Veganer:innen kennen die Situation nur allzu gut. Kaum fühlen sich Fleischesser:innen in Bezug auf ihre Ernährung in ihren Grundfesten kritisiert, geht das Bullshitbingo los: „Pflanzen haben doch auch Gefühle!“, „Hühner legen sowieso Eier!“, „Veganismus ist unnatürlich!“. In ihrem neuen Buch „Vegan ist Unsinn!“ nehmen Niko Rittenau, Patrick Schönfeld und Ed Winters verbreitete Argumente gegen eine vegane Lebensweise unter die Lupe. Vegan Lebende dürfen sich über reichlich faktenbasiertes Rüstzeug für die nächste Diskussion freuen.
Die vegane Bewegung ist am Vormarsch. Immer mehr Menschen entscheiden sich gegen den Konsum tierischer Produkte. Sei es aus gesundheitlichen, ethischen oder Umwelt-Gründen. Ihr veganer Wertekosmos bringt in einer Welt, in der die Tötung und Ausbeutung von Tieren eine herrschende Norm beschreibt, reichlich Zündstoff für Konflikte mit sich. Nicht selten fühlen sich Vertreter:innen einer „karnistischen“ Lebensweise von Veganer:innen angegriffen. In Diskussionen torpedieren sie ihr veganes Gegenüber folglich mit vermeintlich stichhaltigen Argumenten gegen Veganismus.
Analysiert man diese jedoch genauer, verpuffen sie häufig zu Schall und Rauch. Der bekannte Ernährungswissenschaftler Niko Rittenau sowie die Tierrechtsaktivisten Patrick Schönfeld und Ed Winters haben 30 gängige Vorurteile gegen Veganismus zusammengetragen und in ihrem gemeinsamen Buch „Vegan ist Unsinn“ auf den Prüfstand gestellt.
Tierethik vor Gesundheit und Klima
Für eine pflanzliche Ernährung sprechen unter anderem die positiven Auswirkungen auf Gesundheit und Klima. Sie sind zwar tatsächlich gewichtig, beschreiben die Bedeutung der veganen Lebensweise aber noch nicht ausreichend, so die Autoren. Korrekterweise profitieren Gesundheit und Klima nämlich schon, wenn wir den Konsum tierischer Produkte lediglich stark reduzieren. Das grundlegende Argument für eine vegane Lebensweise müsse daher der tierethische Aspekt sein.
In einer ausführlichen Einleitung erläutern die Autoren deshalb zunächst die moralphilosophische Basis des Veganismus. Sie bildet die Grundlage ihrer Argumentation. Das Kapitel nicht zu überspringen lohnt sich. Auch wer schon länger vegan lebt, wird beim Lesen womöglich noch die eine oder andere erhellende Erkenntis gewinnen. Danach beleuchten die Autoren den Wahrheitsgehalt gängiger Argumente gegen Veganismus. Zusätzlich stellen sie Vorurteile und Faktenlage übersichtlich in einer Tabelle gegenüber. Auch Bilder, Diagramme und Info-Grafiken helfen dabei, die Begründungen besser zu verstehen.
Die Liste der Vorurteile reicht von „Veganer:innen sind intolerant, militant, radikal, extrem und dogmatisch“, über „Tierische Produkte zu essen ist natürlich“ bis hin zu „Echte Männer brauche Fleisch“. Insgesamt umfasst das Buch dreißig Kapitel, von denen wir euch drei näher vorstellen wollen.
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Pflanzen sind auch Lebewesen und haben Gefühle
In Gegenwart einer vegan lebenden Person steigen Fleischesser:innen häufig zu heroischen Hüter:innen des Pflanzenwohls auf. Die Ansicht, dass Pflanzen doch auch Lebewesen sind und Gefühle haben, scheint ihnen ein triftiger Grund, die veganen Lebensweise zu kritisieren.
Das Argument lässt sich jedoch leicht entkräften. Aus wissenschaftlicher Sicht deutet bisher nämlich nichts darauf hin, dass Pflanzen Leid empfinden. Sie verfügen weder über ein zentrales Nervensystem noch über ein Gehirn, das Schmerz verarbeiten könnte.
Zugegebenermaßen können wir dennoch nicht hundertprozentig ausschließen, dass Pflanzen leiden. Aber auch im unwahrscheinlichen Fall, dass sie es tun, verursacht eine vegane Lebensweise weniger Leid als eine omnivore. Für die Fütterung von Nutztieren sterben nämlich mehr Pflanzen, als für eine rein pflanzliche Ernährung der Menschen nötig wäre.
