Das Thema dominiert sein mehreren Wochen die Medien: Polen schränkt sein Abtreibungsgesetz dramatisch ein. Doch was genau bedeutet das überhaupt? Und wie steht es eigentlich anderswo darum?
Es ist wohl kaum an jemandem vorübergegangen. In Polen wird das Recht auf Abtreibung künftig stark eingeschränkt. Verantwortlich ist dafür vor allem die konservative Regierungspartei PiS (zu Deutsch: „Recht und Gerechtigkeit“), die derartige Restriktionen bereits vor Jahren ins Rollen gebracht hat.
War der Schwangerschaftsabbruch bis 1993 noch erlaubt, so wurde dessen Legalität daraufhin auf lediglich drei Gründe beschränkt. Am 22. Oktober 2020 wurde das Recht auf Abtreibung wegen ernster Gefahr auf schwere körperliche oder geistige Schädigung des Kindes vom Verfassungsgericht aufgehoben. Nun ist ein Abort nur noch nach einer bewiesenen Vergewaltigung oder bei Lebensgefahr für die Mutter möglich.
In Polen herrscht ab nun also praktisch Abtreibungsverbot. Unfassbar, und das im Jahr 2020? Nein – denn leider handelt es sich hier nicht um einen Einzelfall…
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Rechtslagen in Europa
Direkt vorweg: Die Rechtslage in Europa ist im Vergleich zu anderen Kontinenten sehr liberal. In einem Großteil der Staaten sind Schwangerschaftsabbrüche durch eine Fristenregelung bis zu einer gewissen Wochenanzahl (zumeist bis zum Ende des ersten Trimesters) ohne Angabe von Gründen legal.
Doch auch hier gibt es Länder, die immer noch an völlig veralteten Gesetzeslagen festhalten: Etwa in Malta ist Abtreibung nach wie vor ausnahmslos verboten. Auch im Zwergstaat San Marino mitten in Italien gilt dasselbe. In Andorra und Monaco herrscht Straffreiheit nur bei nachweislicher Lebensgefahr für die Schwangere oder einer bewiesenen Vergewaltigung.
In Irland gilt die Fristenregelung erst seit 2018. Davor konnte ein Abort nur bei ernsthafter Gefährdung der Mutter legal durchgeführt werden. In Nordirland war Abtreibung zudem nur bei medizinischer Indikation (also hinreichender Verdacht auf eine körperliche oder geistige Behinderung des Kindes) straffrei. Erst seit diesem Jahr darf ohne Nennung eines Grundes bis zur 12. Schwangerschaftswoche abgetrieben werden.
Also auch in anderen Ländern Europas sind wir von einer einheitlichen, liberalen und vor allem frauenfreundlichen Rechtslage noch weit entfernt. Die Verschärfung des Gesetzes in Polen ist ein weiterer drastischer Rückschlag für eine vollständige Gleichberichtigung und weibliche Selbstbestimmung.
Übrigens, „funfact“: Unter derselben Partei, die größtenteils für diese Entwicklung verantwortlich ist, wurde in Polen bereits 2005 das Amt der Gleichstellungsbeauftragten abgeschafft. Wenn das nicht Bände sprich.
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Schwangerschaftsabbruch in Österreich
In Österreich ist Abtreibung seit 1975 gesetzlich geregelt. Auch hier ist ein Abort innerhalb der ersten drei Monate, genauer gesagt bis zur 14. Schwangerschaftswoche, ohne Gründe möglich.
Ein späterer Abbruch ist zudem erlaubt, wenn die Schwangerschaft eine schwerwiegende Schädigung oder sogar Lebensgefahr für die Mutter bedeutet, oder ernster Verdacht auf eine schwere Behinderung des Kindes besteht. Des Weiteren ist auch zu einem späteren Zeitpunkt eine Abtreibung gestattet, wenn die Mutter unter 14 Jahren alt ist.
