Es sind Bilder, die nur schwer zu ertragen sind. Während Gäste auf Passagierfähren die Überfahrt genießen, spielen sich unter Deck horrende Szenarien ab. Wie eine Recherche des ARD-Magazins MONITOR mit Lighthouse Reports, SRF, Al Jazeera und Domani nun aufdecken konnte, sind Flüchtlinge mitten in Europa im Strom des normalen Reiseverkehrs menschenunwürdigen illegalen Pushbacks ausgesetzt. Die Menschenverachtung und Entwürdigung von Hilfesuchenden erreicht damit eine weitere Eskalationsstufe.
Das Erschreckende daran ist die Tatsache, dass die Räumlichkeiten, welche nach detaillierten Augenzeugenberichten auf den Schiffen entdeckt werden konnten, auf einen systematischen Einsatz dieser Praktik hindeuten. Es bleibt also die Frage offen, wie viele Menschen ihrer Rechte auf dieser grausamen Weise beraubt werden? Wie hoch ist die Dunkelziffer derer, die für 20 bis 30 Stunden oder länger angekettet, ohne der Möglichkeit zu essen, zu schlafen oder die Toilette zu besuchen eingequetscht in Dunkelheit ausharren müssen?
Misshandlungen von Flüchtlingen kein Kavaliersdelikt
Während die EU bewusst wegsieht, scheinen staatliche Kontrollorgane es bei Rückführungen von Flüchtlingen mit den Menschenrechten nicht genau zu nehmen. Hier geht es um keine legalen Abschiebeverfahren, die aus der Not heraus schlampig durchgeführt werden. Es geht hier um gezielte Diskriminierung und ein kriminelles Verhalten, welches Menschen ihrer Würde und ihrer Grundrechte beraubt.
Denn auch wenn es im öffentlichen Diskurs häufig suggeriert wird, sind Flüchtlinge keine Bittsteller*innen. Es geht hier um Menschen, die ihr Recht auf Leben nutzen, um einer akuten Gefahr zu entkommen. Ob sie Anspruch auf Asyl haben, sollte in einem unabhängigen und fairen Verfahren geklärt werden. Und selbst bei Einhaltung dieser elementaren Rechte sind die Chancen für die Menschen alles andere als gut. Flüchtlinge sehen sich in regelmäßigen Abständen schutzlos rassistischen Praktiken und Behörden gegenübergestellt.
Doch was hier auf den Fähren zwischen Italien und Griechenland in anscheinend erschreckender Häufigkeit passiert, ist eine völlig andere Dimension. Unschuldige Menschen ihrer Freiheit zu berauben, ist dabei kein Kavaliersdelikt. Auch wenn es sich „nur“ um Flüchtlinge handelt. Den Reedereien und Verantwortlichen scheint das komplette Ausmaß ihres Versagens so wie die weitreichenden Konsequenzen durchaus bewusst zu sein.
Denn die Aussendungen, welche den Reporter*innen auf die Anschuldigungen vorgelegt werden, wirken wie ein schlechter PR-Gag, indem es in erster Linie darum geht, alles zu leugnen, ohne auf die vorhandenen Fakten einzugehen. Ein fahrlässiges Vorgehen im Anbetracht dessen, dass es hier um Videomaterial über Folterkammern zur See geht.
EU verantwortlich für menschenunwürdige Entwicklungen
Für den Rechercheeinsatz haben sich die Reporter*innen in Griechenland in sogenannten wilden Lagern mit betroffenen Flüchtlingen vernetzt. Der Einblick, den sie dort bekommen, ist bereits hart. In verlassenen und heruntergekommenen alten Fabrikhallen müssen Betroffene den Witterungen zum Trotz ohne Schutz ausharren. Darunter oftmals etliche kriegstraumatisierte Kinder, die völlig ohne Versorgung auskommen müssen. In ihrer verzweifelten Suche wollen die meisten einfach nur aus Griechenland raus. Die schrecklichen Bedingungen, in denen sie leben, sind dabei oftmals nur die Spitze des Eisbergs.
