POWERED BY

Künstliche Intelligenz AIVA als Musikproduzent: Geht das zu weit?
In einer technifizierten und hyperrealen Welt der Automatisierung und Robotisierung. Einer Welt, in der Algorithmen das menschliche Dasein fest bestimmen, scheinen die Sphären Musik, Literatur und Kunst, die letzten Bastionen des Humanen zu sein. Hier lässt sich das rein Menschliche noch allzu menschlich ausleben. Doch was passiert, wenn auch diese Bereiche dem Technischen und in diesem Sinne Artifiziellen keinen Einhalt mehr gebieten können?
Brian Eno – der digitale Prophet
Das Interview mit Brian Eno, geführt ihm Jahre 2016 in seinem Studio nahe London, schlägt ein wie eine Bombe. Er beherrscht kein Instrument! sagt er dort. Konnte nie wirklich eines spielen, gesteht er. Ein Schlag ins Gesicht für das klassische Musikmilieu. Für die Musik an sich. Denn dieser Brian Eno ist nicht irgendwer. Brian Eno ist einer der wohl erfolgreichsten und einflussreichsten Musik-Produzenten aller Zeiten. Ohne seinen Einfluss wären U2 nie zu U2 geworden. Mit David Bowie u.a. hat er den Minimalismus populär gemacht. Mit anderen Projekten die Musik revolutioniert. Und das alles, ohne ein Instrument zu beherrschen. „Ich kann nichts richtig spielen und wollte trotzdem Musik machen.“, erklärt er.
Wie das gehen soll?
Mit der Technik. Etwas genauer “mit Prozessen, mit denen sich Klänge manipulieren lassen.“ Bei Eno wurde das Studio so selbst zum Instrument. Und das geradezu extrem virtuos. Für einige ist Eno sogar der einflussreichste Musiker seit den Beatles. Und das, ohne wirklich ein Musiker (im klassischen Sinne) zu sein.
Klar, er macht Platten, aber nicht so wie man es von einem Musiker erwarten würde. Doch das revolutionäre an Eno war und ist, dass er, wie er selbst sagt „für eine neue Art des Musikmachens“ steht. Mit seinem Laptop könnte er „umgehend ein neues Album anfangen.“ Und trotzdem hat er sich „noch nie hingesetzt und einen Song geschrieben.“, wie es klassisch gemacht wird.
Nein! Eno geht vielmehr ins Studio (z.B. seinen Laptop) und experimentiert so lange mit Klängen und Sounds, bis Musik daraus entsteht. Seiner Meinung nach müsste man für das, was er tut, sogar ein neues Wort dafür erfinden. Der Begriff „Musiker“ ist schon lange überfällig.
MusikerInnen, die nur ins Studio gehen, „um etwas einzuspielen, was dann exakt so auf Platte gepresst wird – dieses Bild ist doch sowieso lange überholt.“ Neuartige Sounds aufgrund der Technik! Eno „wusste sofort, dass so etwas nur aus der Studiotechnik kommen kann, nicht aus Musikinstrumenten. Es ging nicht mehr um musikalische Virtuosität, sondern darum, ob man ein Gefühl dafür hat, wie man aus Technik Sound macht.“ BAM!
Das Studio als Ablösung der Musiker und Musikerinnen. Doch noch ist da ein Mensch (Brian Eno) im Hintergrund, der „die Fäden zieht“. Aber was ist, wenn auch dieser verschwindet?
Musik machen leicht gemacht mit AIVA
Seit Brian Enos Interview vor 5 Jahren hat sich so einiges getan. Denn die Zeiten sind schnelllebig. Die Frage, wer oder was den Musik machenden Menschen ablösen soll, wurde mittlerweile beantwortet und nennt sich AIVA. Aber was zur Hölle ist AIVA?
Avia, das ist ein kreativer Assistent für kreative Menschen, heißt es. Egal welche Form von Kreativität. Ob unabhängiger Spieleentwickler, absoluter Anfänger in der Musik oder ein erfahrener und professioneller Komponist. AIVA unterstützt sie alle bei Ihrem kreativen Prozess.
Unterstützen? Naja, vielleicht ersetzt AIVA diesen Menschen auch einfach nur, denn mit AIVA erstellt man „überzeugende“ Themes für seine Projekte, und das schneller und einfacher als jemals zuvor. Und wie? Ganz easy. Indem man die Leistung von KI-generierter Musik nutzt. Schon vorhandene Tracks können so einfach umgeschrieben werden und lassen sich problemlos für den eigenen Account generieren.
Dort kann man diese umbenennen und umgestalten. Schon vorhandene Kompositionen lassen sich hier ganz einfach modifizieren (bzw. den eigenen Wünschen nach verändern). Das macht man selbst. Oder: man nutzt das ATUO-Programm. Simpel und einfach Musik machen. Ohne ein Instrument zu beherrschen. Das fertige Produkt lässt sich dann herunterladen und verwenden.
Wie genau macht AIVA das?
AIVA macht das ganz einfach, den AIVA hat gelernt. Die Kunst der Musikkomposition. Und das von „30,000 scores of history’s greatest“, wie der Erfinder versichert. In diesen scores sucht AIVA nach Mustern und kann vorhersagen welche Noten als nächstes kommen. Und da sie gut darin ist, kann sie anhand mathematischer Regeln Fortsetzungen erstellen, um eigene und originale Kompositionen zu kreieren, je nach dem individuellen Geschmack der Kunden.
