Der Superbowl ist jedes Jahr für viele Sportfans ein unvergessliches Ereignis. Eine noch größere Bedeutung hat dieses Sportevent für die Werbewelt. Jedes Jahr investieren verschiedene Marken Millionen um Teil des großen Medienspektakels zu sein. Der Superbowl 2021 war etwas ganz Besonderes: Er war die Geburtsstunde einer neuen Art der Werbung. Man könnte hier fast von einem Marketing Meilenstein sprechen: Die Einführung der TDI.
Die Superbowl Kampagne: Coor Beer
Der amerikanische Bierhersteller „Molson coors Beverage“ hatte sich für den Superbowl etwas ganz Besonderes überlegt. Etwas was die Werbewelt für immer verändern würde: Eine Werbung die über das menschliche Bewusstsein hinausging. Das eigentliche Ziel der Werbebotschaft: Die Träume der Super Bowl Zuseher.
Coor Beer wollte sich einer neuen Taktik bedienen: Der TDI. Mit dem Ziel die Träume der fast 100 Millionen Superbowlzuseher in der Nacht vor dem Superbowl so zu beeinflussen, dass diese ihr Produkt konsumierten. Coor ist mit dieser Kampagne ein Pionier im TDI–Marketing.
Der Vizepräsident der Marketingabteilung von Coor bezeichnete die TDI als eine nie zuvor gesehene Form des Werbens. Er hatte recht, denn diese Art der Trauminkubation kannte man davor nur aus Filmen wie „Inception“, aber langsam wird sie immer mehr Bestandteil unserer Realität.
Was ist TDI ?
TDI steht für „Targeted Dream Incubation“ (deutsch: gezielte Trauminkubation). Eine Methode, mit der man Träume in die Richtung bestimmter Themen lenken kann. Der Schlüssel zur TDI ist ein ganz spezieller Zeitpunkt im menschlichen Schlafzyklus: Die Hypnagogie oder auch NREM1 genannt.
Bei NREM1 handelt sich um die Eintrittsphase zum Schlaf. Das Gehirn gleitet langsam in die Welt der Träume – diese Phase machte sich übrigens der Künstler Salvador Dali zunutze. Auch wenn es so scheint, als wäre zwischen Wachzustand und Schlaf nur ein kleines Zeitfenster, handelt es sich hier um neun unterschiedliche Stufen, die das Gehirn durchläuft, bevor der Mensch nicht mehr „bei Bewusstsein“ ist.
TDI zielt auf die Mitte des Zeitraums zwischen dem Wachzustand und völligem Schlaf ab. Genauer gesagt geht es um die Phase, in der das Gehirn langsam in die Traumwelt gleitet, die menschlichen Sinne aber dennoch mit der Außenwelt in Kontakt stehen und diese wahrnehmen können.
Zwischen zwei Welten
Die Stufe 1 der TDI setzt genau hier an. Zu diesem Zeitpunkt werden Worte, die die schlafende Person hört, zu mentalen Bildern verarbeitet und rutschen in die Träume der Schläfer. Das heißt aus den Audios, die die schlafende Person hört, werden im Gehirn Bilder generiert. Je tiefer der Schläfer in den Schlaf rutscht, desto mehr wachsen diese Bilder mit seinen Träumen zusammen. Für den Erfolg der TDI ist der richtige Zeitpunkt auschlaggebend. Wenn man diesen verpasst, kann der Prozess nicht vonstattengehen.
Coor Beer ging folgendermaßen vor: Teilnehmer der Studie – Coor selbst nannte es die weltweit größte Traumstudie – würden -50% auf ein Zwölferpack Coors Beer erhalten. Wenn die Teilnehmer den Link mit der trauminduzierenden Werbung an jemanden weiterschickten, würden sie das Zwölferpack sogar gratis erhalten.
Trauminkubation – Ihr Ursprung
Auch wenn das Konzept der TDI so wirkt, als käme es aus der Zukunft, ist die Trauminkubation an sich alles andere als eine Neuerscheinung. Die TDI geht tausende von Jahren zurück: Indigene Völker auf der ganzen Welt bedienen sich seit Ewigkeiten dieser Traumpraktiken als Teil bestimmter Rituale.
Die Wissenschaft ist erst vor Kurzem auf die Trauminkubation gestoßen und versucht nun verschiedene Tools zu finden, um das Phänomen besser zu verstehen und somit messbar zu machen. Es werden zum Beispiel Sensoren verwendet, um festzustellen, wann das Gehirn einer schlafenden Person empfänglich ist für äußere Stimuli. Wenn dieser Zeitpunkt festgelegt ist, werden genau zu diesen Zeiten Gerüche, Geräusche, Lichter oder auch gesprochene Wörter verwendet, um Einfluss zu nehmen auf den Trauminhalt der schlafenden Person.
