Severance ist eine herrlich absurde Serie über Entfremdung in der modernen Arbeitswelt. Ben Stiller ist dabei eine grenzgeniale Parodie auf das Arbeitsleben gelungen. Radikal. Kompromisslos. Wie ein herrlich absurdes Theater. Allein schon das Intro ist ein surrealer Kunstgenuss. Eine Serie, die lange nachwirkt und bei vielen Bürohengsten einen Nerv treffen wird.
Über die Wertlosigkeit der Serien: das betrogene Potenzial
Für gewöhnlich laufen die Serien, die wir uns alle ansehen, als eine gezwungen serielle Erzählung ab. Diese Serien werden nach einer, nach Views strebenden Verwertungslogik kreiert, geschrieben und produziert. Laufend werden verschachtelte Dramaturgien, Rätsel und Cliffhanger in die Geschichte eingebaut, welche die Zusehenden bei der Stange halten sollen.
So sind wir mit einem Serienallerlei konfrontiert, dass immer nach demselben Schema abläuft. Es gibt eine kleine Story, die künstlich aufgebauscht, aufgeblasen und unnötig in die Länge gezogen wird. Ein finales Ende gibt es da nur selten. Daher scheinen viele Serien heutzutage leider inhaltlich wertlos und betrügen sogar das Potenzial eines ganzen Mediums.
Severance — Eine Serie über das Serielle
Ben Stillers Serie Severance ist, was das betrifft, im Großen und Ganzen eine gelungene Ausnahme dieser Serienform und das, obwohl es darin um das Phänomen des Seriellen geht. Severance ist eine Serie über ein serielles Leben, bei dem sich alles wiederholt. So auch das Leben von Mark (überragend melancholisch Adam Scott).
Nach dem Tod seiner Frau beginnt Mark bei der Firma Luman zu arbeiten. Der Clou: Das Ich des Menschen wird dort (permanent) in ein Arbeits-Ich und ein Privat-Ich getrennt. Das Gehirn wird dabei aufgeteilt und während man arbeitet, hat man keine Erinnerung an sein Privatleben. Und in seinem Privatleben weiß man nichts über sein Arbeitslife. Der „Outie“, der Mensch außerhalb der Arbeit, ist vom Arbeitenden getrennt und weiß nichts von ihm. Für den Privatmensch gilt im Umkehrschluss dasselbe. Dies sind die Grundvoraussetzungen, aus denen heraus sich eine Story entwickelt. Und wie!
Severance — Die Unheimlichkeit des Vertrauten
Wir folgen Mark durch sein Leben und vor allem durch seinen Arbeitsalltag. Was im Grunde ziemlich langweilig sein könnte, (weil man keine Ahnung hat, was er genau macht) wird von Ben Stiller jedoch so meisterhaft inszeniert, dass genau diese berufliche Tristesse eine Sogwirkung entwickelt, die uns nicht mehr loslässt.
Vor allem die Parodie der uns allen bekannten Arbeitsanforderungen wird beängstigend realitätsnah durch den Kakao gezogen. Es gibt förmlich offizielle Anfragen für Umarmungen, um die Beförderung zelebrierende Handschläge muss man explizit bitten und Emotionsarbeit muss man auch noch leisten. Eine Verfremdung der modernen Arbeitswelt findet hier statt. Dennoch bleibt alles immer noch unangenehm vertraut. Eine allgemeine Klarheit über die Arbeitsverhältnisse gibt es nicht. Zelebriert wird die ausweglose Entfremdung der Arbeit, wo niemand weiß, was er oder sie genau bedeutet, auswirkt oder tut. Bullshitjobs Deluxe.
Love my Job?
Das stille (oder auch weniger stille) Leiden der Angestellten ist jedem und jeder ins Gesicht geschrieben. Und auch all jenen, die diese stupide Arbeitsphilosophie nach außen hin verherrlichen und geradezu verehren, kauft man das einfach nicht ab. Irving (John Turturro) zum Beispiel, der Firmenveteran, der den Gründer dieses wahnwitzigen Konzepts und Konzerns verehrt, aber alles andere als glücklich ist dabei.
Komplett fertig und erschöpft, hält er ein Arbeitsethos hoch, der ihn im Grunde aushöhlt und vernichtet. Was man als Zusehende*r sieht, während sich die Figuren selbst, dessen nicht bewusst sind. Das ist herrlich absurd! Und doch tut es auch so schrecklich weh. Denn fast ein jeder Job ist im Grunde genau das: Eine serielle Wiederholung, die einen aushöhlt und innerlich tötet. Severance verdeutlicht diese Umstände in herrlich absurder Form, ohne dabei jedoch fremd zu wirken. Befremdlich wirkt das ganze jedoch allemal.
© Apple TV+
Die Story
Achja, eine klassische Story gibt es natürlich auch. Denn seltsame Ereignisse tragen sich auch dort zu. Marks ehemaliger Vorgesetzter zum Beispiel ist nämlich plötzlich nicht mehr da. Dieser läuft ihm jedoch im Privatleben über den Weg und erklärt, wer er ist. Was er aufgrund der Ich-Trennung aber eigentlich gar nicht tun könnte. Doch er hat sich den spaltenden Chip aus dem Hirn operieren lassen und nun führen sich beide Ichs aneinander heran. Er wird geplagt von einem dunklen Geheimnis und einer erschreckenden Erkenntnis über seinen ehemaligen Arbeitgeber.
Auch Mark wird immer mehr von Fragen gequält– als Outie und als Innie. Was hat es mit der Firma auf sich, wo niemand weiß, was er dort genau tut? Der lethargische Held erwacht immer mehr zum Leben. Und die Zusehenden werden in Räumlichkeit hineingezogen, in eine Ortlosigkeit, wo keiner genau weiß, wo er genau ist. Wie in einem Labyrinth findet man sich nicht zurecht, genauso wie die Figuren, die sich permanent verlieren, obwohl sie darin ja arbeiten. Fragen über Fragen tun sich auf. Was arbeiten die da bloß? Das fragen sich die Figuren und auch die Zusehenden. Und was bedeuten diese Nummern, die da gelöscht werden sollen! Entfremdung durch die Arbeitsteilung. Auch die einzelnen Abteilungen wissen nicht, was die jeweils andere Abteilung macht.
Severance — Fazit
„Selten wurden Karl Marx‘ Thesen zur Entfremdung in einer kapitalistischen Gesellschaft besser veranschaulicht und spürbar. Mit großer Präzision und einem Verständnis davon, was es heißt, etwas Serielles zu produzieren, gelingt es der Serie, beängstigend unheimlich die Arbeitswelt zu charakterisieren und analysieren. Dabei fehlt es nicht an subtilem Humor“, befindet Wolfgang M. Schmitt von der Filmanalyse in seiner sehenswerten Kritik.
Severance ist dabei herrlich bizarr, absurd und skurril. Eine Science-Fiction verortet in einer radikal kapitalisierten Gesellschaft. Ben Stiller ist hier eine herrliche Parodie auf das Arbeitsleben gelungen. Radikal und kompromisslos. Wie ein herrlich absurdes Theater. Allein schon das Intro ist ein surrealer Kunstgenuss und die Story: Eine Chain of Command-Idiotie mit reihenweise ruinierter Geister. Die Serie hat Längen, ja, ist aber alles andere als langweilig dabei. Selten wurde das Theaterhafte filmisch so überzeugend umgesetzt wie hier. Eine der wenigen Serien, die man wirklich gesehen haben sollte.
Titelbild © Apple TV+
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