Die große Liebe. Der heilige Gral unserer Zeit. Angetrieben von konsumierten Liebesformaten aus Filmen, Serien, Büchern und Co ist jede*r auf der Suche nach the love of his or her life. Eine Liebe, die sich for ever and ever and ever zu halten vermag. Sich der Unmöglichkeit dieser Erfüllung bewusst, versuchen sich viele an alternativen Beziehungsmodellen. Auch Bestsellerautorin Katja Lewina, deren Werk und Leben sich in diesem Themenbereich bewegen, hat dazu etwas zu sagen und ein weiteres Buch geschrieben. Wir erklären, warum mensch Katja Lewinas Buch Ex unbedingt lesen sollte.
Katja Lewina – geschickte Beobachterin unseres Beziehungsverhaltens
2020 veröffentlichte Katja Lewina das Buch Sie hat Bock. Daring geht es um die sexuelle Ungleichheit und das weibliche Begehren – das genauso Bock hat wie das Begehren des Mannes. 2021 folgte das Sexbuch Bock, für das sie mit heterosexuellen Männern über deren sexuelle Praktiken und Fantasien sprach. Ihre Arbeiten gewähren durchaus spannende Einblicke in eine Thematik, die viel zu selten offen und ehrlich besprochen wird: Sex aka zwischenmenschliche Beziehungen.
In Katja Lewinas neuestem Werk Ex – erschienen im DuMont Verlag begibt sie sich auf den mühseligen Weg zwischenmenschlicher Beziehungs-Reflexion. Mithilfe von aufarbeitenden Gesprächen mit ihren verflossenen Partnern und Liebhabern erhofft sie sich zu erfahren, was bei ihr falsch läuft bzw. in ihren zwischenmenschlichen Begegnungen falsch gelaufen ist. Durch die Methode des Gesprächs will sie mehr Licht in ihre Dynamiken und Strukturen bringen. So weit, so gut.
Katja Lewina: Sex and the City auf Ex-Odyssee
Dieser Ansatz ist natürlich alles andere als neu. Lewinas „Erkenntnisse“ sind dennoch extrem interessant und sie schafft es gekonnt, uns mitzunehmen. Auf eine Reise, die jedoch mehr Sex and the City-Niveau hat, als dass dabei wirklich psychointrospektiv wertvolle Erkenntnisse geliefert werden. Wer sich nach Letzterem sehnt, dem seien die Bücher der Psychologin Harriet Lerner näher ans Herz zu legen. Wer jedoch gut unterhalten werden will, der ist bei Lewins Ex-Odyssee goldrichtig.
Ex ist verwunderlicher Weise aber dennoch ein Buch, dass mensch unbedingt lesen sollte. Warum? Weil hier gut zu erkennen ist, wie die Menschen der Gegenwart ihre Beziehungen führen (führen wollen und angehalten werden zu führen). Knallhart und egozentrisch. Erbarmungslos werden die eigenen Interessen vertreten. Das eigene Selbst steht über allem. Auch wenn mensch vorgibt, die anderen auch in Betracht zu ziehen, bleibt mensch doch in sich selbst verhaftet, in seinem narzisstischen Dasein gefangen.
Katja Lewina und Simone de Beauvoirs Sehnsucht
Ein jeder von Lewinas Sätzen (oder Gedanken) erstrahlt dabei in einem konsumistischen Schauer, bei dem es einem eiskalt den Rücken runterläuft. Hier liest mensch die Geschichte eines Menschen, der immer mehr und mehr haben will. Und obwohl sehr viel darüber erzählt wird, wie kaputt sie selbst doch ist, so sind diese Geständnisse doch nicht viel mehr, als postmoderne Inszenierung. Denn was in den letzten Jahren immer wiederzusehen ist, das sind sogenannte Geständnisse, die jedoch an der Oberfläche haften bleiben. Mensch gibt seine Verfehlungen zu, beweist jedoch nicht, dass mensch wirklich etwas daran ändern will. Mensch ist halt einfach so. That’s it!
