern, in der jegliche Last für das Versagen auf den Koalitionspartner abgewälzt wurde. In und nach der nächsten Regierung mit der FPÖ – die sich selbstverständlich mit Ibiza ein ordentliches Ei gelegt hat -, hat Sebastian Kurz politisch brilliant agiert. Moralisch aber vollkommen verwerflich.
Anschuldigungen in alle nur möglichen Richtungen münden zwar in einstweiligen Verfügungen gegen Kurz. Wegen der Anschuldigung, die SPÖ hätte das Ibizia Video in Auftrag gegeben, und der Anschuldigung, die SPÖ hätte Spenden von Haselsteiner bekommen. Aber die öffentliche Meinung blieb ihm vielerorts wohlgesonnen. Trotz Zusammenlegung von Sozialversicherungen und der Einsparungslüge, massiver Überschreitungen der Wahlkampfkosten oder auch Fake News über die Sozialversicherung – um nur ein paar der vielen Vorfälle zu nennen – gewinnt die ÖVP sogar 6 Prozent dazu.
Seine politischen Freunde werden ganz schnell zu Feinden. In der aktuellen Regierung mit den Grünen zeichnet sich langsam selbiges ab. Bei der Einschränkung des Untersuchungsausschusses zur Ibiza-Affäre durch ÖVP und Grüne und dem klarstellenden VfGH-Urteil werden am Ende vermutlich auch nur die Grünen in der Öffentlichkeit die Schuldigen sein – eine Vermutung. Aktuell ist es zumindest schon so, dass die Legisten des Gesundheitsministerium – vom Grünen Anschober geleitet – die einzigen Schuldigen an dem Rechtschaos wären.
Die ÖVP überschreitet die gesetzlichen(!) Wahlkampfkosten ums doppelte und will ein unverbindliches Fairnessabkommen? Das hab ich falsch gehört, oder?
— Michel Reimon (@michelreimon) June 2, 2019
Wenig starke Gegenspieler – ein Sieg ohne großen Aufwand
Mit den kleineren Parteien, die kein adäquates Gegengewicht zur ÖVP darstellen, hat Sebastian Kurz ein leichtes Spiel – und dies nutzt er auch. Mit Beginn der Krise machte er wieder einen Schritt nach vorne. Er vollzog die Message Control in einem noch nie dagewesenen Ausmaß und präsentiert sich damit als der Heilsbringer der Nation – worauf viele der ÖsterreicherInnen leider auch sehr stark anspringen.
In der Kommunikationsstrategie wird deutlich, dass Experten nicht zu Wort kommen, die Medien mit den streng strukturierten Pressekonferenzen und durch Ablehnung von Diskussionsrunden in Zaum gehalten werden und Ischgl keine Erwähnung findet – übrigens ÖVP erzeugtes, europaweites Chaos.
Die Krone setzt er dem Ganzen auf, als es letztlich zu sogenannten Fake Laws kommt – also zu politischen Empfehlungen, die zwar keine Gesetze sind, doch von den BürgerInnen als solche wahrgenommen werden. Ohne Message Control keine Fake Laws, aber wird dies kritisiert, badet sich der Kanzler ganz rasch in Unschuld und schlüpft unter den (Deck-)Mantel der Coronakrise – eine gelegene Ausrede für all seine Schandtaten.
Über den Umgang mit Medien – damit gleichermaßen die Kritikfähigkeit der Regierung – und auch die Verteilung der Förderungensprechen wir später genauer
„Sie sind auf einer Parkbank gesessen“
Stadt Wien und Polizei verlieren im Kampf gegen Corona das Augenmaß. Das trifft auch die Ärmsten. Ein Einblick in die schikanösen Corona-Bescheide des Wiener Magistratshttps://t.co/TJzhc1QsRu pic.twitter.com/7kbipmlsRd— Florian Klenk (@florianklenk) May 5, 2020
Fake Laws – Rechtssicherheit Ade, Narrenfreiheit Hallo!
Wenn eine Regierung durch bestimmte Äußerungen dem Volk weismachen kann – ob nun gewollt oder nicht -, dass ihre Aussagen Gesetz wären, ein Sebastian Kurz betont, dass Kritik nur juristische Spitzfindigkeiten wäre, und er weiters die Prüfung der Gesetze durch den Verfassungsgerichtshof als mehr oder weniger sinnlos bezeichnet, weil die Regelungen außer Kraft wären, sobald die Prüfung abgeschlossen sei, dann läuft in einem Rechtsstaat regierungsseitig etwas falsch.
Schlagartig drängt sich eine Aussage des ehemaligen Innenministers Herbert Kickl in die Erinnerung. „Das Recht muss Politik folgen, nicht Politik dem Recht.“ Diesen Spruch scheint sich der Bundeskanzler zu Herzen genommen zu haben und nutzt die Krise, um durch Message Control und seine streng strukturierten Pressekonferenzen die öffentliche Wahrnehmung von Recht – und somit die Rechtswirklichkeit – temporär zu verändern.
