Streetart im Museum? Wie gut diese Kombination zusammenpasst, hat das Wien Museum bereits 2019 mit der Ausstellung „Take Over – Streetart & Skateboarding“ eindrucksvoll bewiesen. Selten hat man davor den Museumsbetrieb so lässig erlebt. Denn wie der Name bereits verrät, waren neben Streetart Künstler*innen in der Museumshalle auch Skater*innen eingeladen worden, um in einem speziellen Bereich ihr Können auf die Probe zu stellen. Dadurch wurde die Ausstellung zusätzlich mit dem passenden Flair angereichert. Kurz danach wurde das Wien Museum für einen längeren Umbau gesperrt.
Doch wie geht es dem Wien Museum mittlerweile? Um das herauszufinden, haben wir uns zu einem Gespräch mit Florian Pollack, Leiter für Kommunikation und Development des Wien Museums, getroffen. Dabei haben wir über das Museum, Kunst und Streetart in Wien geplaudert.
Florian Pollack & das Wien Museum
Das Wien Museum ist das größte städtische Museum in Wien und zeigt die Geschichte der Stadt von ihren Anfängen bis zur Gegenwart. Die Sammlung umfasst mehr als eine Million Objekte, darunter Gemälde, Grafiken, Fotografien, Möbel, Architekturmodelle und vieles mehr. Seit 2018 leitet Florian Pollack die Abteilung für Kommunikation und Development des Wien Museums. Als ehemaliger Marketing- und Kommunikationsleiter des Kunsthistorischen Museums bringt Pollack umfassende Erfahrung im Umgang mit historischen Sammlungen und dem Publikum mit.
Seine Expertise in den Bereichen Corporate Social Responsibility und Corporate Communication unterstützt das Wien Museum bei der Stärkung seiner Position als wichtige Institution für die Kultur und Geschichte Wiens. Ich habe mich mit Florian Pollack zu einem Interview getroffen, um mit ihm über das Wien Museum und Streetart in Wien zu sprechen.
Wien Museum Neu © Kollektiv Fischka
„Take Over“ brachte Streetart ins Museum
Das Wien Museum hat in der Vergangenheit schon öfter Kooperationen mit Streetart und Graffiti Künstler*innen im Programm gehabt. Zum Beispiel, wie eingangs erwähnt im Rahmen von der Veranstaltung „Take Over“, als Künstler*innen wie Nychos in den Museumshallen ihre Werke dem Publikum präsentieren konnten.
Das war damals eine sehr lässige Veranstaltung, die auch einen starken interaktiven Charakter entwickelt hat. Da etliche Stickerwalls, je länger die Veranstaltung lief, entstanden sind. Dabei haben zahlreiche Wiener Crews und Fans ihre grafischen Sticker angebracht. So etwas hat es auch im coolen Wien davor in der Form noch nicht gegeben. Streetart ist ja per se im öffentlichen Raum, ungefragt und oft anonym, inwiefern kann also die Essenz der Kunstform beibehalten werden, wenn diese ins Museum tritt?
Florian Pollack: Das ist eine sehr gute Frage, über die wir damals bei Take Over intensiv nachgedacht haben. Take Over war deshalb möglich, weil wir eben vorher das Museum völlig leer geräumt haben und danach das Museum renoviert wurde. Das heißt, es war eine Situation im Museum, die anders ist als sonst. Wir hatten keine Objekte, auf die man aufpassen musste.
Wir hatten keine teuren Kunstwerke, die herumgehangen sind, die geschützt werden mussten, sondern wir hatten nur einen Raum. Und das war der Grund, warum wir Streetart und damals eben auch Skateboarding als Kunst, Popkultur oder kulturelle Phänomene, die eben nicht ganz dezidiert musealisiert sind, in das Gebäude des Museums hereingelassen haben. Aber das Gebäude war damals schon eigentlich kein Museum mehr.
Auswahlprozess für Artist*innen
Der Baustellenzaun wurde während des Umbaus auch als Leinwand genutzt – wie hat sich hier der Auswahlprozess gestaltet?
Florian Pollack: Also der Auswahlprozess hat einerseits natürlich darauf gefußt, dass wir für Take Over mit der gesamten Wiener Szene Kontakt hatten. Und die Leute sehr gut kennengelernt haben. Ihre Stile, ihre inhaltlichen Schwerpunkte, wie sie arbeiten, wie die Zusammenarbeit ist, wie sehr sie anonym bleiben wollen oder nicht. Das war so die Quelle dieses Auswahlprozesses. Und dann sind wir aber sehr stark nach Themen gegangen. Wir hatten immer eine thematische Vorgabe, also zum Beispiel Urban Natures: also Natur in der Stadt.
