Mit Hypes ist das immer so eine Sache. Es ist ihnen nicht zu trauen. Und genau das macht die etablierte Standard-Redakteurin Beate Hausbichler in ihrem fulminanten Buch: „Der verkaufte Feminismus“. Ohne die Errungenschaften dieser einst politischen Bewegung zu schmälern, zeichnet sie Entwicklungen nach, die den ursprünglichen Ideen und Idealen des Feminismus zuwiderlaufen. Fazit: die tiefgreifende Analyse der traurigen Entpolitisierung einer mehr als zu begrüßenden Bewegung.
Women 20-Gipfel: Die Antworten aller Antworten
In der Einleitung ihres sehr zu empfehlenden Buches „Der verkaufte Feminismus“ schildert die Autorin eine interessante Szene, die ziemlich gut veranschaulicht, worum es ihr in ihrem Buch geht. Am Women 20-Gipfel in Berlin 2017 trafen sich reiche und mächtige Frauen. Frauenpolitische Vertreterinnen sowie auch Führungskräfte der großen Industrienationen.
Unter den Gästinnen: Angela Merkel, die niederländische Königin Màxima, die damalige US-Präsidententochter Ivanka Trump und die IWF-Chefin Christine Lagarde. Wie in letzter Zeit so oft, kam es auch damals zu folgender Frage: „Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?“
Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?
Während Angela Merkel bei der Beantwortung „herumeierte“, wie Hausbichler anmerkt, hatten die anderen drei Frauen dieser Runde kein Problem damit, sich umgehend als Feministinnen zu deklarieren. „Ohne mit der Wimper zu zucken.“, heißt es.
Das Problem dabei? Laut Hausbichler die Tatsache, dass keine dieser selbsternannten Feministinnen „je mit Ansagen zu feministischer Politik aufgefallen“ wäre. Aber es gibt ein noch gravierenderes Problem: „die Strukturen, denen Ivanka Trump, Königin Máxima und Christine Lagarde ihre unverschämt überprivilegierten Lebensumstände verdanken.“
Genau damit hätte der Feminismus von früher ein großes Problem gehabt. Und jetzt? Jetzt hat er dieses eben nicht mehr. Denn „Privilegien aufgrund eines ungerechten Systems und der Feminismus“? Das passt heutzutage plötzlich zusammen. Warum? Die kurze Antwort: Weil der Feminismus heute keine Bewegung mehr ist, sondern nur noch ein Label.
Feminismus – everybodies darling
Feminismus und Neoliberalismus. Zwei einst nicht vereinbare Phänomene gehen plötzlich Hand in Hand. Grund genug, dieser Entwicklung nachzuspüren. Und genau das tut Beate Hausbichler und fragt demnach: „Warum wird Feminismus seit einigen Jahren genau von jenen umarmt, mit denen sich der Feminismus eigentlich angelegt hat?“ Eine gute Frage. Ja, warum eigentlich? Warum ist die Tochter und Verteidigerin von „Grab-her-by-the-pussy“-Donald Trump Feministin? Und die anderen überprivilegierten Frauen aus der Reihe der oberen 10.000?
Punk und Feminismus – eine Leidgenossenschaft
Ein jedes System gebiert an seinen Rändern diverseste Formen des Widerstandes gegen sich selbst. Auch bekannt als Subkulturen. Diese formieren sich gegen die vorherrschenden Bedeutungssysteme und schaffen ihre eigene Sinnhaftigkeit, welche der Mainstream-Ideologie widerspricht.
Doch wie Dick Hebdige in seinem Essay über die Punkkultur feststellt, „werden die Subkulturen fortwährend wiedereingegliedert und die zerbrochene Ordnung wiederhergestellt. Am Ende tauchen die ehemals abweichenden Regelbrecher als unterhaltsames Schauspiel in der vorherrschenden Mythologie (aus der sie ja zum Teil kamen) reintegriert wieder auf“[1].
Was die Punk-Kultur getroffen hat – schon 1977 war es möglich Punk-Kleidung und Zubehör per Katalog zu bestellen –, ist nun genauso das Schicksal des Feminismus geworden. Das Problem dabei: Diese Wiedereinverleibung des herrschenden Systems von den ihm abweichenden Phänomenen führt „zur Entschärfung der subversiven Kraft“ der einstigen Widerständigkeit (384). Wie der Punk ist wie auch der Feminismus zu einer Warenform geworden. Einem Label, das, wie Hausbichler folglich feststellt „die politische Bewegung konterkariert“.