Fakten, Fakten, Fakten. Wir können ja ein bisschen locker bleiben und net immer so schwindeln. #comebackfakten #puls4 #nrw19 pic.twitter.com/QHWtmnZ5dK
— Die Grünen (@Gruene_Austria) September 16, 2019
Wenn Politik die Gesellschaft bestimmt
Die Auswirkungen konnten wir in zwei eklatanten Punkten beobachten. Auf der einen Seite haben sich die BürgerInnen durch Angst vor Strafen in ihren Grundrechten einschränken lassen und auf der anderen Seite wurden diese Fake Laws sogar von den Vollzugsorganen der Polizei exekutiert. Gepaart mit der Inszenierung, die Sebastian Kurz bei seinen Pressekonferenzen vollzogen hat und damit den Medien sehr viel Raum für Fragen nahm, entstand sozusagen eine neue Rechtswirklichkeit.
Dieses Handeln führt aber auch zu Problemen für den Journalismus – eine gewisse Art des Krieges unter Medien entstand. Das Vertrauen gegenüber seriösen Medien sank, nachdem diese angeblich zu unkritisch berichtet hatten – was in Bezug auf Kurz mit Sicherheit nicht der Fall ist -, und zugleich gewannen überkritische und unseriöse Medien mit Falschbehauptungen und Stimmungsmache an Leservertrauen. Diese Unsicherheit, erzeugt durch die Regierung Kurz, zieht also viel weitere Kreise der Desinformation – da haben wir den Salat.
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Aktuell ist seriöser Journalismus dadurch zusätzlich ausgelastet, sich mit Faktenchecks und Gegendarstellungen dem Verbreiten unseriöser Informationen zu widersetzen, weshalb Menschen immer wieder in der vom Chaos zerfressenen Informationsflut durcheinanderkommen.
Interessanter Nebeneffekt in der Causa ist die Spaltung der Nation – eine der Lieblingsdisziplinen des Herrn Kurz.
Intransparenz und das Umgehen parlamentarischer Kontrolle
Abgesehen vom Fakt, dass vielen Selbstständigen durch das Hilfspaket nicht wirklich geholfen wird, entschied sich die Regierung bei der Verteilung des Geldes für die Abwicklung durch die Cofag – Covid-19 Finanzierungsagentur, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung – und die Wirtschaftskammer.
Es hat drei Vorteile, die Cofag mit der Abwicklung zu betrauen. Erstens gibt es neue Posten für ÖVP und Grüne, zweitens umgeht die Regierung damit den Rechtsanspruch auf Hilfe für Firmen und drittens ist die parlamentarische Kontrolle damit ausgehebelt. Zwar darf die Opposition einen Beirat stellen, doch unterliegen alle Informationen des gesamten Prozesses dem Bankgeheimnis. Zudem wird der Beirat erst ab Haftungen über 25 Millionen Euro informiert und Einsprüche seitens des Beirates haben nur aufschiebende Wirkung.
Beim Härtefallfonds wurde statt des staatlichen Ministeriums – das Finanzministerium, sind ziemlich gut mit Steuerakten und Prüfungen von Unternehmen – die Wirtschaftskammer eingesetzt. Warum? Der Rechtsanspruch geht flöten.
Wie so oft in Regierungen mit Sebastian Kurz ist die Präsentation „Hui“ und die Ausführung „Pfui“ – er rettet mit 38 Milliarden Österreich, aber keiner weiß, wohin das Geld geht. Er schafft es oft, neoliberale Politik als soziale zu verkaufen. Ich erinner nochmals an Krankenkassenzusammenlegung und die vermeintliche Einsparung oder auch die versprochene 4-Tage Woche im Zuge des 12-Stunden-Tages, gegen die die ÖVP dann trotz öffentlich gegenteiliger Präsentation einheitlich gestimmt hat.
Die Cofag kümmert sich schon um die AUA. Da hängen 5000 Jobs dran. Die KMU s lässt man im Ungewissen!!! Da sind 100.000 weg… was ist mit dieser Regierung bloss los?
— Sepp Schellhorn (@pepssch) April 20, 2020
Die Rhetorik des Sebastian Kurz und seine Selbstinszenierung
Die Angstrhetorik hat ihre Wirkung nicht verfehlt, doch ob dies der richtige Weg ist, darf stark hinterfragt werden. Statt Experten zu Wort kommen zu lassen und eine offene Kommunikation mit Bevölkerung und Medien oder gar der Opposition zu führen, setzt Sebastian Kurz auf die Inszenierung seiner Person – er weiß alles, er löst alles, er steht stets im Mittelpunkt.