Weitere TDI–Kampagnen
Doch nicht nur Coor bedient sich der Traumwelt seiner Konsumenten. Die Kampagne „X-Box made from dreams“ nutzte die Kunst der TDI, um professionellen Gamern Träume von ihrem Lieblingsvideospiel zu verschaffen. Playstation hingegen ließ seine Gamer mithilfe von TDI von Tetris träumen, um somit den Spieleklassiker – wortwörtlich – zurück ins Gedächtnis der Rezipienten zu katapultieren.
Das Marketing Team von Burger King setzte schon 2018 auf TDI. Die Fastfoodkette kreierte zu Halloween den sogenannten „Nightmare Burger“ . Burger King bestätigte mit einigen Studien, dass der Konsum des Burgers Alpträume induzieren könne.
Die Kommerzialisierung von Träumen – ethisch vertretbar?
Momentan ist eine sogenannte „Dream Engineering Ethic“ in Arbeit. Sozusagen ein Grundriss, welcher bestimmte Prinzipien in Bezug auf die „TDI“ festmachen soll. Im Fokus stehen vor allem Punkte wie: Die Bildung neuer Gewohnheiten und Assoziationen durch TDI und die Veränderung der eigentlichen Thematik des Traumes.
Es werden momentan sehr viele Studien zu dem Thema „Marketing in Träumen“ finanziert. Viele Marketingabteilungen wollen Methoden finden, die ihnen dabei helfen, das Konsumentenverhalten durch Träume und die Kunst des Sleephackings zu beeinflussen. Die Kommerzialisierung und die „for profit“-Nutzung von Träumen wird immer mehr zur Realität.
Träume – Mehr als ein Nebenprodukt des Schlafes
Problematisch ist die Tatsache, dass sich viele Menschen der Bedeutung unserer Träume nicht bewusst sind. Träume haben eine wichtige psychologische Funktion, mit der sich schon Sigmund Freud intensiv beschäftigt hatte.
1899 verfasste er sein Buch „Die Traumdeutung“ und ging auf die Bedeutung des Träumens für die menschliche Psyche ein. Träume sind mehr als zufällig zusammengewürfelte Bilderausschnitte. Für Freud sind Träume Wunscherfüllungen des Unterbewusstseins. Einfach gesagt: Es geht darum, die unbewussten Triebe und Wünsche im Traum zu verarbeiten und auszuleben.
Träumen ist wichtig für das Verarbeiten des Alltaggeschehens, aber auch für die Gehirnentwicklung und -reifung. Die Wissenschaft hat gezeigt, dass bei Neugeborenen der REM-Schlaf extrem hoch ist. Der REM-Schlaf ist eine Phase in unserem Schlafzyklus – genauer gesagt, die wohl bedeutendste Phase, denn hier verarbeitet unser Gehirn am meisten.
Was passiert also, wenn unsere Träume nun als Werbeträger dienen? Geht die eigentliche Funktion der Träume verloren?
Gefahren von TDI: Verliert die Traumarbeit ihre eigentliche Bedeutung?
Wie schon erwähnt schenkte Freud in seiner Psychoanalyse der Traumarbeit besonders viel Aufmerksamkeit. Mit seinem Werk „Die Traumdeutung“ stellte er eine neue Theorie auf, die einen klaren Zusammenhang zwischen unseren persönlichen Erlebnissen und Träumen erkannte. Er nannte die Traumdeutung auch die „via regia“ (lat. Königsweg) zu unserem unbewussten Seelenleben.
Freud bezeichnete den Traum als „Wächter“ oder auch „Hüter des Schlafes“. Laut Freud manifestierten sich in unseren Träumen verdrängte aktuelle, aber auch aus der Kindheit stammende Wünsche. Die Aufgabe der Traumarbeit ist laut Freud die Erfüllung dieser Wünsche.
Wie viele von Freuds Werken ist auch die Traumdeutung sehr umstritten. Doch er ist nicht der Einzige, der Träume als mehr als nur ein Nebenprodukt des Schlafes sieht. Künstler Salvator Dali sprach oftmals von der Bedeutung des Schlafes für sein künstlerisches Schaffen.
