Die sozialen Medien strotzen nur so vor Meinungsbildung. Manchmal weniger fundiert, manchmal mehr. Gerade während der Corona-Krise nehmen die Symptome der Digitalisierung neue Ausmaße an, wodurch ein immer weitreichenderer Mix an „Meinungen“ (bewusst unter Anführungszeichen: denn gegen Fakten zu sein, ist keine Meinung) im Internet kursiert.
Der Kommentar der Woche aber zieht mit logischer Aufschlüsselung zur Radikalisierung Bilanz und zeigt auf, weshalb das Demonstrieren mit Rechtsradikalen nichts mit Meinungsäußerung oder dem Kampf für Demokratie zu tun hat. In Zeiten des übertriebenen Individualismus scheint zwar das Kategorisieren von diversen Personen in eine Gruppe politischer Ideologien nicht en vogue zu sein. Der User Lukas Cetrix erklärt aber, weshalb dies im Fall der Corona-Demo vom 20.11.2021 letztlich doch möglich ist.
Post vom 21. November:
„Es ist erstaunlich, wie schwer sich einige tun, die dem Anschein nach so heterogene Gruppe von demonstrierenden Impfgegner:innen politisch-ideologisch auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Zu lesen ist von „normalen Menschen“, die da mitmarschierten und „Linken“, die, wie ja jeder weiß, gerne an Demonstrationen der FPÖ, ehemaliger FPÖ-Funktionäre oder an denen, die von regenbogenfahnen-verbrennenden Stadparkcampiererinnen organisiert werden, teilnehmen (der Sarkasmus darf hier mitgelesen werden).
Wir haben es hier nicht mit Menschen zu tun, die an einem Tag für Gleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit und gegen Nazis marschieren und am nächsten Tag ganz plötzlich und ohne, dass es jemand erahnen hätte können, in einer Demo landen, die von Rechtsextremen veranstaltet wird. Die Ausgangsperspektive dieses Urteils über die politische Gesinnung einem nicht persönlich bekannter Demo-Teilnehmer:innen ist eine, die praktisch nur den einen „Makel“ der Impfgegnerschaft unterstellt, während ihnen ansonsten eine lupenreine demokratische Weste angedichtet wird.
Sehen wir der Sache ins Auge: Wer beim größten Peak einer Pandemie mit Rechtsextremen auf die Straße geht, um gegen die Impfung zu protestieren, hat sich vor allem online radikalisiert. Dies findet über Kanäle statt, die nicht beim Thema Impfung verweilen, sondern nicht selten das ganze Spektrum von „Karottensaft hilft gegen Krebs“, über „die Demokraten in den USA haben ein Kinderschänder-Netzwerk aufgebaut“, bis hin zu Holocaust-Verharmlosung oder sogar -Leugnung, abdecken. Die algorithmische Nachbarschaft dieser Themen führt quasi von einer Verschwörungstheorie zur nächsten. Selbstverständlich betreiben die Leute Cherry-Picking beim Durchsehen der Artikel- und Videovorschläge, die die jeweiligen Algorithmen anbieten, aber am Ende ist die Liste der Vorschläge gefüllt mit zweifelhaften Gesundheitstipps und Beiträgen mit zumindest potenziell antidemokratischem Inhalt.
Weder Franzi, noch Rosi aus Tirol (Namen sind frei erfunden) wissen, wie diese Algorithmen funktionieren. Sie haben aber schon immer die Integrität von Politiker:innen angezweifelt (in dieser Pauschalität), sie halten nichts von Gendern und Menschen aus anderen Ländern sind ihnen erstmal suspekt (aber im touristischen Rahmen gern gesehen). Eines Tages entdeckt Franzi ein Video über Mikrochips in Impfungen und schickt das Video dann Rosi, weil er es furchtbar finde, was da angeblich passiere. Rosi hält das auch für schrecklich und sendet es an andere Leute. Das Video ist selbstverständlich von jemandem produziert worden, der mit Klick-Zahlen Geld verdient, aber auch darüber, wie mit Online-Videos Einnahmen lukriert werden, wissen die beiden nicht Bescheid. Nach und nach werden den beiden immer mehr und immer mehr Videos vorgeschlagen, die ideologisch immer mehr dem rechten Milieu zuzuordnen sind. Eines Tages wird eine politische Entscheidung gefällt, die die beiden in ihrer persönlichen Lebenswelt betrifft, sich nachteilig auf sie auswirkt und einen ungustiösen Aufwand darstellt. Zum Zeitpunkt, als die beiden sich entschließen, an einer Demo gegen die Impfung und die Corona-Maßnahmen teilzunehmen, sind sie bereits selektiv (!) und tief in einer politischen Ideologie eingetaucht, die hoffentlich nicht mit dem Begriff „normal“ bezeichnet werden kann und die schon gar nichts mehr mit einem linken Weltbild zu tun hat.
Rosi und Franzi stehen natürlich nur exemplarisch für eine Vielzahl dieser Demo-Teilnehmer:innen und dieses Phänomen der Online-Radikalisierung wird immer noch massiv unterschätzt. Bisher werden die sozialen Medien und Plattformen, auf denen sich diese Verschwörungstheorien verbreiten, viel zu wenig in die Verantwortung genommen. Ihre unzureichende Löschungs-Policy und ihre Algorithmen tragen Mitschuld an der Radikalisierung dieser Menschen und sie tragen auch indirekt Mitschuld am Tod vieler Menschen in dieser Pandemie.“
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