Everybody is a feminist – Feminist Washing
Dies führt natürlich dazu, dass heute jede:r ein:e Feminist:in ist. Eine aktive Handlung ist nicht mehr notwendig. Es reicht dabei lediglich eine Inszenierung. So auch zum Beispiel Beyoncé Knowles mit ihrem legendären Auftritt bei den MTV Music Awards 2014. Dort zitierte sie Texte der nigerianischen Schriftstellerin und Feministin Chimamanda Ngozi Adichie und ihre Performance wurde vor einer Leinwand mit dem Wort „Feminist“ beendet. Die Single gibt es natürlich auch:
Eine Performance, die laut bell hooks – immerhin eine der bekanntesten Verfechterinnen feministischer und antirassistischer Ansätze – sogar zutiefst „Anti-Feministisch“ ist. Sie spricht sogar von „Terrorismus“, vor allem aufgrund „des Einflusses“, den diese und ähnliche (oberflächliche und sexualisierte) Performances „auf junge Mädchen“ haben.
Große Unternehmen mit ihrer Werbung verhalten sich diesbezüglich nicht anders. Einerseits die zelebrierten Kampagnen zum Thema „real beauty“. Andererseits das stetige Heraufbeschwören wahnwitzig-perfekter Körper im Hauptteil ihrer Werbung. Das führt wiederum dazu, dass die Menschen anfangen ihre eigenen Körper zu hassen.
Hausbichler fasst zusammen: „ständig diese Karikaturen von Frauenkörpern vorgesetzt zu bekommen, mit dem Ergebnis, den eigenen Körper mehr und mehr zu hassen, statt jene Firmen abzulehnen, die uns unerreichbare Schönheitsideale in unendlicher Wiederholung vorsetzten“. (70) Der (ursprüngliche first wave) Feminismus, der diese Schönheitspolitik und Diktatur der Medien immer schon abgelehnt hat, ist auf einmal damit vereinbar. Es wird sogar von Unternehmen zelebriert, die an und für sich ja der Feind dieser politischen Bewegung sind und sein wollten.
4th wave Feminismus
Der Feminismus wird (in seiner 4th wave Phase, wie die feministische Theoretikerin Angela McRobbie sagen würde) folglich als poppiges Phänomen dargestellt. Radikal-individuell und zutiefst subjektiv eignet sich jeder und jede diesen Begriff so an, wie er oder sie das möchte. Ökonomisches Ungleichgewicht? Kapitalismuskritik? Strukturelle Unterdrückung? Gleiche Chancen für alle? Beyoncé Knowels dazu: „I guess I am a modern-day feminist.” Was genau das für sie bedeutet? “I am happily married and I love my husband.”
Feminismus, der einst „unangenehm und unlustig“ war – wie jede politische Bewegung, die den Mainstream verändern will, von diesem Mainstream als unangenehm aufgefasst wird – ist in Form seiner modern-day-Version doch ganz angenehm und lustig. Es muss ja nicht sofort in Misandrie enden, wie es die Autorin Pauline Harmange fordert. Aber eines klar: „Schlechte Gefühle sind schlecht fürs Geschäft. Und wenn man schon politische Bewegungen aufgreift, dann sollten diese möglichst als abgeschlossene Kapitel daherkommen. Das ist die Gefahr von Feminist-Washing: Es vermittelt den Eindruck von Feminismus als abgeschlossenes Kapitel. Zumindest was jenes Kapitel betrifft, in dem Feminismus eine unangenehme und unlustige Bewegung sein musste.“, so Hausbichler in ihrem Buch „Der verkaufte Feminismus“.
Fazit
Heute ist der Feminismus lustig und fidel. Wie die Punkbewegung passt auch er letztlich hervorragend ins neoliberale Konsumsystem und hat als Warenform die perfekte Größe angenommen, um auch vom Mainstream problemlos verdaut werden zu können. Fazit: Die sozial und vor allem kapitalismuskritische Grundmessage des Feminismus von einst wurde von der neoliberalen Ideologie geschickt untergraben und ausgehöhlt.
Die Schönheitsdiktatur ist plötzlich eine Form der Freiheit. Und alle sind wir schön. Natürlich nur, wenn wir uns etwas ins Gesicht schmieren. Thumbs up! Hurray! Und viel mehr Happy Days! Wie genau der unlustige Feminismus als revolutionäre Kraft zum lustig-harmlosen Pop-Phänomen geworden ist, erliest du am besten in Beate Hausbichlers grandios profundem Buch: „Der verkaufte Feminismus“.
Titelbild Credits: Shutterstock
[1] Hebdige, Dick (1999): Wie Subkulturen vereinnahmt werden, Seite 379 – 392 In: Hörnig, Karl H und Winter, Rainer. Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforderung. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag, Seite 383.
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