Urban Natures: Streetart am Bauzaun | Part I: El Jerrino, Video & Sckre | Wien Museum Karlsplatz Open Air | Foto © Klaus Pichler
Dann hat die zuständige Kuratorin sich umgesehen, was gibt es in der Stadt an Werken oder an Künstler*innen, die sich mit Natur beschäftigen in ihrer Arbeit? Und die haben wir dann angesprochen. Und das waren dann zum Teil auch Leute, die bei Take Over noch gar nicht dabei waren. Da hat sich der Kreis durchaus noch erweitert. Ein Punkt war auch, dass der Bauzaun schon sehr groß war. Also das waren, schätze ich, 80 mal 3 Meter. Daher haben wir natürlich nur Künstler*innen gesucht, die mit so großen Flächen umgehen können.
Streetart als Teil der zeitgenössischen Kunst
Das Wien Museum ist bekannt für seine umfangreiche Sammlung zur Geschichte der Stadt Wien. Wie ist es jedoch damals gelungen, das Museum auch für moderne Kunst und zeitgenössische Strömungen zu öffnen, wie zum Beispiel für die Streetart-Szene?
Florian Pollack: Da wir kein Kunstmuseum, sondern ein Geschichtsmuseum sind und Geschichte geht bis in die Gegenwart. Daher beobachten wir alle Phänomene, die in der Stadt heute tatsächlich stattfinden. Und da ist Streetart etwas, was es schon sehr lange gibt und was nun seit ca. 15 -20 Jahren einfach einen wichtigeren Aspekt der Stadtgestaltung und der Wahrnehmung in der Stadt darstellt. Das ist das eine. Also wir beobachten die Stadt und da sehen wir natürlich auch Streetart.
Das Zweite ist, dass wir seit ein paar Jahren die Sammlung der Stadt Wien für moderne und zeitgenössische Kunst auch bei uns haben. Und da Streetart ein Teil der zeitgenössischen Kunst ist, kommen hier diese Dinge einfach zusammen. Dann hatten wir noch das Glück, dass wir zwei Kolleginnen haben, die diese Szene gut kennen und sich schon seit vielen Jahren damit beschäftigen. Daher kennen sie auch einige der Protagonist*innen sehr gut. Und das hat dann alles einfach gut zusammengepasst.
Wien Museum & Streetart
In vielen bedeutenden Städten wurden bereits groß angelegte Streetart-Ausstellungen organisiert. Ihr habt hier eine Pionierrolle übernommen, inwiefern sollten weitere Ausstellungsprojekte in anderen Wiener Museen folgen?
Florian Pollack: Das ist eine schwierige Frage. Ich kann natürlich nicht für andere Museen sprechen. Aber ich würde sagen, dass in manchen Bereichen die Museumslandschaft in Wien vielleicht ein bisschen altmodisch ist. Und auf gewisse popkulturelle Phänomene eben nicht so direkt Bezug nimmt, wie wir das können und wie wir das wollen. Aber ich gehe davon aus, dass sich das auch ändern wird und dass die Museen oder die Ausstellungshäuser, die sich mit zeitgenössischer Musik und zeitgenössischer Kunst beschäftigen, am Thema Streetart einfach nicht vorbeikommen werden.
Die Streetart-Szene in Wien hat in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Wie kann das Wien Museum dazu beitragen, dass diese Kunstform auch im Kontext der Wiener Kultur betrachtet und verstanden wird?
Takeover – Street Art & Skateboarding, Wien Museum Karlsplatz – MALR, MALR’s Styles Örtchen | Foto © Christoph Schleßmann
Florian Pollack: Durch Ausstellungsprojekte, durch Kooperationen, durch Forschungsprojekte. Vielleicht auch wieder einmal durch Projekte, bei denen wir Streetart hier ins Haus holen. Also da gibt es einige Ideen, die noch nicht sehr weit gediehen sind, weil wir eben gerade erst fertig renovieren und im Dezember wieder aufsperren werden. Aber die Verbindung zwischen dem Wien Museum und Streetart, die wird bleiben. Und da kann die Szene sich noch auf einige schöne Projekte freuen.
