Semaglutid – Abnehmen mit einer Spritze: Gamechanger oder Schönheitswahn?
Nicht nur im Lifestyle Segment spielt Abnehmen eine Rolle. Denn gesundheitliche Beschwerden sind bei Übergewicht und Adipositas keine Seltenheit. Hier gibt es schon seit einiger Zeit Medikamente und Mittelchen, welche bei der Gewichtsreduktion hilfreich sein können. Doch was hat es genau mit Mittel wie Semaglutid und Wegovy auf sich? Und wie gesundheitsgefährdend ist der Trend aus Amerika, sich Off-Label mit Medikamenten das Abnehmen zu erleichtern?
Abnehmen für Körper und Geist
Adipositas, also starkes Übergewicht, ist ein weltweites Gesundheitsproblem, das sowohl die körperliche als auch die psychische Gesundheit beeinträchtigten kann. In Österreich leidet etwa jede fünfte Person an Adipositas, wobei Männer etwas häufiger betroffen sind als Frauen. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ist eine Zunahme von Übergewicht und Adipositas zu beobachten.
Übergewicht entsteht durch ein Ungleichgewicht zwischen Energieaufnahme und Energieverbrauch. Dabei ist eine Kombination aus ungesunder Ernährung und mangelnder körperlicher Aktivität gelegentlich die Ursache. Abnehmen kann durch eine ausgewogene Ernährung, eine Erhöhung der körperlichen Aktivität und gegebenenfalls medizinische Behandlung bei Begleiterkrankungen erreicht werden.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass schnelles Abnehmen oft nicht von Dauer ist. Anhaltende Verhaltensänderungen sind notwendig, um das Gewicht langfristig zu halten. Ein zusätzliches Problem, das bei begleitender medikamentöser Behandlung hinzukommt. Präparate müssen permanent und somit ein Leben lang eingenommen werden. Studien konnten bereits belegen, dass Betroffene sofort wieder ihr altes Gewicht haben, sobald sie die Medikamente zum Abnehmen absetzen.
Allgemein gilt: Eine gesunde Ernährung, ausreichend Bewegung und ein gesunder Lebensstil sind nicht nur wichtig für die Gewichtsreduktion, sondern auch für die allgemeine Gesundheit.
Semaglutid: Unrealistische Schönheitsideale zerstören die Psyche
Parallel zu dem medizinischen Wissen, was wir rund um das Thema Abnehmen und Übergewicht haben, gibt es eine Dauerbeschallung in den sozialen Medien und in der Werbung, die Menschen unter hohe psychische Belastung stellen. Denn die abgebildeten Schönheitsideale entsprechen oftmals nicht der Realität. Und auch wenn der Markt alle Körperformen mittlerweile als kaufkräftige Zielgruppe erkannt hat, gibt es zeitgleich immer noch überproportional viele unrealistische Körperformen in der Werbung, im Film und allgemein in der gesellschaftlichen und kulturellen Auslegung von Schönheit.
Die technischen Errungenschaften haben dabei die Trends und die Dynamik, gerade in der Online-Welt, weiter beschleunigt. Für junge Menschen und Heranwachsende können Bilder und falsche Vorstellungen von Gesundheit und Leistung, welche gesellschaftlich ständig kommuniziert werden, fatale Folgen für die Psyche haben.
Bereits vor 13 Jahren im Jahr 2010 konnte eine Befragung des „Health Behavior in School Aged Children“ bei österreichischen Jugendlichen nachweisen, dass sich 56,8 Prozent der Befragten mit ihrem Gewicht unzufrieden fühlten. 35 Prozent gaben damals an, abnehmen zu müssen oder wegen ihres Gewichtes im Moment auf Diät zu sein.
Und auch wenn in den letzten Jahren das „Body Positivity“– Movement oftmals medial deutlich wahrgenommen wurde, zeigen die Zahlen leider einen anderen Trend. Der Schönheitswahn treibt immer mehr junge Menschen in psychische Probleme.
In einer Welt, in der man immer den anderen gefallen will, kann sich der Optimierungsdrang auch in etwas Gefährliches verwandeln. Sind Medikamente, die beim Abnehmen helfen sollen, nicht auch ein Symptom einer unsicheren Gesellschaft?
Abnehmen als Volksthematik
Egal ob offline in Pausenbüros oder in oftmals hitzig geführten online Debatten, Abnehmen spielt für viele eine Rolle. Die Basics sind dabei nur allzu gut bekannt. Ernährung umstellen, diszipliniert an den Gewohnheiten arbeiten und am besten begleitend dazu regelmäßiger Sport. Was in der Theorie aber sehr einfach klingt, bedeutet für viele, sich von einem Tag auf den anderen ein neues Leben zuzulegen.
Frustrierende Erfahrungen mit dem JoJo-Effekt und Diäten, die schlichtweg nicht greifen, aber auch unrealistische Erwartungshaltungen an sich selbst führen dabei gelegentlich bei Betroffenen zu mehr Schaden als Nutzen. Und so landen viele bei geplanten Gewichtsreduktionen mit einem verletzten Selbstwertgefühl wieder bei ihrem alten Gewicht.
