Embryos stehen derzeit im Mittelpunkt einer neuen wegweisenden Forschung, die die herkömmliche Vorstellung von menschlicher Entwicklung infrage stellt. Denn Forscher*innen verkünden die Erschaffung der ersten synthetischen menschlichen Embryos. Britischen Forschungsergebnissen zufolge haben diese embryoähnlichen Strukturen keine Organe wie ein schlagendes Herz oder ein Gehirn. Aber sie enthalten Zellen, die normalerweise die Plazenta, den Dottersack und den Embryo selbst bilden. Das Forschungsteam hinter der Arbeit behauptet, die weltweit ersten menschlichen synthetischen Embryos aus Stammzellen geschaffen zu haben, ohne Spermien oder Eizellen zu verwenden.
Menschliche Embryos aus dem Labor
In einer Rede auf der Jahrestagung der International Society for Stem Cell Research in Boston erklärte die Forscherin Magdalena Zernicka-Goetz von der University of Cambridge und dem California Institute of Technology die bahnbrechenden Erfolge ihrer Forschung. „Wir können menschenähnliche Embryo-Modelle durch die Umprogrammierung von embryonalen Stammzellen schaffen“!
Diese Forschungsarbeit an sich wurde in noch keiner Fachzeitschrift veröffentlicht. Sie wirft jedoch bereits jetzt rechtliche und ethische Fragen auf, da viele Länder derzeit keine Vorschriften für die Schaffung und Manipulation synthetischer Embryos haben. Diese Grenzen hatten wir bis jetzt einfach noch nicht überschritten.
„Im Gegensatz zu menschlichen Embryos, die durch In-vitro-Fertilisation (IVF) entstehen, für die es einen etablierten rechtlichen Rahmen gibt. Existieren derzeit keine klaren Vorschriften für durch Stammzellen abgeleitete Modelle menschlicher Embryos. Es besteht ein dringender Bedarf an Vorschriften, die einen Rahmen für die Schaffung und Verwendung solcher Modelle bieten“, sagte James Briscoe vom Francis Crick Institute in einem Gespräch mit der CNN.
Das Rennen um die Kultivierung menschlicher Embryos hatte bereits im Jahr 2022 begonnen. Hier konnte die Professorin Zernicka-Goetz mit ihrer Forschungsgruppe und dem Weizmann Institute in Israel bereits zeigen, dass Stammzellen von Mäusen sich zu frühen embryoähnlichen Strukturen organisieren können. Dabei weisen die Strukturen Merkmale wie einen Darmtrakt, die ersten Stadien eines Gehirns und ein schlagendes Herz auf.
Seither ist ein emsiger Wettlauf entstanden, um die gleichen Ergebnisse mit menschlichen Zellen zu erzielen. Auf der Konferenz beschrieb Zernicka-Goetz, wie die Embryos bis zu einem Entwicklungsstadium herangezogen wurden, das knapp über dem Äquivalent von 14 Tagen menschlicher Entwicklung liegt. „Unser menschliches Modell ist das erste dreigliedrige menschliche Embryo-Modell, das Amnion– und Keimzellen, also die Vorläuferzellen von Ei– und Samenzelle, spezifiziert. Es ist wunderschön und besteht ausschließlich aus embryonalen Stammzellen“, erklärte sie in gegenüber dem The Guardian.
Forschung erst am Anfang
Roger Sturmey, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter an der University of Manchester, betonte, dass noch viel Arbeit vor den Wissenschaftler*innen liegt. Das erste Ziel ist dabei, „die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen synthetischen Embryos und Embryos, die durch die Vereinigung einer Eizelle und einer Samenzelle entstehen, zu bestimmen.“ Diese von Zernicka-Goetz vorgestellte Forschungsarbeit wurde von der wissenschaftlichen Gemeinschaft noch nicht vollständig begutachtet. Aber sie bietet bereits jetzt spannende Aussichten für weiterführende Forschungsansätze.
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Denn auch wenn der Durchbruch ethische und rechtliche Fragen aufwirft. Das Potenzial ist riesig. Es ist unumstritten, dass synthetische menschliche Embryos, die nur mithilfe von Stammzellen erschaffen wurden, einen bahnbrechenden wissenschaftlichen Fortschritt darstellen. Dabei geht es um nichts Geringeres als die Möglichkeit, bei der Fortpflanzung den Einsatz von Eizellen oder Spermien zu umgehen.
Und nicht nur das. Denn diese Modell-Embryos ähneln denen in den frühesten Stadien der menschlichen Entwicklung. Dadurch könnten sie ein entscheidendes Fenster für die Erforschung genetischer Erkrankungen und der biologischen Ursachen von wiederholten Fehlgeburten bieten.
