In Wien gibt es bereits eine beachtliche Zahl an Sprachcafés, in denen sich Menschen kostenlos und häufig auch ohne Anmeldung treffen können, um sich gegenseitig die Muttersprache beizubringen oder gemeinsam die örtliche Sprache zu erlernen. Wir haben uns das mal genauer angesehen und uns die Geschichte eines syrischen Flüchtlings angehört.
Sabah, ein 60 jähriger Syrer aus Marea – Gemeinde Aleppo in Syrien – erzählt mir von seiner Zeit als Lehrer in seinem Heimatland. Einer dieser Tage hat sich besonders in sein Gedächtnis gebrannt. Nicht alleine wegen seiner Leidenschaft zum Lehren, sondern vielmehr auch, weil diese Geschichte ihn an die freien und kreativen Kindergeister erinnert.
Als Sabah eines morgens die Schule erreicht, reihen sich seine SchülerInnen wie gewohnt bereits vor der Schultüre. Doch auch in Syrien sind Kinder nun mal Kinder. Beim Versuch die Türe zu öffnen, stellt er fest, dass seine Schüler das Schlüsselloch verstopft haben. In der Hoffnung, den Unterricht draußen fortsetzen zu können, haben sie ein Stück Holz in das Loch gesteckt. Ein Streich, der ihm heute noch ein Lächeln ins Gesicht zaubert.
Jedoch gehört diese Zeit der Vergangenheit an. 2012 musste er nach einer zwei jährigen Gefangenschaft seine Heimat verlassen. Zuvor nahm ihn der militärische Geheimdienst fest, wegen zu kritischer Äußerungen über die dortige Politik.
Nun droht dasselbe Urteil auch seinem Sohn. Er wusste wie grausam die Gefängniszeit für ihn dort war: Das hätte er seinem eigenen Kind nicht antun können. Schweren Herzens ließ er seine Familie zurück und floh mit seinen Sohn Malek (19) und seiner damalige Frau Nura über die Türkei.
Dort war er gezwungen eine Weile zu bleiben, während Nura und sein Sohn weiterreisten. Die beiden befinden sich derzeit wieder in der Türkei. Kontakt besteht nicht. Auf verzweigten Weg gelang Sabah schließlich 2015 nach Österreich. Doch von einem Ankommen kann keine Rede sein. Vielmehr war es ein immerwährender Kampf, die Prozeduren der Exekutive zu überstehen. Sein Antrag auf einen begrenzten Aufenthalt wird letztlich jedoch genehmigt.
Das Schicksal erschwerter Integration
Er lebt nun mit einem Freund, der ebenfalls das Aufenthaltsverfahren durchgestanden hat, in einem Flüchtlingshaus. Es ist eng. Privatsphäre gibt es kaum. Bis heute fühlt er sich noch nicht als Teil von Österreich. Wegen des mangelnden sozialen Kontakts zu Einheimischen gelingt die Integration nur schleppend.
Dies ist vor allem der Sprachbarriere zuzuschreiben. Besonders im höheren Alter gelingt ein Knüpfen von Bekanntschaften oder gar Freundschaften nur schwer, erst recht ohne gemeinsame Sprache und Kommunikation. Der Deutschkurs scheint hierbei nicht sonderlich Abhilfe zu schaffen. Denn der mäßig motivierte Lehrer vermittelt den Stoff in einem Tempo, dem kaum eine*r der Schüler*innen folgen kann.
Sabah ärgert dies noch zusätzlich durch seine eigene Vergangenheit als Lehrender: „Es wird uns die Möglichkeit verweigert Deutsch ordentlich zu lernen, wenn vom Lehrer kein Interesse dafür besteht.“.
Das Sprachcafe – bessere Integration mit der Alternative
Genau hier kommt das Sprachcafé ins Spiel. Es sammeln sich Menschen aller Welt und tauschen sich linguistisch auf sozialer Ebene aus, ohne eben diesen institutionellen voreingenommenen Positionen, wie z.B. die eines Schülers oder Lehrers und dessen Wechselbeziehung. Es gibt in Wien einige Sprachcafés und oftmals sind diese nicht an Kosten gebunden, wodurch alle Kriterien im Sinne für Sabah sprechen.
Ohne Scham, die Sprache nicht richtig zu beherrschen, lehrt man sich gegenseitig, durch alltägliche oder themenbedingte Konversationen die Sprache des jeweils anderen. Insbesondere wird jedoch ein Raum geschaffen, in dem Beziehungen geschlossen werden und Auseinandersetzungen stattfinden können. Dadurch eröffnet man sich auch die Kultur des anderen, ganz im Sinne der Integration.
Kulturelle Unterschiede und Vorurteile können erst aufgewogen werden, wenn ein sozialer Austausch stattfindet. Sabah muss nämlich nicht gegen ein, sondern gleich mehrere Vorurteile kämpfen. Einerseits besteht die Annahme, Flüchtlinge seien inkompetent, fremd und gefährlich. Andererseits lastet ihm der Stereotyp eines Syrers an: Ein aggressiver Mann, der einen sexistischen Umgang mit Frauen hat.
Ihm ist es wichtig, dass er nicht mehr so betrachtet, sondern als ein gebildeter und zivilisierter Mensch angenommen wird. Dafür werden von der Gesellschaft unter anderem gute Deutschkenntnisse verlangt, um sich auch als arbeitsfähiger Mensch zu beweisen. Eine Resonanz und Akzeptanz der Gesellschaft ist unerlässlich, um das Eingliedern in das größere Ganze zu erleichtern: das Ziel der Integration.
Der Kampf gegen die Vorurteile – die erste Hürde der Integration
Für den sogenannten weißen europäischen Mann aber auch die weiße europäische Frau ist es ein unbekanntes Gefühl auf negative Stereotypen der Herkunft wegen reduziert zu werden. Selbstverständlich gibt es auch für uns Ost- und Westeuropäer*innen Vorurteile und Klischees, doch sind diese relativ betrachtet zum größten Teil positiv konnotiert.
Hingegen herrschen über Geflüchtete, wie auch Südwestasiat*innen maßgeblich negative Vorurteile. Es besteht eine Wechselbeziehung von voreingenommenen Zuschreibungen. Der Politologe Edward Saïd beschreibt es in seiner Dialektik als eine Selbst- und Fremdzuschreibung. Er beobachtet bei den ehemaligen Kolonialmächten Zuschreibungen von Eigenschaften über den sogenannten „Nahen Osten“, die durch die Abgrenzung davon somit gegenteilige an die Kolonialisten angedichtet worden sind.
Bis heute haben diese Bilder einen großen Einfluss auf die politische und intellektuelle Kultur. Dadurch liegen auf uns Europäer*innen unter anderem die Eigenheiten Reife, Artikulation und Vernunft, wodurch Südwestasiat*innen Kindlichkeit, Stummheit und Mystik zugeschrieben wird.
Unter diesem Hintergrund wird deutlich, dass Hilfe bei der Integration notwendig ist. Möglich ist dies durch Orte wie das Sprachcafé. Es braucht Räume, in denen offene und beziehungsdurchströmte Verbindungen stattfinden können. Damit werden diese Vorurteile bekämpft und somit die Integration von Sabah und all den Betroffenen erleichtert. So ein Raum kann nur von uns Menschen erschaffen werden, das heißt durch das Beitragen eines jeden Einzelnen dazu.
Titelbild Credits: Shuttterstock
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