Das Ziel der EU scheint sich immer mehr darum zu drehen, Menschen bei den Außengrenzen festzuhalten, um der eigenen humanitären Rechtslage nicht nachkommen zu müssen. Nicht umsonst hört man rechtsradikale und rechtskonservative Kreise in letzter Zeit immer deutlicher von einer „Festung Europa“ sprechen. Der Gedanke dabei, das Leid der Menschen, ihre Armut sowie ihr Streben nach Glück mit Gewalt, Zäunen und Schießanlagen für immer auszusperren, ist so radikal wie er naiv ist.
Im Moment fordern Flüchtlinge einfach nur die Einhaltung ihrer Rechte. Die derzeitige politische Lage sorgt aber dafür, dass sie häufig brutalen und illegalen Pushbacks ausgeliefert sind. Was anfangs noch als vage Behauptung anfing, ist mittlerweile eine dokumentierte Realität. Über die Menschenrechtsorganisationen wie die SOS-Balkanroute in regelmäßigen Abständen berichten.
Illegale Pushbacks rauben Menschen, die Würde
Bei diesen illegalen Zurückführungen oder Pushbacks geht es hauptsächlich darum, dass Flüchtlinge nicht weiterkommen und keine Asylanträge in europäische Binnenstaaten stellen. Die Außengrenze soll dabei als tödliche, unüberwindbare Barriere etabliert werden. Egal, wie viele Menschenleben es kostet.
Auf den Landrouten bedeutet das teilweise nackte Brutalität bis hin zum Einsatz von Schusswaffen, jedoch sind die Geschichten, die man über den Seeweg hört, teilweise noch verstörender. 2021 hatte die Türkei der griechischen Küstenwache vorgeworfen, Menschen gefesselt ins Meer geworfen zu haben. Laut den Vorwürfen sind damals durch diese Praxis mindestens zwei Menschen verstorben.
Seit den Wahlen in Italien und dem Sieg des ultrarechten Bündnisses unter Giorgia Meloni hat sich auch der Ton gegenüber den Flüchtlingen nochmals verschärft. Und offensichtlich nicht nur der Ton, sondern die Bereitschaft, Menschen mit brutaler Kriminalität außerhalb jeglicher Rechtsstaatlichkeit zu entwürdigen.
Betroffene Flüchtlinge beschreiben den Horror auf den Schiffen
All diese Horrormeldungen erreichen mit den Bildern der ARD-Recherche einen neuen traurigen Tiefpunkt. Ausgehend von Berichten betroffener Flüchtlinge haben sich die Rechercheteams wochen- und monatelang auf Fähren begeben, um Beweise zu sammeln. Die Bilder und Informationen, die sie dabei einfangen, sprechen eine eindeutige Sprache.
Es scheint unter dem Mitwissen von italienischen und griechischen Behörden eine Praxis der illegalen Pushbacks zu geben. Menschen, die versuchen, von Griechenland nach Italien zu kommen und aufgegriffen werden, sperrt man auf Fähren unter grausamen Bedingungen ein, um sie zurück zu verfrachten.
Dabei werden Menschen in Kammern, häufig handelt es sich dabei um Lagerräume oder nicht benutzte Bereiche, oftmals nicht größer als zwei Quadratmeter eingesperrt oder an die Wand gekettet. Manchmal in völliger Dunkelheit und ohne der Möglichkeit, sich auszustrecken, zu schlafen, ohne Nahrung und Wasser für teilweise 30 Stunden.
Bis jetzt dementieren die Verantwortlichen alle Vorwürfe. Trotz des bestehenden Videomaterials und Zeugenaussagen. Es wird sich wohl in Zukunft zeigen, wie die EU weiter mit den immer lauter werdenden Vorwürfen zu illegalen Pushbacks und der humanitären Situation umgehen wird. Derzeit stehen die Zeichen für Flüchtlinge leider weiterhin auf Menschenverachtung.
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