Mona Chollets erkenntnisreiches Buch: wie das Patriarchat Beziehungen sabotiert
Die Existenz des Patriarchats ist nicht mehr abzustreiten oder zu leugnen. Gender Pay Gap, Orgasm Gap oder Gender Data Gap. All diese Phänomene und noch mehr sind eine wissenschaftliche Tatsache. Nichtsdestotrotz: in diesem Gefilde struktureller Unterdrückung werden die Fahnen der individuellen Freiheit trotzdem recht hochgeschwungen. Denn zumindest in ihrem Fühlen sind die Menschen selbstbestimmt. Doch dass vor allem auch die weiblichen Gefühle dem Patriarchat ebenso unterworfen sind wie der Orgasmus und das Einkommen, darüber hat Mona Chollet eine Pflichtlektüre geschrieben.
Wer ist Mona Chollet?
Mona Chollet ist (eigentlich) Journalistin. Nach ihrem Studium arbeitete die gebürtige Schweizerin für die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo und für Arte Radio. Sie war auch Gastgeberin der Audio-Serie „L’ésprit d’escalier“, in der sie sich mit sozialen Fragen, insbesondere dem Feminismus und den Medien, befasste.
Seit Anbeginn setzte sie ihren Schwerpunkt auf Feminismus und soziale Themen und machte sich einen Ruf als vorbildliche Denkerin, die es schafft, gängige Trends geschickt zu dekonstruieren. Besonders bekannt wurde Chollet durch einen Artikel mit dem Titel „Femen partout, féminisme nulle part„ (deutsch: „Überall Femen, nirgendwo Feminismus“), der 2013 im Le Monde diplomatique erschien. In diesem kritisierte sie die feministische Gruppierung Femen scharf. Sie warf ihnen vor, ständig ihre nackten Brüste zu zeigen, und bezeichnete ihren „Sextremismus“ als leicht vereinbar mit dem Anti-Feminismus. Heißt, dass sich der Feminismus in dieser Form gut verkaufen lässt.
Intermezzo bei Charlie Hebdo und Arbeit bei Le Monde
Während ihrer Zeit bei Charlie Hebdo geriet Chollet in Konflikt mit dem Chefredakteur Philippe Val. Nachdem sie einen Leitartikel kritisiert hatte, in dem Val Palästinenser als „unzivilisiert“ bezeichnete, wurde ihr unbefristeter Vertrag im Jahr 2000 beendet.
Derzeit ist Chollet Chefredakteurin bei Le Monde diplomatique und betreibt gemeinsam mit dem Journalisten Thomas Lemahieu die kulturkritische Website Périphéries. Darüber hinaus hat sie mehrere Bücher veröffentlicht. Ihr Werk „Hexen. Die unbesiegte Macht der Frauen“ wurde im Jahr 2018 veröffentlicht und allein in Frankreich 350.000-mal verkauft. Mona Chollet ist für ihre engagierte Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen und ihre feministischen Perspektiven bekannt.
Mona Chollet: Wir müssen die Liebe neu erfinden
Ihr neuestes Werk Wir müssen die Liebe neu erfinden: Wie das Patriarchat heterosexuelle Beziehungen sabotiert, befasst sich wieder mit den „klassischen“ Chollet-Themen Feminismus und Gesellschaft. Und wieder gelingt es dieser Ausnahmeautorin, oder soll man lieber sagen Ausnahme-Denkerin und -Entdeckerin, gängige Selbstverständlichkeiten geschickt zu dekonstruieren.
Autobiografisch nähert sie sich dem Frausein und zieht dabei ihre essayistischen Kreise immer weiter. Führt Denkerinnen wie Eva Illouz, bell hooks und Simone De Beauvoir ins Feld, um ihre gefühlten Erkenntnisse wissenschaftlich zu untermauern. Dabei zeichnet sie ein recht trauriges Bild des Menschseins.
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Auch wenn thematisch nicht neu, so bereichert Chollet den Patriarchats-Diskurs mit neuen Denkansätzen und fruchtbaren Beobachtungen, die faszinieren. Unkonventionell im Denken macht diese Autorin neue Denkräume auf, bringt Assoziationen ins Spiel, die auf neue Pfade führen. Sie führt zum Beispiel immer erschütternde Beispiele auf, wie über die ganze Geschichte der Menschheit hinweg, männliche Gewalt an Frauen systematisch verharmlost worden ist.
Frauen als Opfer des großen männlichen Genies
Schnell wird klar, dass Harvey Weinstein nur die Spitze des Eisbergs ist und die wahre Bedrohung viel tiefer schlummert. Chollets Analysen von Medienberichten machen deutlich, dass vor allem auch in der Kunst, männliche Toxizität und auch Gewalt entschuldigt worden sind, um ein vermeintlich großes männliches Genie dahinter zu rechtfertigen.
Picasso, Miles Davis und wie sie alle heißen. Hinter jedem dieser sogenannten Genies der Menschheit steckt, Chollet zufolge, eine unterdrückte Frau, die ein Schattendasein fristen musste, sodass der Mann seine Kunst zur Gänze entfalten konnte. Vor allem in der Kunst und Kultur ist toxische Männlichkeit etwas, dass stark romantisiert wird, so die Denkerin. Auch der Narzissmus bekommt bei Chollet eine neue Gewichtung. Ist dieser nicht nur Resultat unserer patriarchalen Gesellschaft? Vor allem Chollets längere Passage über die Liebe der Frauen zu Serienmördern ist extrem spannend zu lesen.
Fazit: Mona Chollets Buch als Pflichtlektüre
Was Chollet in ihrem Buch an neuen Denkansätzen und Blickpunkten liefert ist zutiefst beachtlich. Der Buchmarkt scheint übersättigt an Werken, die oft nicht mehr als mittelmäßig sind, vor allem im Sachbuchsegment. Selten geschieht es, dass man ein Buch zuklappt und mit neuen Erkenntnissen zurückgelassen wird.
Bei Chollets neuem Buch ist das anders. Dort bekommt man diese Erkenntnisse praktisch nach jedem Kapitel. Wie man dem ganzen patriarchalen Irrsinn entkommen kann, das schreibt sie nicht. Vermutlich, weil sie selbst noch zu sehr Opfer davon ist, wie sie anfangs schreibt. Dennoch ist einem jedem, einer jeden von uns geholfen, wenn man bei Chollet bedrückend schön aufgelistet bekommt, was alles falsch läuft. Nach diesem Buch wird man mehr als einen Schritt weiter sein und das Patriarchat ganz gut durchschaut haben. Auch dort, wo es sich bisher unwissend einschleichen konnte.
Titelbild © Shutterstock
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