Am 7. Oktober ist Welttag für menschenwürdige Arbeit (WFMA), auch als World Day for Decent Work (WDDW) bekannt. Seit 2008 findet dieser Aktionstag jährlich statt. Grund genug für uns, sich die Verhältnisse am Arbeitsmarkt einmal genauer anzusehen. Denn es gibt so einige Phänomene, die zum Umdenken anregen sollten. Bullshit-Jobs, die große Resignation, Arbeitsfrust und Co.
Welttag für menschenwürdige Arbeit
Am Welttag der menschenwürdigen Arbeit setzen Gewerkschaften auf globaler Ebene ein öffentliches Zeichen für die Schaffung menschenwürdiger Arbeitsbedingungen und lenken damit die Aufmerksamkeit auf eines der Hauptanliegen des internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB).
Dazu gehören Maßnahmen wie, unter anderem das Verbot der Kinderarbeit, die Förderung der Gleichstellung von Frauen am Arbeitsplatz, die Bereitstellung hochwertiger öffentlicher Dienste, der Schutz der Umwelt, angemessener Arbeitsschutz für Beschäftigte sowie eine ausreichende soziale Absicherung.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Das sind alles ehrenwerte Ziele. Doch Problemstellen gibt es nach wie vor viele: die schwindenden Normalarbeitsverhältnisses, die Zunahme atypischer Beschäftigungsformen, die Ausbreitung des Niedriglohnsektors, mangelnder Arbeitsschutz, unzureichende Entlohnung. Kinderarbeit und Sklavenarbeit sind nach wie vor ein Thema. Auch in Europa. Wie Zwischenfälle in Italien leider immer wieder verdeutlichen.
Der Mindestlohn und die Wohnkosten
Eine ernstzunehmende Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns wird immer lauter und notwendiger. Derzeit liegt dieser bei 1.747 Euro Brutto im Monat bei eine Vollzeitbeschäftigung – das sind 1.418,45 Euro Netto im Monat. Wer bei einer Vollzeitbeschäftigung darunter verdient, wird ausgebeutet und zumindest finanziell menschenunwürdig entlohnt.
Wichtig: Arbeitgeber, die für einer Vollzeitstelle unter dem gesetzlichen Mindestlohn bezahlen, müssen mit einer Geldstrafe von 1.500 Euro rechnen.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Stellt man diesen Mindestlohn den aktuellen Mietpreisen gegenüber wird schnell klar, wie wenig Geld das im Grunde ist. In Ottakring zum Beispiel, wo die Mieten in Wien mit 15,59 Euro pro Quadratmeter am günstigsten sind, zahlt man für eine 40 m2 Wohnung schon 623,6 Euro im Monat – kalt natürlich. On top kommen da noch die Strompreise, Lebensmittelpreise und so weiter auf einen zu.
Das durchschnittliche Monatseinkommen der Österreicher*innen liegt bei 2.243 Euro brutto im Monat. Was natürlich bedeutet, dass viele weniger als das verdienen. Hinzu kommt dann noch die generelle Unzufriedenheit mit dem Job. In Deutschland geht jede*r Vierte ungern zur Arbeit. In Österreich sieht es da nicht viel besser aus. Dort sind von den jungen Arbeitnehmer*innen lediglich 62 Prozent zufrieden mit ihrem Job.
Niemand will mehr arbeiten
Ergebnis dieser Unlust: Es fehlen immer mehr Arbeitskräfte. Nicht nur Fachkräfte. 70 Prozent der Arbeitnehmer*innen aus der Generation der Babyboomer wollen nicht mehr länger arbeiten bzw. früher damit aufhören. Expert*innen sehen diesen Trend mit Besorgnis, da dieser den Arbeitskräftemangel verschlimmert, aber auch die Finanzierbarkeit der Renten gefährdet.
Bemerkenswert ist, dass noch mehr Menschen aus der jüngeren Babyboomer-Generation (geboren 1965) frühzeitig in den Ruhestand gehen wollen. Während mindestens 69 Prozent derjenigen, die 1959 geboren wurden, bis zum Alter von 64 Jahren arbeiten möchten. Bei den jüngeren Babyboomern wollen das nur noch um die 33 Prozent. Diese Entwicklungen sind mitunter gravierend und haben sogar einen Namen.
