Die Kinobesucher*innen sitzen gefasst vor der Leinwand, die Spannung steigt ins Unermessliche. Plötzlich ein Jumpscare, das Unerwartete trifft ein und die Menge bebt. Kurz danach die Erleichterung, sie wirkt fast euphorisierend. Flüstern ist zu hören, das Publikum beruhigt sich. Aufregung, Spannung, Angst — der Thrill. Er ist es, der die Horrorfans begeistert. Doch woher kommt diese Faszination? Lasst uns dieses Phänomen tiefergehend betrachten.
Angstlust — aber was ist das eigentlich?
Die beiden Gefühle Angst und Lust könnten unterschiedlicher nicht sein und doch treffen sie bei diesem Phänomen gleichzeitig oder besser gesagt nacheinander ein. Dabei geht es viel mehr um die inszenierte Angst und sich dem Gefühl des Gruselns hinzugeben. Niemand möchte in Wirklichkeit gerne vor einem Serienkiller oder kurz vorm Ertrinken stehen. Zentrales Element dabei ist, dass Konsument*innen sich dieser Situation aussetzen, dabei jedoch immer davon ausgehen, dass sich, zumindest für sie, alles zum Guten wendet.
Die Ursprünge der Angstlust
Die Endorphine, die in einer Angst- oder Stresssituation freigesetzt werden, sorgen für diesen euphorischen Zustand und dafür, dass wir uns stark, gar unverwundbar fühlen. Das kommt nicht von irgendwo her. Unsere Vorfahren mussten im Kampf mit Raubtieren weiterkämpfen können, um sich durchzusetzen. Die Schmerzbefreitheit während eines Kampfes ist also den freigesetzten Endorphinen zu verdanken. Das Phänomen der Angstlust begleitet uns schon seit vielen Jahrhunderten, ein gutes Stichwort dafür sind Mythen und Sagen zu Gött*innen, die schon damals unzählige Menschen in ihren mystischen Bann gezogen haben.

Das Phänomen der Angstlust
Zentraler Ausgangspunkt der Lust nach Angst ist, dass es einen guten Ausgang haben wird. Wer in eine Achterbahn steigt, vertraut darauf, dass die Technik und die Mechanik uns wieder heil auf den Boden bringt. Die Angstlust geht daher auch immer mit einer gewissen Art des Vertrauens einher. Flacht nach dem Endorphinrausch die Spannung wieder ab, so trifft ein entlastendes Wohlgefühl ein. Wir sind stolz darauf, unsere Angst überwunden zu haben. Dieser Prozess kann sogar reinigend wirken. Wenn wir wissen, dass wir eine bestimmte Angst überwinden können, gibt uns das Anreize, auch andere Ängste überstehen zu können.
Unterschied Angstlust und pathologische Angst
Nach Angstlust wird immer gesucht, pathologische Angst wird in den meisten Fällen umgangen oder vermieden. Wenn ich mich nach einem aufregenden Abenteuer sehne, ist das ein Verlangen. Menschen, die vor gewissen Sachen zurückschrecken oder gar eine Phobie entwickelt haben, sind in ihrem alltäglichen Leben in sozialen oder beruflichen Situationen einschränkt.

True Crime und die damit verbundene Angstlust
Auch in der Zukunft wird uns die Angstlust ein stetiger Begleiter sein. Das lässt sich bereits daran ablesen, dass True-Crime-Dokumentation sowohl auf bekannten Streamingplattformen, als auch bei Podcasts immer stärker werdende Mitstreiter sind. Das Bewusstsein dafür, dass wie bei einem Horrorfilm die gezeigten Szenen inszeniert sind, fällt bei True Crime allerdings weg. Das Angstsystem wird in einen stärkeren Alarmzustand versetzt, da die Dinge greifbarer für uns sind, wenn wir wissen, dass sie wirklich so stattgefunden haben.
Die Endorphine, die durch den Angstzustand freigesetzt werden, können aber auch künstlich inszeniert werden, beispielsweise durch schaurige Musik oder flackerndes Licht. Umso mehr wir unser Gehirn mit relevanten Informationen zu beispielsweise Mörder, Tatvorgang und Co. füttern, desto mehr wird unsere Fantasie beflügelt. Damit wird auch der allgegenwärtige Erfolg von True Crime beschrieben. Spannend dabei ist, dass unter den Hörer*innen vor allem Frauen sind. Erklärt wird das unter anderem dadurch, dass sich vor allem Frauen vor großen Gefahren schützen wollen und sich durch True-Crime-Dokumentation auf den Fall der Fälle vorbereiten wollen. Mehr dazu gibt’s hier.
Ist die Lust nach Angst bedenklich?
In der früheren Angstforschung ging man davon aus, dass die Angstlust durch ein Trauma im frühen Kindesalter verankert ist. Durch zahlreiche ethnologische Untersuchungen und Experimente wissen wir es aber heute besser. Kerngesunde Menschen können auch in einem gewissen Maß die Lust nach Angst verspüren. Immer verbunden mit der Zuversicht, dass am Ende doch alles gut ausgehen wird. Das Bedürfnis sich bewusst zu gruseln ist demnach für die meisten Menschen nur ein Mittel zum Zweck, um sich zu spüren und das Lebensgefühl zu intensivieren. Angstlust ist also in gewissem Maße doch irgendwie schrecklich schön.
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