Stretart: nur ein Hype?
Wird sich Streetart nachhaltig als Darstellungsform in der Kunst etablieren oder erleben wir nur einen temporären Hype?
Florian Pollack: Nein, das ist sicher kein Hype. Also Hype ist in meinen Augen Banksy. Ja, das ist ein Hype. Ob da jetzt irgendwo in England in der Nacht geheime Wände abgekratzt werden, die dann von ihm waren oder gar nicht von ihm waren. Das ist ein Hype.
Aber Streetart an sich ist sicher kein Hype. Es gibt einen großen Trend, den öffentlichen Raum quasi der Bevölkerung und den Menschen, die ihn bewohnen, wieder stärker zurückzugeben. Das findet auf unterschiedlichen Ebenen statt. Und da ist Streetart eine davon. Und Streetart ist sicher here to Stay.
Allianz zwischen Kunst und Kommerz
Streetart spricht heutzutage immer mehr Menschen an, und so findet Streetart als Kunstform auch immer mehr Zugang als Stilmittel in der Werbung? Was hältst du von dieser Allianz zwischen Kunst und Kommerz?
Florian Pollack: Wie bei fast allem kommt es auf die Qualität an. Wenn das gut gemacht ist, dann ist das eine wunderbare Bereicherung. So wie es gute und schlechte Kinowerbungen gibt und gute wie schlechte Modewerbungen. Es gibt gewisse Formate, wo sich Werbungsstile durchgesetzt haben, die niemandem gut gefallen. Zum Beispiel im Fernsehen und zum Teil auch im Radio.
Aber es gibt andere Bereiche, wo Kommerz und Kunst durchaus zusammenpassen und einander auf eine ganz positive Art und Weise befruchten. Und wir kennen natürlich den Diskurs vor allem aus der Kunstszene, die sich nicht an patzen will, mit Kommerz und mit Werbung. Aber unserer Sicht nach sollten sich alle da ein bisschen entspannen. Und wenn das Ergebnis überzeugt, dann ist es für alle Beteiligten gut.
Streetart in der Werbung
Bleiben wir gleich bei der Werbung und schauen wir uns was Spezifisches an. Wir bei WARDA arbeiten genau mit diesen Elementen. Auf unseren Walls in Wien machen wir mit Streetart Werbung für unsere Kunden. Das Zauberrezept dabei heißt 80/20. Das bedeutet 80 % Kunst 20 % Werbung. Wie bewertest du solche Kooperationen als Profi der Kunstszene? Ist so etwas für die Kunstform Streetart förderlich, oder ist das im Endeffekt mehr Mittel zum Zweck?
Florian Pollack: Ich glaube, es ist ein gutes Mittel zum Zweck und ich glaube, es ist absolut förderlich für die Branche. Also jetzt auch im Umkehrschluss, dass Leute sehen: „Okay, das ist jetzt offensichtlich doch nicht Vandalismus!“ Denn das gibt es noch immer in vielen Köpfen.
Sondern wenn die Erste Bank bei so etwas mitmacht und in Auftrag gibt, also dafür Geld ausgibt, dann muss ich das in meinem Kopf aus der Vandalismus Ecke herausholen. Und zumindest in eine Angewandte-Kunst-Ecke reingeben. Ich glaube, das ist auf jeden Fall gut für die Sache.
Und was bringt die Zukunft noch so alles?
Welche Ausstellungen und Projekte plant das Wien Museum für die Zukunft und plant ihr Streetart Zukäufe für eure Sammlung?
Florian Pollack: Also im Moment haben wir nur Ideen und noch keine konkreten Projekte. Und wir haben auch noch keine konkreten Ankaufstrategien, was das Thema Streetart betrifft. Aber wie gesagt, erstens, weil wir es für eine relevante Kunstform halten. Zweitens, weil wir selber so gute Erfahrungen damit gemacht haben. Und drittens, weil wir uns natürlich auch weiterentwickeln, daher kann man davon ausgehen, dass da noch einiges kommt.
Ich danke dir für deine Zeit und deinem professionellen Blick auf die Streetart-Szene im Kontext des Museumsbetriebes. Wir wünschen euch im Wien Museum weiterhin viel Erfolg und zahlreiche Besucher*innen für eure grandiosen und spannenden Ausstellungen nach der Wiedereröffnung im Dezember 2023!
Titelbild © Christoph Schleßmann
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