Seit Jahren gibt es in der Abnehmbranche Mittel, die ambivalent betrachtet werden. Dabei handelt es sich um medizinische Präparate, die beim Abnehmen helfen können, aber durchaus ernsthaft gesundheitliche Risiken in sich bergen. Ursprünglich handelt es sich dabei um Antidiabetikums wie Semaglutid. Also Mittel, die von Ärzten verschrieben werden, um Begleiterkrankungen wie Diabetes bei Adipositas besser behandeln zu können.
Semaglutid bringt den Effekt der Gewichtsreduktion
Semaglutid ist ein Medikament, das zur Behandlung von Diabetes Typ 2 in der EU schon seit einiger Zeit zugelassen ist. Es gehört zur Gruppe der Glucagon-like Peptid-1 (GLP-1)-Agonisten und wirkt durch die Erhöhung der Insulinausschüttung und Hemmung der Glukagonsekretion. Das Ergebnis ist ein Absinken des Blutzuckerspiegels.
In einer Studie bei 1961 Erwachsenen mit einem BMI von 30 oder höher sorgte eine Abgabe von 2,4 mg des Mittels über 68 Wochen zu einer Gewichtsreduktion von bis zu 14,9 Prozent. Dabei wird Semaglutid üblicherweise einmal pro Woche unter die Haut injiziert. Die Gewichtsreduktion war nicht auf eine verringerte Nahrungsaufnahme zurückzuführen, sondern auch auf eine erhöhte Kalorienverbrennung.
Aufgrund dieser vielversprechenden Ergebnisse wird Semaglutid nun auch oft bei sogenannter Off-Label Anwendung zum Abnehmen eingesetzt. Das bedeutet, dass das Medikament nicht speziell zur Gewichtsreduktion zugelassen ist, aber Ärzte es dennoch verschreiben können, wenn sie der Meinung sind, dass es für den Patienten geeignet ist.
Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass Semaglutid wie jedes Medikament auch potenzielle Nebenwirkungen aufweisen kann, darunter Übelkeit, Erbrechen, Durchfall und Bauchschmerzen. Außerdem ist das Medikament nicht für sämtliche Patient*innen geeignet und sollte nicht als „Wundermittel“ zur Gewichtsreduktion betrachtet werden.
Abnehmen als Lifestyle Phänomen
Wie zu erwarten war, hat es nicht lange gedauert, bis die Lifestyle Branche, Stars und Promis Wind von der Wirkung des Mittels bekommen haben. Das Medikament hat in den USA mittlerweile eine direkte Indikation für die Therapie von Adipositas bekommen. So ist Semaglutid bereits seit 2021 unter dem Handelsnamen Wegovy erhältlich. An die Studienergebnisse angelehnt, dürfen sich Betroffene bis zu 2,4 mg einmal wöchentlich spritzen.
2022 zog die Europäische Union nach und erteilte Wegovy auch eine Zulassung. Die Voraussetzungen dafür sind ein BMI von 27 und mindestens eine gewichtsbedingte Begleiterkrankung oder ein BMI von 30 in Verbindung mit einer kalorienreduzierten Diät und körperliche Aktivität. Ärzteverbände betonen dabei immer wieder, dass eine Off-Label-Anwendung ohne ärztliche Begleitung und Therapie durchaus ernste gesundheitliche Risiken in sich bergen kann.
Semaglutid: Gesundheitsrisiko oder Gamechanger?
Man sollte auch bedenken, dass das Medikament permanent eingenommen werden muss, um den gewünschten Effekt der Gewichtsreduktion beizubehalten. Dabei sind die Langzeitwirkungen natürlich noch nicht näher erforscht. Eine weitere Herausforderung ist der Medikamentenpreis, in den USA lagen die Injektionen oft bei 1000 US-Dollar. Der Zulauf auf das Mittel sorgt außerdem dafür, dass es für tatsächlich Betroffene, die an Diabetes leiden, zur knappen Wahre wird.
Nichtsdestotrotz werben prominente Unternehmer*innen wie Elon Musk schon kräftig für das Mittelchen zum Abnehmen. Ob hier wirtschaftliche Interessen wie den Aktienkurs in die Höhe zu treiben eine Rolle spielen ist dabei nicht näher bekannt. Danach gefragt, warum er so gut ausschaue und ob er abgenommen hätte, antwortete der Milliardär im Oktober des letzten Jahres folgendes:
Fasting
— Elon Musk (@elonmusk) October 1, 2022
Die Zukunft wird weisen, wie effizient die Spritze zum Abnehmen wirklich ist. Denn auch wenn es sehr verlockend klingt, sollte man vorsichtig an die Sache herangehen. Nicht, dass man aus Druck und einem pervertierten Schönheitswahn sich sein Leben lang von einem Medikament abhängig macht. Nur um einer fiktiven Traumfigur nachzujagen. Für Betroffene, die durch ihr Gewicht Gesundheitsrisiken haben oder bereits erkrankt sind, kann das Medikament hingegen wiederum ein wertvoller Gamechanger sein.
Titelbild © Shutterstock
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