Gesetze außerhalb Europas
In Amerika gelten die nördlichen Länder (etwa USA und Kanada) grundsätzlich als weitaus liberaler als weite Teile Südamerikas. Hier sind Abtreibungen zumeist nur in gravierenden Ausnahmefällen gestattet.
Teilweise ganz anders sieht es in Asien aus: In China ist ein Schwangerschaftsabbruch nach dem zweiten Kind sogar erwünscht. Hier wurde lange Zeit häufig abgetrieben, wenn der Fötus weiblich war. Aufgrund dessen sind seit 2002 vorzeitige Geschlechtsbestimmungen verboten.
Die strengsten Restriktionen herrschen wohl in Afrika. Dort sind Aborte in den meisten Staaten entweder komplett verboten oder zumindest sehr stark eingeschränkt. Ausnahmen bilden etwa Tunesien, Südafrika, Kap Verde oder Äthiopien – hier gelten liberalere Gesetze.
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Historische Fakten
Allgemein ist schon lange bekannt: Eine restriktive Gesetzgebung bedeutet nicht gleich niedrigere Abbruchraten. Eher das Gegenteil ist der Fall. Laut einer Schätzung der WHO für das Jahr 2008 sterben jährlich etwa 47.000 Frauen bei oder an den Folgen von illegalen Schwangerschaftsabbrüchen.
Es handelt sich also um eine fatale Zahl, die vor allem von Ländern mit groben Einschränkungen in die Höhe getrieben wird.
Als Vorreiter für westliche Demokratien gilt Island. Hier wurde 1935 erstmals die Legalisierung von Abtreibungen festgelegt. Was viele jedoch nicht wissen: Bereits 1920 waren Aborte in der UdSSR erlaubt. Dieses Gesetz wurde allerdings 1936 unter Stalins Herrschaft wieder gekippt.
Grundsätzlich zeigt sich, dass sich in Diktaturen tendenziell fortschrittliche Rechtslagen wieder in eine konservative und restriktive Richtung entwickeln. In Rumänien etwa war der Antrag auf Schwangerschaftsabbruch ab 1957 straflos. Das Gesetz wurde einige Jahre später unter Nicolae Ceaușescu aber wieder massiv verschärft. Erst mit dem Fall des Regimes 1989 wurde auch hier eine Fristenregelung eingeführt.
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Abtreibungsverbot – keine weibliche Selbstbestimmung
Abtreibungsgegner in Amerika bezeichnen sich oft als „pro life“ und argumentieren, dass ein Schwangerschaftsabbruch mit Mord gleichzusetzen sei. Es dürfe schließlich nicht gottesgleich in das Leben eines ungeborenen Kindes eingegriffen werden.
Doch was ist eigentlich mit dem Leben der Frauen? Zu behaupten, eine Frau entschiede sich leichtfertig für eine Abtreibung, ist schlichtweg falsch. Schließlich kann man nie wissen, was sich hinter verschlossenen Türen abspielt, in welcher Lebenssituation die Schwangere ist und was dies für das ungeborene Kind bedeuten könnte. Zudem können ungeplante Schwangerschaften das Leben einer Frau vollkommen aus den Bahnen werfen.
Als Regierung hier einzugreifen und die Handlungs- und Entscheidungsfreiheit der Bürgerinnen so erheblich einzuschränken, ist heutzutage eigentlich unvorstellbar – oder sollte es zumindest sein.
Auch im 21. Jahrhundert wird Frauen in vielen Ländern also immer noch nicht die Fähigkeit zugestanden, rationale Entscheidungen bezüglich ihres Körpers zu treffen. Vielmehr werden über ihren Kopf hinweg (zumeist von Männern) Beschlüsse gefasst, die die weibliche Selbstbestimmung zunehmend einschränken.
2020 haben Frauen also immer noch mit systematischer Diskriminierung zu kämpfen. Denn eines ist sicher: Wäre eine Schwangerschaft Männersache, würde die Rechtslage ganz anders aussehen.
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