The Great Resignation
Der Begriff „The Great Resignation“ bezeichnet folgenden Trend der letzten Jahre: nicht wenige Arbeitnehmer*innen schmeißen ihre sicheren Jobs einfach hin, weil sie mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden sind. Und wenn man die richtigen Schlüsse zieht, dann sind die Arbeitsbedingungen allgemein, egal welche Berufsgruppe, eher unzureichend, um eine menschenwürdige Arbeit zu gewährleisten.
Klar ist menschenwürdige Arbeit in diesem Fall ein recht dehnbarer Begriff, sind doch die Arbeitsumstände in den schlechtbezahltesten Berufen der ersten Welt immer noch besser als in einem dritte Welt Land. Die Parameter sind eben anders gesetzt.
Dennoch finden führende Betriebe in Deutschland und Österreich nur noch schwer geeignetes Personal. Und auch wenn diese sich über die vermeintliche Faulheit der Jüngeren beschweren, so kann man vor allem den jungen Arbeitnehmenden ihren Unmut nicht absprechen, denn die Prioritäten haben sich verschoben.
Arbeiten ist nicht mehr attraktiv!
Es herrscht ein großer Frust. Lebensmittelpreisanstieg, Mieterhöhung, Stromkosten usw. Die Löhne haben da nicht mitgezogen. Oft fragt man sich als Arbeitnehmer*in auch völlig zurecht, warum man überhaupt noch arbeitet, wenn ohnehin fast alles rein fürs Überleben draufgeht.
Einer Erhebung der Agend-Austria zufolge zahlt es sich da schon mehr aus arbeitslos zu sein und geringfügig dazuzuverdienen. So „erwirtschaftet“ man im Durchschnitt genauso viel, wie bei einem 29 Stunden Job.
Doch bei diesem Punkt geht es nur um das Thema Geld. Wie ein Standard-Artikel erklärt, macht aber nicht nur ein schlechtes Gehalt die Lohnarbeit unattraktiv. Krankheiten, Probleme mit der Kinderbetreuung, rigide Arbeitszeiten und die fast schon reaktionären Ansätze der Arbeitgebenden spielen da noch hinein. Die Menschen durch Kürzung der Bezüge zum Arbeiten zu bringen bzw. zu zwingen ist dabei keine Lösung, sondern treibt Menschen nur in die Schwarzarbeit, so eine Expertin.
Menschen lassen sich immer weniger gefallen
Ein weiterer Faktor ist, dass sich die Arbeitnehmenden immer weniger gefallen lassen. Haben die früheren Generationen noch bis zum Umfallen gearbeitet, dominiert heutzutage der Wunsch nach einer geregelten Work-Life-Balance. Wobei im Leben der jüngeren Generation die Freizeitgestaltung bzw. Lebensverwirklichung im Mittelpunkt steht und nicht der Job.
Einer aktuellen Studie zufolge würden sogar mehr als die Hälfte der Arbeitnehmenden zwischen 18 und 24 Jahren den Job kündigen, wenn dieser ihnen nicht zusagt. 40 Prozent wären sogar lieber arbeitslos, als einer Tätigkeit nachzugehen, die sie nicht glücklich macht.
Interessanter Fakt: dieser Ansatz der Jüngeren ist dabei nicht einmal gesünder. Einem Gesundheitsreport zufolge sind 20- bis 35-Jährige sogar häufiger krank als ältere Arbeitnehmende, dafür aber nicht so lange. Vielleicht ein Fomo-Nebeneffekt.
Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an
Keine Arbeitsmoral und die Bullshitjobs
Arbeitsunlust, Faulheit, fehlender Arbeitseifer sind da nur einige Diagnosen dieses Trends. Ausgestellt natürlich von den früheren Generationen. Der Anthropologe James Suzman sieht diese Vorverurteilung jedoch kritisch. Ihm zufolge handelt es sich bei dieser scheinbar fehlenden Arbeitsmoral eher um eine „Schieflage“.