Erforschung der künstlichen Embryos nur während der Black-Box-Periode möglich
Allerdings wirft die Arbeit aber auch ernsthafte ethische und rechtliche Fragen auf, da diese im Labor gezüchteten Gebilde außerhalb der aktuellen Gesetzgebung in England und den meisten anderen Ländern fallen. Eine klinische Verwendung der synthetischen Embryos ist derzeit nicht absehbar. Ihre Implantation in den Mutterleib ist derzeit illegal. Und es ist noch unklar, ob diese Strukturen überhaupt das Potenzial haben, über die frühesten Entwicklungsstadien hinaus zu reifen.
Das Ziel der Forschung besteht darin, die „Black-Box-Periode“ der Entwicklung zu verstehen. Diese Phase bezeichnet den gesetzlichen Zeitraum im Labor von 14 Tagen, an denen die Wissenschaftler*innen die Embryos kultivieren dürfen. Anschließend setzen sie die Forschung fort, indem sie Schwangerschaftsscans und Embryos, die für die Forschung gespendet wurden, betrachten.
Robin Lovell-Badge, Leiter der Abteilung für Stammzellbiologie und Entwicklungsgenetik am Francis Crick Institute in London, erklärt: „Die Idee besteht darin, dass, wenn man die normale menschliche embryonale Entwicklung wirklich mit Stammzellen modelliert, man sehr viele Informationen darüber gewinnen kann, wie unsere Entwicklung beginnt und was schiefgehen kann, ohne frühe Embryos für Forschungszwecke verwenden zu müssen.“
Potenzial der Embryos noch nicht ganz klar
Die rasanten Entwicklungen der Wissenschaft auf diesem Gebiet haben mittlerweile die Gesetzgebung überholt, und Wissenschaftler*innen in Großbritannien und anderen Ländern bemühen sich bereits, freiwillige Leitlinien für die Arbeit mit synthetischen Embryos zu erstellen. „Wenn die Absicht besteht, dass diese Modelle den normalen Embryos sehr ähnlich sind, sollten sie in gewisser Weise genauso behandelt werden. Derzeit sind sie es gesetzlich aber nicht. Das bereitet einigen Menschen Sorgen“, betonte Robin Lovell-Badge.
Ein weiteres bedeutendes Problem besteht darin, ob diese Strukturen theoretisch das Potenzial haben, sich zu richtigen Lebewesen zu entwickeln. Die synthetischen Embryos, die aus Mauszellen gezüchtet wurden, ähnelten natürlichen Embryos fast identisch. Doch als sie in die Gebärmütter weiblicher Mäuse implantiert wurden, entwickelten sie sich nicht zu lebenden Tieren.
Gesetzliche Rahmenbedingungen Notwendig
April 2023 schufen chinesische Forscher synthetische Embryos aus Affenzellen und setzten sie in die Gebärmütter erwachsener Affen ein, von denen einige erste Anzeichen einer Schwangerschaft zeigten. Aber keines entwickelte sich über wenige Tage hinaus. Es ist nicht klar, ob die Hürden für die weitere Entwicklung lediglich technischer Natur waren oder fundamentale biologische Ursachen vorlagen.
„Es ist schwierig zu sagen, ob es ein intrinsisches Problem mit ihnen gibt oder ob es einfach nur technisch ist“, betont Lovell-Badge. All diese unbekannten Möglichkeiten machen die Notwendigkeit einer stärkeren Gesetzgebung dringend.
Die Schaffung synthetischer menschlicher Embryos markiert zweifellos einen Meilenstein in der Forschung und bietet faszinierende Möglichkeiten, das Verständnis der frühen menschlichen Entwicklung zu vertiefen. Doch es gibt legitime Bedenken hinsichtlich ethischer Grundfragen und potenzieller Risiken dieser bahnbrechenden Technologie.
Während die Forschung voranschreitet, ist es also unerlässlich, klare Richtlinien und rechtliche Rahmenbedingungen zu schaffen. Es muss sichergestellt werden, dass diese Technologie verantwortungsbewusst und nur zum Wohle der Gesellschaft eingesetzt wird. Der Weg zu einem umfassenden Verständnis der menschlichen Embryonalentwicklung ist noch lang. Doch die Macht, die damit einhergeht, ist offensichtlich. Die wissenschaftliche Gemeinschaft steht nun vor der Herausforderung, das richtige Gleichgewicht zwischen Fortschritt und Verantwortung zu finden.
Titelbild © Shutterstock
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