Auch die Wissenschaft scheint unseren Träumen wichtige Aufgaben zuzuschreiben. Träumen ist für das menschliche Gehirn existenziell: Während wir träumen, sortiert unser Gehirn die Eindrücke und das Erlebte des vergangenen Tags. Manche Wissenschaftler:innen sprechen von Träumen als Übungsplatz dieser neu erlernten Informationen, welcher unserem Gehirn erlaubt sich neu zu ordnen.
Weiters stellt sich die Frage, inwiefern das Ganze ethisch und rechtlich vertretbar ist. Der Schlaf gehört zum persönlichen Lebensraum eines Menschen. Inwiefern ist es ethisch vertretbar auf diese Art und Weise in die Privatsphäre einzudringen? Und um welchen Preis geschieht das Ganze? Viele Wissenschaftler warnen die Gesellschaft vor der Kommerzialisierung unserer Traumwelt.
© Pixabay
Die Wissenschaft warnt vor der Übernahme unserer Träume von Herstellern
In einem Schreiben, verfasst von 40 Traumforschern in Bezug auf die beim Superbowl eingeführte TDI, ist folgendes zu lesen:
„Such interventions clearly influence the choices our sleeping and dreaming brain make in how to interpret the events from our day, and how to use memories of these events in planning our future, biasing the brain`s decisions toward whatever infromation was presented during sleep.“
(Anm. d. Red: „Solche Interventionen beeinflussen eindeutig die Entscheidungen, die unser schlafendes und träumendes Gehirn trifft, wie es die Ereignisse aus unserem Tag interpretiert und wie es Erinnerungen an diese Ereignisse bei der Planung unserer Zukunft nutzt, indem die Entscheidungen des Gehirns durch die Informationen, die während des Schlafes präsentiert wurden, beeinflusst werden.“)
Dr. Deirdre Barrett, eine Harvard Professorin, welche bei der Coors-Kampagne mithalf, schrieb folgendes in Bezug auf den Brief: „I completely agree with the passionately expressed core premise of that letter: the absolute ethical unacceptability of ‚passive, unconscious overnight advertising, with or without our permission“ (Anm. d. Red. „Ich stimme der leidenschaftliche ausgedrückten Kernaussage des Briefes zu: Die absolute ethische Inakzeptanz von passivem unbewusstem nächtlichem Werben mit oder ohne unsere Erlaubnis.“)
Weiters betonte Barret, dass ‚TDI“, kein Spiel sei, sondern eine ernstzunehmende Angelegenheit mit realen Konsequenzen. „Planting dreams in people’s minds for the purpose of selling products, not to mention addictive substances, raises important ethical questions.“, ist in ihrem Schreiben zu lesen. (Anm. d. Red.: „Träume in die Köpfe von Menschen zu pflanzen um somit Produkte zu verkaufen – von suchterzeugenden Produkten will ich gar nicht erst anfangen- wirft wichtige ethische Fragen auf.“)
Momentan funktioniert TDI nur mit einer aktiver Teilnahme der Beteiligten, wie dies zum Beispiel bei Coors Beer der Fall war. Freiwillige sollten einen acht Stunden Coors Soundtrack laufen lassen, während sie schliefen. Doch wenn man bedenkt, dass um die 40 Millionen Amerikaner Smart Speaker in ihren Schlafzimmern stehen haben, ist es nicht schwer sich vorzustellen, wie diese Geräte zu passiven unbewussten Schlafwerbern werden könnten, mit oder ohne unsere Erlaubnis.
TDI – Die Vorteile, die sie mit sich bringen könnte
Neben den ganzen Zweifeln und Gefahren im Bezug auf die TDI sollte man die Vorteile, die diese Methode mit sich bringen kann, nicht außer Acht lassen.
Die Wissenschaft bezieht sich auf Künstler wie Dali, der seine Träume nutzte als eine Quelle der Kreativität und Problemlösung. Der einzige Unterschied zu Dali, so betont Wissenschaftler Haar Horowitz, sei dass die TDI diese Träume beabsichtig und gezielt induzieren würde.
Weiters hofft die Wissenschaft, diese sogenannte Manipulation der Träume zu Gunsten der Menschheit zu nutzen, indem man zum Beispiel bewusst neue Assoziationen setzen kann. Versuche zeigten, dass Raucher mithilfe von TDI dazu gebracht wurden, das Rauchen mit dem Geruch von verdorbenem Fisch zu assoziieren.
Aber auch Bereiche wie durch PTSD (Posttraumatische Belastungsstörungen) ausgelöste Alpträume gehören zum Forschungsgebiet der TDI.
Titelbild © Shutterstock
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