„Dies ist die Geschichte einer Gesellschaft, die fällt. Und während sie fällt, sagt sie, um sich zu beruhigen, immer wieder: Bis hierher lief es noch ganz gut. Bis hierher lief es noch ganz gut. Bis hierher lief es noch ganz gut. Aber wichtig ist nicht der Fall, sondern wie Landung.“ Dieses legendäre Filmzitat aus dem Klassiker „La Haine“ könnte im Jahr 2022 nicht aktueller sein. Die Situation ist äußerst bescheiden. Krieg und Krankheiten, die Zerstörung der Umwelt, soziale Ungleichheiten sorgen für ein mächtiges rumoren in der Gesellschaft. Immer mehr Menschen stellen sich dabei die Frage: Warum treibt die Regierung die Umverteilung nicht voran?
Selbst bei uns im seligen Österreich hinter den sieben Bergen bei den sieben Zwergen merkt man einen Riss in der Idylle. Auch wenn wir gerne unseren Kopf in den Sand stecken oder in unserem Fall besser gesagt in den Schnee. Die soziale Ungleichheit und die Bedrohung für alle dadurch lässt sich nicht mehr ganz so einfach ignorieren.
Während Politiker:innen anstatt aktiv zu handeln, sich mit Empfehlungen à la Marie Antoinette an die Bevölkerung wenden, wird die reale Kluft zwischen Arm und Reich immer größer. Dem durchschnittlichen Österreicher drängt sich dabei immer mehr der Verdacht auf, dass das der Regierung schlichtweg egal ist.
ÖVP seit 35 Jahren in der Regierung
Um fair zu bleiben, die Frage ist so nicht ganz richtiggestellt. Denn die bereits seit 35 Jahren durchgehend regierende Partei ÖVP treibt die Umverteilung doch eh fleißig voran. Im Gegenteil, man könnte sogar so weit gehen und davon sprechen, dass die ÖVP in Wahrheit eine Umverteilungs-Partei sei. Jedoch folgt sie dabei einer gierigen Logik aus der Hölle. Anstatt von oben nach unten geht es bei ihr von unten nach oben.
War Robin Hood noch dafür, denen, die zu viel haben, zu nehmen und es den Hungernden zu geben, hat die österreichische Volkspartei dieses Prinzip einfach umgedreht. Als strahlende „Hure der Reichen“ reitet man jeden Tag aus, um dem undankbaren Lumpenproletariat den letzten Funken, Würde und Geld zu rauben. Das Selbstverständnis dabei gleicht einer Adlerrunde, welche von oben herab unfehlbar ist. Man scheint sich dabei gegenseitig anzuspornen, ein Stück zynischer als der oder die Vorgänger:in zu sein. Je härter, je grausamer, je zynischer, umso besser.
Regierung betreibt paradoxe Umverteilung nach oben
Anders lassen sich völlig übertrieben Maßnahmen gegen alle außer der Oberschicht-Klientel, welche man vertritt, einfach nicht erklären. Vor allem da in regelmäßigen anhaltenden Abständen extrem peinlich genau dokumentiert wird, wie die Maßnahmen dem Staat permanent mehr kosten. Wie zum Beispiel bei dem Fall der Krankenkassenreform, einem Vorzeige-Projekt von ÖVP und FPÖ.
Hier wurden 21 Sozialversicherungsträger auf fünf reduziert und die neun Gebietskrankenkassen zur österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) zusammengelegt. Man versprach Einsparungen von 1 Milliarde Euro. Ein Versprechen, das von Anfang an eine blanke Lüge war.
Das Resultat traf alle Pflichtversicherten in Österreich. Denn es wurden Leistungen gestrichen und Medikamente für die Betroffenen teurer. Und die Milliarde gab es zum Schluss dann auch nicht für den Staat. Wie Gesundheitsökonomen kürzlich ausgerechnet haben, wird das Ganze den Staat sogar noch mehr Steuergeld kosten als das alte System. Und zwar voraussichtlich 215 Millionen Euro.
Während man parallel dazu bei Themen wie der Erbschaftssteuer absolute Solidarität mit der Oberschicht lebt, nimmt man sich das Steuergeld gerne von allen anderen. Hier wird nicht eingespart, hier wird ganz klar umverteilt. Für wen also machen die ÖVP und europäische Schwester-Parteien eigentlich Politik? Eine obsolete Frage, welche sich wohl selbst durch die Tatsachen beantwortet.