„Es komme zu einer Schieflage zwischen dem, was wir an Energie und Zeit investierten, um zu arbeiten, und dem, was als Ergebnis folge. Menschen seien heute, so Suzman, zu lange, zu viel und auch in unnötigen Jobs tätig.“
Auch für diese unnötigen Jobs gibt es eine Bezeichnung: Bullshit Jobs. Als Bullshit-Job werden all jene bezahlten Tätigkeiten bezeichnet, die so sinnlos sind, dass selbst jene, die sie ausüben müssen, nicht von ihrer Sinnhaftigkeit überzeugt sind.
Der Bullshit-Job
Der Begriff Bullshit-Job geht auf David Graeber zurück. Dieser meint, dass in vielen Ländern die Umsetzung der 15-Stunden Woche bereits möglich wäre. Doch die Arbeitszeit wird einfach nicht verkürzt, obwohl es sinnvoll und oftmals sogar nötig wäre. Aber warum? Einerseits fungieren diese Bullshit-Jobs als „Beschäftigungstherapie für potenziell Aufmüpfige“ – was natürlich mehr und mehr im Wanken begriffen ist, da die Menschen den Bullshit mittlerweile durchschauen.
Andererseits geht es darum, als Unternehmen quantitativ etwas darstellen zu müssen. Man muss mit den Konkurrenzkonzernen mithalten – am Papier zumindest. Hat Firma A zum Beispiel einen Unternehmensanwalt muss Firma B mitziehen, um sich nicht die Blöße geben zu müssen, keinen eigenen Unternehmensanwalt zu haben.
Die so genannten „Kästchenankreuzer“ erwecken in Grabers-System den Anschein, dass bestimmte Maßnahmen ergriffen werden sollen. Doch das werden sie schlussendlich nicht wirklich. Und nicht vergessen, die „Aufgabenverteiler“, also Manager*innen, deren Aufgabe es ist, eine Gruppe Mitarbeitender zu leiten, die sich ohne sie jedoch selbst bei weitem besser organisieren würden.
Als wie scheinbar wichtig auch immer diese Jobs verkauft werden, der Bullshit darin ist niemals zu leugnen. Somit gehen viele Menschen einer bezahlten Beschäftigung nach, die alles andere als sinnstiftend ist. Unser Arbeitssystem fördert diese Unlust daher auch noch.
Arbeitssystem: ein Generationskonflikt?
Es verdeutlicht sich immer mehr eine Art Generationskonflikt. Die Jüngeren seien faul und wollen nicht mehr arbeiten, während die Älteren diesen Willen noch aufgebracht haben und nicht verstehen, warum die kommende Generation nicht durch dieselbe Scheiße waten will.
Dass hier auch eine bestimmte Ideologie hineinspielt wird oft vergessen. Denn in der Lohnarbeit den Lebenssinn und die Erfüllung zu sehen, ist ein antiquierter Ansatz. Auch wenn Unternehmen von ihren Angestellten natürlich genau das hören wollen.
Doch warum soll man den Lebenssinn nicht in seiner Freizeit bzw. abseits der Lohnarbeit suchen? Aus dieser Perspektive heraus erscheint es merkwürdig, die heutigen Arbeitnehmer*innen dafür zu kritisieren, dass sie nicht mehr bereit sind, auf Kosten ihrer mentalen und physischen Gesundheit zu arbeiten.
Bei vielen dieser Kritikpunkte an der jüngeren Generation wirkt es beinahe so, als ob die älteren Arbeitnehmer*innen verbittert einen verzweifelten Versuch unternehmen, die eigene Arbeitsmoral zu verteidigen, die noch darauf basiert, menschliche Grundbedürfnisse ausschließlich durch die Arbeit erfüllt zu sehen.
Und mit Sicherheit war es wirklich einmal so, dass eine menschenwürdige Arbeit hauptsächlich etwas mit der Entlohnung zu tun hatte. Und nichts mit der eigenen Sinnsuche inmitten des Universums. Doch diese Zeiten haben sich anscheinend geändert.