Während andere Parteien in der Debatte kaum mehr zu Wort kommen – oder besser gesagt, Sebastian Kurz sie kaum mehr zu Wort kommen lässt – bleibt der Bundeskanzler stets der Überbringer guter und auch schlechter Nachrichten, wie auch der Erfinder aller Lösungen. Obwohl diese zum Teil bereits von anderen Parteien vorgeschlagen und seitens ÖVP und Grüne niedergerungen wurden, verkauft er die Lösungen dann als seinige. Wer heimst die Punkte dafür ein? Nach Profil-Umfrage liegt die ÖVP derzeit bei 48 Prozent, was sehr nahe an der absoluten Mehrheit ist, also offensichtlich der Bundeskanzler.
„Bald wird jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist“, hoffen wir, dass es nicht so kommt. Doch offensichtlich kennt jeder von uns sogar sehr viele, die dem heiligen Sebastian den Schein abkaufen. Hier ist die Coronakrise der perfekte Spielplatz, doch es ist nicht das erste Mal, dass der Bundeskanzler unter Beweis stellt, wie er aus Krisen und dem Ausnahmezustand Profit schlagen kann – man erinnere an die gescheiterte Koalition mit der FPÖ, wo er sich als das Opfer darstellte.
Sebastian Kurz und die Medien
Die Message Control haben wir ja bereits hinlänglich erklärt und auch den Umstand, dass Sebastian Kurz momentan jegliche kritische Auseinanderserzung mit Medien meidet. Doch ebenso demokratiepolitisch Verwerflich ist die Aufteilung der Medienförderung während der Krise.
Hier zu kritisieren ist vor allem die Berechnung der Höhe, wie auch der Rechtswissenschaftler Nikolaus Forgo im Interview mit dem Standard betont: „Ich könnte mir kaum einen Indikator für Förderungswürdigkeit vorstellen, der mir weniger geeignet erscheint als die Auflagenhöhe.“ Denn Medien agieren nicht mehr nur über ein gedrucktes Format. So ergänzt Forgo: „Zweitens fördert man jene am meisten, die hohe Auflagen generieren. Das sind naturgemäß in der Regel nicht gerade die Zeitungen, die für sachlichen Diskurs stehen.“
Sebastian Kurz wird aber mit Sicherheit nicht intervenieren, denn Medien, die Effekthascherei betreiben, spielen ihm in die Hände. Denn genau dasselbe betreibt auch er selbst. Er spricht stets von vielen potenziellen Toten, beruft sich auf Experten, ohne diese zu nennen und betreibt Frontalunterricht ohne große Erklärungen – das in bislang über 50 Pressekonferenzen und rund 40 Stunden.
Obwohl SPÖ Vorsitzende Pameli Rendi-Wagner die Offenlegung der Entscheidungsgrundlagen forderte, passierte rein gar nichts.
2 Parteizeitungen des ÖVP-Bauernbundes („Bauernzeitung“ + „Neues Land“) und 2 Kirchenzeitungen bekommen jeweils 3x so viel Corona-Medienförderung wie der „Trend“. Selbst das rassistische Kampfblatt „Zur Zeit“ bekommt 50% mehr. pic.twitter.com/qiMCamw7sY
— Armin Wolf (@ArminWolf) April 3, 2020
Ziemlich beste Freunde – Corona als die letzte Stufe zum absoluten Kurz?
Mit all diesen Punkten erreicht Kurz immer mehr sein scheinbares Ziel. Trotz potentiellen Überwachungsstaates mittels App-Nutzung und dem Verfolgen ÖVP-typischer neoliberaler Politik, die als soziale verkauft wird, schafft er es, sich in den Umfragewerten weit nach oben zu katapultieren.
Nachdem bereits SPÖ und FPÖ als regierungsfähige Parteien ausgeschlossen wurden, werden voraussichtlich auch die Grünen folgen. Sollte es wirklich zu den 48 Prozent nach der nächsten Wahl kommen, werden wir uns noch wundern, was alles möglich ist. Denn dann schnappt sich Kurz voraussichtlich den letzten Mitspieler – die Neos – und ringt damit den letzten möglichen Partner für eine Koalition zu Boden. „Neuwahlen“, wird er womöglich wieder rufen und das folgsame Österreich wird wieder einige Grundrechte aufgeben, um sich vom großartigen Sebastian vor den Bösen schützen zu lassen.
Wer dieses Böse sein wird? Irgendwas findet er mit Sicherheit. Womöglich sind es dann die vielen Arbeitslosen, die dem Staat so viel Kosten. Vermögensteuer? Nein. Erbschaftssteuer? Auch nein. Abbau des Sozialstaates? That’s it!
Titelbild Credits: Shutterstock
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