Die einfachste Antwort ist manchmal die richtige
Mit Parteien, welche die oberen Klassen vertreten, wird es in Österreich faktisch keine Umverteilung geben. Beziehungsweise nur die erwähnte Umverteilung von Steuergeld nach oben hin zu der eigenen Klientel. So frustrierend das für alle anderen in Österreich sein mag, so fair muss man aber auch bleiben und sagen: „Hey, diese Parteien haben auch nie behauptet, für soziale Gerechtigkeit einzustehen!“ Also, wenn man sich ihr Abstimmungsverhalten im Parlament der letzten Jahrzehnte mal näher anschaut.
Hier beginnt auch das eigentliche Dilemma und absolut Bittere. Denn wir leben in einer Demokratie. Auch wenn manche im Geiste durch den Wohlstand soweit verkommen sind, dass sie das nicht mehr richtig erfassen können. Und in einer Demokratie haben wir alle vier Jahre die Möglichkeit, eine andere Wahl zu treffen. Das Problem mit der Korruption und der fehlenden Umverteilung ist also nicht nur eines der Regierung. Denn in einer Demokratie ist die Regierung auch nichts anderes als die Summe der Bevölkerung.
Tu Felix Austria
In Österreich leben sehr viele Menschen, die fest davon überzeugt sind, wohlhabend zu sein. Uns geht es gut! Hier wird der Protektionismus plötzlich zu einer persönlichen Ansicht. Man denkt, dass Parteien wie die ÖVP und andere die eigenen Interessen vertreten. Eine Partei, die Reiche vertritt, wird doch auch dafür sorgen, dass mein Wohlstand erhalten bleibt oder nicht? Dass das faktisch nichts mit dem Geschehen zu tun hat, scheint dabei viele nicht zu stören. Ein perverses Verständnis von Leistung und Unterdrückung sowie einer unmenschlichen kapitalistischen Verwertungslogik stellt dabei die Normalität dar.
Und so dreht sich die Spirale aus Sozialabbau, sozialen Ungleichheiten, Kriminalität und gesellschaftlichem Druck weiter. Ein Zustand, in dem Rechte als Almosen verstanden werden. Wie das Beispiel, dass der Arbeitsminister vorschlägt, arbeitslosen Menschen einfach mal die ersten zwei Wochen ihr Recht aus Leistungsbezug zu streichen. Einfach so! Warum man hier Menschen bewusst in eine prekäre Notsituation bringen möchte, welche dem Sozialsystem im Endeffekt mehr Kosten verursacht, lässt sich nur mit ideologischer Verbohrtheit und einer fragwürdigen Einstellung gegenüber „der Arbeiterklasse“ erklären.
Regieren nach dem Prinzip „Wer zahlt, schafft an“?
Inwiefern sich der Satz „Wer zahlt, schafft an“ in Österreich als allgemeingültiges Paradigma bereits in den Köpfen verankert hat, wird sich noch weisen. Man scheint aber soziale Ungleichheiten als Errungenschaft zu betrachten. Eine perfide Möglichkeit, die niedersten Instinkte im Menschen anzusprechen.
Wo man woanders doch die Notwendigkeit von richtiger Umverteilung verstanden hat, debattiert man bei uns noch darüber, ob gewisse Einkommensschichten überhaupt Steuern zahlen sollten. Zumindest so lange, bis der Leidensdruck bei vielen so weit angekommen ist, dass ein Handlungsbedarf daraus entsteht. Und dann hoffentlich so friedlich, wie es nur geht, durch das demokratische Stimmrecht an der Wahlurne.
Also, um zum Schluss nochmals auf unsere Eingangsfrage zurückzukommen, warum die Regierung in Österreich die Umverteilung nicht vorantreibt. Das könnte vielleicht daran liegen, dass wir eine Nation für Wohlhabende sind, welche in Relation von Armen getragen wird, die sich wiederum gegen ihre eigenen Interessen stellen. Aber hey, es heißt ja auch immerhin Österreich und nicht Österarm!
Titelbild © Shutterstock
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