Um den Geschmack der Konsument:innen zu bedienen, kann AIVA sich anpassen und den passenden Song zu jedem Menschen komponieren. Mit den massiven Daten der Musikgeschichte auf einmal „im Blick“ kann AIVA auf die präzisesten Anforderungen eingehen und diesen entsprechen. AIVA, mit dem musikalischen Weltwissen im Hintergrund, komponiert somit themenbezogen „selbstständige“ Musik – gespeist und angetrieben aus dem Erlernten. Eine von der Technik erweiterte menschliche Kreativität?
Revolution in der Soundlandschaft von Computerspielen
Inspiriert vom Film Her und unzufrieden mit den scores von Computerspielen hat der Entwickler sich einiges überlegt. In Computerspielen z.B. spielt man Stunden über Stunden, aber die Musik wiederholt sich nach kurzer Zeit eigentlich immer wieder und bleibt somit dieselbe. Mit AIVA könnte dies ein Ende haben, denn diese Software könnte 100erte von Stunden personalisierter Musik herstellen. Für den never endig Musikgenuss so zusagen, welcher das never endig Vergnügen des Zockens erweitert.
Beethoven revitalised?
Man stelle sich vor, Beethoven würde von den Toten auferstehen und für jeden einzelnen von uns, seinen eigenen Soundtrack komponieren. AIVA macht genau das möglich! Alle Werke von Beethoven einverleibt, inklusive der Kompositionen all seiner Zeitgenossen, schafft AIVA es, aufgrund mathematischer Wahrscheinlichkeit, ein Stück herzustellen, das Beethoven selbst höchstwahrscheinlich auch genauso komponiert hätte. The ever living ghost. Der große Ludwig Van, auferstanden, zurückgekehrt um für jeden von uns den Soundtrack des Lebens zu komponierend.
Die Zeitschleife
Die Frage ist jetzt natürlich die: Hätte sich Beethoven selbst nicht weiterentwickelt? Mit Sicherheit hätte er das! Vermutlich hätte sich seine Musik, hätte er bis heute gelebt, das Elektronische einverleibt und ließe sich ganz anders vernehmen als damals. AIVA lässt Beethoven somit nicht ewig leben – denn ein ewiges Leben geht ja weiter.
AIVA hat sich Beethoven wie er damals war einverleibt (wie alle anderen KünstlerInnen auch) und hält ihn in einer Zeitschleife gefangen, wo dieser auf seinen eigenen Kosmos reduziert wird. Wie bei einem Krimiautoren, dessen neues, von einer Software geschriebene Buch, immer nur ein weiterer Krimi des Autors ist. Aber wer sagt, dass dieser Autor, einer menschlichen Eingebung folgend, nicht einmal eine romantische Komödie geschrieben hätte?
Das Jenseits der Software
Doch in diesem Jenseits der Software ist sein Geist auf ewig dazu verdammt, dasselbe zu sein, was er schon zu Lebzeiten auch gewesen ist. Doch dieser Kritikpunkt, insofern das überhaupt einer ist, ist sekundär. Wichtig ist, dass es mit AIVA nun eine Software gibt, mit der jeder Musik machen kann. Jeder. Das konkrete Erlernen eines Instrumentes und eines Notensystems, das Körper und Geist und Gehirn stimuliert und praktisch ist, verkümmert so zu einem virtuellen Prozess.
Klar ist das einfach und vollkommen legitim. Doch gibt es immer noch einen (körperlichen und geistigen) Unterschied zwischen einer Software und dem praktischen Erlernen eines Instruments, dass sich anfassen lässt und das einen sozusagen in der realen Welt verortet. Doch wer weiß, ob in einer digitalen und hyperreal virtuellen Welt, das überhaupt noch ein Punkt ist, über den reflektiert wird. Und das Praktische nicht abgelöst wird, vom Virtuellen, ganz einfach nur, weil es praktisch ist.
Titelbild Credits: Shutterstock
DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN
Wenn Musik auf tiefen, inneren Schmerz trifft - Faces x Mirac - Grow EP
Independent Musik aus Österreich bekommt viel zu wenig Aufmerksamkeit, weshalb wir ihr wieder einmal etwas Zeit widmen. Eine EP, zwei Musiker und ein paar Fragen offenbaren, dass hinter diesen Songs sehr viel Emotion und eine schwere persönliche Geschichte stecken. Wir haben für euch reingehört, nachgefragt und hier dürft ihr jetzt lesen, was die EP von FACES x MIRAC so besonders macht.
Die Macht der Algorithmen: Wie Social Media deine politische Meinung wirklich formt
Stell dir vor, du lebst in einer Filterblase, die nicht du selbst gebaut hast. Wer wählt aus, welche politischen Meinungen […]
KeKe im Interview: Über rappendes Empowerment, große Verantwortung und Fun
Vom Gesang zum Rap, von einer großartigen Stimme für Jazzgesang zur Stimme vieler, bescheiden aber dennoch mit voller Kraft voraus […]
Illegal Sprayen in Wien: Interview mit einem Graffiti Sprüher
Illegaler Sprayer im Interview. In diesem Artikel beschäftigen wir uns mit der illegalen Seite der Graffitikunst.
Gut Bestückt: mit dem WARDA-Festival-Kit die Festivals erobern
Mit unserem WARDA-Festival-Goodie Bag, das wir am ersten Tag eines jeden Festivals verteilen, feierst du sicher die Tage durch.
Wer ist Erin Carter? Diese Frage muss die Netflix-Serie nicht wirklich beantworten
Derzeit stark in den Top 10 auf Netflix vertreten ist die Netflix-Serie "Wer ist Erin Carter". Ob die Serie wirklich gut ist?