Es ist schwer, präzise zu formulieren, was genau dieses Unbehagen auslöst, wenn mensch Ex liest – es ist mit Sicherheit nicht das gelebte offene Beziehung-Modell. Doch wenn mensch liest wie andere, (sagen wir einmal) reflektiertere Menschen, wie zum Beispiel Simone de Beauvoir (in ihren Romanen, Tagebüchern und Briefen) ihre Beziehungen aushandeln und das mit Katja Lewinas vergleicht, dann sind da einfach Welten dazwischen. Auch die sehr gut gewählten Zitate (von u.a. Eva Illouz) können Lewinas Erfahrungsbericht nicht retten. Denn mensch fragt sich am Ende wirklich, was genau die Erfahrung sein soll. Doch warum retten? Nicht jeder kann natürlich so reflektiert sein wie Simone de Beauvoir.
Ein Spiegel unserer Zeit
Dennoch sollte Katja Lewinas Ex unbedingt gelesen werden. Die Autorin ist in der oberflächlichen Art, wie sie reflektiert, sich befragt, andere befragt, wie sie Gespräche führt und zu welchen Schlüssen sie kommt, die perfekte Vertreterin für uns alle. Ein wunderbarer Spiegel der Gesellschaft – der nicht einmal spiegelt, sondern an sich die Verhältnisse so zeigt, wie sie sind.
Nur Ausnahmemenschen (das muss mensch so sagen) denken, fühlen und reflektieren auf solch tiefsinnige Weise wie Simone de Beauvoir. Der schnöde Rest lebt auf Lewinas Ex Buch-Niveau. Hier muss mensch nämlich unterschieden zwischen dem Buch Ex und Lewinas Leben selbst. Denn Lewina schafft es wirklich, ein alternatives Lebens- und Liebesmodell zu leben (im Vergleich zu den meisten von uns). Drei Kinder, Ehemann und offene Beziehungen, heiße Affären und über alledem natürlich, das Damoklesschwert des steten Unglücks.
Fehlende Tiefe in der Beschreibung – Prototyp gelungener Polyamorie?
Doch Lewina – und das ist der Vorwurf – schafft es nicht, tiefgreifend genug darüber zu berichten. Bei allem, was sie schreibt, fragt mensch sich, wie genau, dass denn nun abgelaufen ist und abläuft. Doch die Autorin beharrt auf ihrem Plauderton, der keine wirklich tieferen Einblicke gewährt. Die Berliner Philosophin Hilge Landweer äußert in einem lesenswerten Interview folgendes: „Von guten Autorinnen und Autoren wäre zu verlangen, dass sie ihre Gefühle zu sezieren vermögen, dann erhält man atmosphärische Beschreibungen (…). Solche Beschreibungen können in der Tat Welten erschließen.“ In diesem Sinne seziert Lewina zu wenig und Welten erschließen sich in Ex nicht wirklich. Interessant ist die Lektüre dennoch allemal.
Katja Lewina hat in ihrem Leben das geschafft, was Simone de Beauvoir nie gelungen ist und wovon vermutlich fast alle träumen. Karriere, Erfolg, Ehe, drei Kinder und offene Beziehungen (mehr oder weniger) erfolgreich unter einen Hut zu bringen.
Katja Lewina – Was wir eigentlich wissen wollen
Sie schreibt viel darüber, was sie alles falsch gemacht hat in ihren Beziehungen. Dabei ist das wirklich interessante, was sie alles richtig gemacht hat. Denn ganz ehrlich, Lewinas Leben ist im Grunde schon ein wenig der Prototyp dessen, wie sich viele ein erfolgreiches offenes Beziehungsleben so vorstellen. (Mensch gewinnt zumindest den Eindruck).
Und das ist das Interessante. Doch anstatt darüber tiefgründig zu berichten, führt sie uns anhand zahmer Geständnisse einem Ende entgegen, mit dem mensch nicht wirklich zufrieden sein kann. Dass sie dazu jedoch in der Lage ist, hat sie durchaus schon bewiesen. Mensch wird in Ex gut unterhalten, ja. Doch mit einer tief reichenden Erkenntnis wird mensch dieses Buch nicht zuklappen können. Aber darüber, wie offene Beziehungen, mit Kindern, Karriere und so weiter genau funktionieren, darüber schreibt sie bestimmt eines ihrer nächsten Bücher.
Titelbild © Screenshot [ E-V-A ] Das Talkformat von RZ spektral – Folge 4 mit Katja Lewina
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