Milchkonsum schadet den Tieren nicht
Viele glauben, dass „Milchkühe“ ja ohnehin Milch geben und anders als „Mastrinder“ nicht im Schlachthaus sterben. Tja, falsch gedacht. Auch über diese weit verbreitete Annahme klären die Autoren von „Vegan ist Unsinn“ auf.
Wie alle Säugetiere, geben auch Kühe nur Milch, nachdem sie Nachwuchs bekommen haben. Als Teil des industriellen Milchproduktion werden sie deshalb regelmäßig künstlich besamt. Sobald das Kalb dann geboren ist, wird es von seiner Mutter getrennt und mit minderwertigem „Milchaustausch“ gefüttert. Die hochwertige Muttermilch ist nämlich für den menschlichen Genuss, also zur Produktion von Käse, Joghurt und anderem bestimmt.
Mutter und Kind leiden sehr unter der Trennung und brüllen oft noch tagelang nach einander. Nach etwa drei bis vier Geburten geht die „Milchleistung“ der Kuh allmählich zurück. Folglich wird sie meist im Alter von etwa fünf Jahren – 20 Jahre vor ihrem natürlichen Ableben – zu Faschiertem verarbeitet. Sofort nimmt eine jüngere und leistungsstärkere Kuh, der dasselbe Schicksal bevorsteht, den freien Platz ein.
Auch Zuchtbullen, deren Samen zur Befruchtung der Kuh geraubt wird, werden in jungen Jahren getötet. Weibliche Babys von Milchkühen durchleben in der Regel dasselbe Dasein wie ihre Mütter. Männliche Kälber werden entweder im Inland gemästet oder unter fragwürdigen Bedingungen ins Ausland abtransportiert. So oder so werden sie nach wenigen Monaten geschlachtet und landen als „original Wiener Schnitzel“ auf den Tellern.
Soja ist ungesund und zerstört den Regenwald
Dass Veganer und Veganerinnen aufgrund des hohen Proteingehalts gerne Sojaprodukte essen, ist allgemein bekannt. Hartnäckig hält sich jedoch auch das Gerücht, dass Tofu, Tempeh und Sojamilch den Hormonhaushalt stören und folglich Unfruchtbarkeit und Brustkrebs begünstigen. Laut zahlreicher Studien, die die Autoren für ihre Beurteilung heranziehen, ist jedoch genau das Gegenteil der Fall. Soja enthält eine Vielzahl wichtiger Nährstoffe und eine vernünftige Zufuhr von Sojaprodukten ist für die Gesundheit von Frauen und Männer sogar förderlich. Das stimmt natürlich nicht für Allergiker:innen. Für eine ausgewogene Ernährung sollten neben Sojaprodukten zudem auch andere Lebensmittel am veganen Speiseplan stehen.
Auch das zweite Argument gegen den Konsum von Soja ist schnell entkräftet. Fakt ist, für den Sojaanbau werden tatsächlich große Flächen des Regenwaldes gerodet. Allerdings wird der überwiegende Anteil des dort angebauten Sojas zu Tierfutter verarbeitet. Die oft gentechnisch veränderten Futtermittel auf Sojabasis landen schließlich auch in deutschen und österreichischen Trögen. Im Gegensatz dazu bezieht keiner der Produzenten von Soja-Produkten, die hierzulande im Supermarkt im Regal stehen, Soja aus Regenwaldgebieten. Somit geht auch dieser Schuss gegen die vegane Lebensweise im Endeffekt nach hinten los.
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Vegan ist kein Unsinn
Das Buch liefert solides Basiswissen für Veganer:innen, die sich mit logischen und faktenbasierten Argumenten für die nächste Diskussion rüsten möchten. Auch all jene, die sich für eine vegane Lebensweise interessieren, aber noch skeptisch sind, befreit die Lektüre potenziell von letzten Zweifeln.
Die meisten von uns haben sich nie bewusst dafür entschieden, Tiere zu essen, sondern wir erachten es aus reiner Gewohnheit als „normal“. Selbstverständlich fühlen wir uns von einer Lebensweise, die die von uns verinnerlichte Art zu Leben in Frage stellt, zunächst in die Ecke gedrängt. Wir wollen nicht glauben, was wir da hören und ringen nach Argumenten, die unser bisheriges Handeln untermauern und konkurrierende Ansichten in Frage stellen.
Wer sich nach dieser natürlichen ad hoc-Reaktion dem Thema gegenüber offen zeigt und Büchern wie „Vegan ist Unsinn!“ eine Chance gibt, wird sich vielleicht nicht gänzlich überzeugen lassen, doch nach dem Lesen zumindest verständnisvoller mit seinen veganen Mitmenschen umgehen.
Titelbild Credits: BJVV Verlag
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