Arbeit neu denken: gesamtheitlich attraktiver werden
Wenn eine berufliche Beschäftigung auch den Anspruch einer Berufung erfüllen, Sinnhaftigkeit und höhere Werte jenseits des Pekuniären vermitteln soll, dann muss man Arbeit neu denken. Der Lohn alleine reicht dann schon lange nicht mehr – wobei, was das betrifft, sich viele Arbeitgebende ohnehin nicht allzu sehr zu verausgaben scheinen und einen respektlosen, wer zahlt schafft an Charakter verfolgen.
Wenn Geld (auf der einen Seite unwichtiger wird – realpolitisch aber auch ideologisch) dann gilt es als Arbeitgebender eben andere Reize zu schaffen. Arbeit muss somit gesamtheitlich attraktiver werden, nicht nur finanziell gesehen. Sie sollte sinnvoll sein, eine Mission haben und Werte vertreten, für die man als Arbeitnehmer*in einstehen kann.
Eine Lohnarbeit, die zum Burnout führt und depressiv macht, aber auch nicht viel and Geld einbringt ist keine sinnvolle Arbeit und somit auch nicht mehr menschenwürdig. Denn Würde hat nicht allein etwas mit Geld zu tun, sondern auch etwas mit den menschlichen Werten und der Lebensqualität an sich.
Fazit
Des Menschen würdig ist der Beruf, wenn er nicht nur fair entlohnt wird, sondern auch harmonisch mit dem Privatleben in Einklang gebracht werden kann, sodass ein erfülltes Leben jenseits der Arbeit möglich ist. Als Arbeitgebende*r ist es wichtig, sich mit diesen Wünschen auseinanderzusetzen und dieser Entwicklung auch entgegenzukommen.
© Shutterstock
Letztes Jahr lies das Restaurant Francobollo in St. Jakob im Rosental (Kärnten) aufhorchen, als dort die offene Stelle des Barkeepers mit einem monatlichen Nettogehalt (!) von 3.200 Euro ausgeschrieben wurde. Ein starkes Zeichen, ist doch laut dem Besitzer die Überbezahlung der einzige Weg, an gutes Personal zu kommen. In Wien wird eine vergleichbare Stelle mit lediglich 2.100 Euro Brutto entlohnt. Das ist, Netto gerechnet, nur die Hälfte der in Kärnten ausgeschriebenen Stelle.
Es gibt somit durchaus Versuche dem neuen Arbeitstrend entgegenzusteuern. Doch eines ist klar, die vielkritisierte Arbeitsunlust ist ein Phänomen, das nur verdeutlicht, das Lohnarbeit nicht mehr der Sinn des Lebens ist, sondern nur ein kleiner Teil davon. Und das müssen auch die Arbeitgebenden endlich einsehen und auch entsprechend darauf reagieren.
Titelbild © Shutterstock
DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN
Kann die KI bald unsere Gedanken lesen?
In einem Experiment konnten japanische Forscher*innen ein KI-Modell dazu bringen, nur anhand von MRT-Bildern das Gesehene nachzuzeichnen.
Quiet Hiring: Gefahr oder Chance für Arbeitnehmende?
Bekommst du an deinem Arbeitsplatz plötzlich deutlich mehr Verantwortung aufgebürdet? Zugleich aber keine förmliche Beförderung oder mehr Lohn? In diesem […]
Sensible Inhalte – außergewöhnliche Kampagne für Menschen im Iran
Mit einer ungewöhnlichen Kampagne ruft Amnesty International Österreich für den Einsatz zum Schutz der Menschenrechte im Iran auf.
Too Hot to Handle Germany – Netflix hypersexualisierte Oberflächlichkeit
Hat Netflix mit Too Hot to Handle Germany in Sachen hypersexualisierter Oberflächlichkeit den Tiefpunkt erreicht?
Narzissmus-Typen: 3 unterschiedliche Ausprägungen, die ihr kennen solltet
Der Narzissmus wird mehr und mehr zum Problem in unserer Gesellschaft. Statt um Inhalte geht es nur noch um Inszenierungen. […]
Schizophren durch Cannabis - Kiffen schuld an jedem dritten Anfall?
Schizophrenie und Cannabis: Ist das Kiffen schuld an jedem dritten Schizophrenie-Anfall bei jungen Männern?