Die Coaching-Branche boomt. Immer mehr Menschen suchen Coaches auf, um Unterstützung zu bekommen — in welchen Bereichen auch immer. Dieses scheinbare Überangebot birgt jedoch Gefahren. Denn die Methoden vieler Coaches sind nicht wissenschaftlich fundiert, der Begriff „Coach“ rechtlich nicht geschützt und die Methoden oft mehr als fragwürdig. Trotzdem investieren immer mehr Menschen viel Zeit und Geld in diese Form der Selbstoptimierung. Dabei lauert die Abzocke hinter fast jeder Ecke.
Coaching: Das Geschäft mit der Hoffnung
Motivation als Geschäftsidee. Ein Konzept und vor allem ein Trend, der in den 1990er Jahren zum ersten Mal nach Deutschland und danach natürlich auch nach Österreich gekommen ist. Mittlerweile füllen Coaching-Stars ganze Hallen. 10.000 Menschen nahmen zum Beispiel an den Power Days von Jürgen Höller teil. Eine Coaching-Legende, die ihren einstigen tiefen Fall perfekt zu vermarkten weiß – das Stehaufmännchen Deutschlands, das niemals aufgibt. Und mit dem Coachen ist Höller nicht allein.
Mehr Energie, ein neues Leben, höhere Umsätze, ein unbeschwertes Leben. Die Angebote der verschiedenen Coachings spielen vor allem mit den Hoffnungen der Menschen, denn wie eine ZDF-Reportage berichtet, ist das Coaching-Modell vor allem für jene interessant, die sich im Leben an einem Scheideweg befinden und etwas verändern, sich umorientieren wollen. Sprich Menschen, die unzufrieden mit sich sind.
Das Diktat der Neuerfindung
Das Spannende dabei ist wohl vor allem die Tatsache, dass uns der Zeitgeist heutzutage so eine Neuerfindung unseres Lebens praktisch vor diktiert und wir unser Leben am besten jedes Jahr aufs Neue umkrempeln sollen. Eine perfekte Spielwiese also für all jene, die diesbezüglich ein entsprechendes Produkt anzubieten haben.
Nichts ist statisch, alles ist in Bewegung. Von der Identität bis hin zum Business kann alles von heute auf morgen schon anders sein. Der Mensch: ein Spielball der Umstände einer schnelllebigen Zeit. Aus den Gegebenheiten will der Menschen natürlich so viel wie möglich herausholen. Finanziell, spirituell, in welcher Form auch immer.
Heutzutage gründen erfolgreiche Menschen – so wird einem vorgegaukelt – nämlich nicht mehr nur ein einziges Unternehmen und bleiben dabei, sondern am besten gründet man jedes Jahr ein neues Start-up, dass man dann für Millionen oder Milliarden verkauft. In diese Ideologie spielen die Coaching-Angebote natürlich hinein – weil man sich auf alles vorbereiten will. Und schlussendlich scheint fast jede*r ein Business aufbauen zu wollen, von Ich-AG bis Start-up. Da hilft natürlich jedweder Input, möchte man meinen.
Der Coaching-Boom aus psychologischer Sicht
Wichtig bei diesen Coachings sind vor allem die Massen, wie der Sozialpsychologe Dieter Frey erklärt. Diese tausenden von Menschen auf einem Haufen, kommen dabei in einer Form der Gemeinschaft daher, wobei jedem Einzelnen vermitteln wird, mit seinen oder ihrem Anliegen nicht allein zu sein.
Und wenn so viele andere am selben Coaching teilnehmen, dann muss ja schließlich etwas dran sein, an diesen Heilsversprechungen. „Massensuggestion“, fällt Frey ein Fazit, eine Art „Massen-Elektrisierung“ findet statt. Und die Branche boomt, denn es geht um Geld, um eine neue Identität, um komplexe Psychologie, ganz einfach auf den Punkt gebracht und ausgenutzt.
Frei von Wissenschaftlichkeit und sektenhaft
Dabei gibt es noch einen weiteren wichtigen Aspekt: Fast alle Coaches, egal, was sie einem auch beibringen wollen, haben in ihren vielen Unterschieden eines Gemeinsam: Ihre Aussagen entbehren (allzu oft) jedwedem wissenschaftlichen Fundament. Und weil der Begriff „Coach“ auch nicht rechtlich geschützt ist, wie zum Beispiel „Arzt“, „Therapeut*in“ oder auch „Installateur“ (im Sinne einer Zertifizierung bzw. Ausbildung), darf sich auch jede*r als Coach bezeichnen.
Zahlen zur Coaching-Branche sind dabei nur schwer zu bekommen. Doch laut dem ZDF gibt es so zwischen 30.000 bis 40.000 Coaches in Deutschland. Jahresumsatz: mehr als eine halbe Milliarde Euro. Oft werden die Menschen über Events oder Online Seminare gelockt und sollen dann teure Aufbaukurse buchen.
Informationsstellen, die eigentlich Aussteiger*innen aus Sekten beraten, sehen eine immer höhere Zahl von Betroffenen, die sich in dem Coaching-Angebot verliert. Und auch was die 10.000 Besuchenden des Höller-Events betrifft: Jede*r 5 bis jeder 3 Teilnehmer*in eines Seminars bei Höller bucht vertiefende Kurse – und diese kosten gutes Geld.
Der Coaching-Boom: ein Fazit
Die imposanten und vor allem oft kostenlosen Intro-Veranstaltungen vieler Coaches sind natürlich nur ein erster Schritt. Zur tatsächlichen „Erleuchtung“ (in welcher Forma auch immer, ob finanziell oder spirituell) sollte eine Reihe an Folge-Seminaren gebucht werden. Und das natürlich für sehr viel Geld. Oft sind das teils exorbitante und nicht einmal annähernd verhältnismäßig hohe Summen.
Viele der populäreren Coaching-Angebote erscheinen daher einfach nur noch unseriös. Und als potenzielle*r Kund*in sollte man sich wirklich genau darüber informieren und davon überzeugen, wie vertrauenswürdig die Coaches sind und ob man sein gutes Geld wirklich dahingehend investieren sollte. Reportagen unabhängiger Journalist*innen legend diesbezüglich immer öfter nahe, dass es sich bei vielen dieser Angebote schlichtweg um Betrug handelt.
Geschäftspraktiken am Rande der Legalität, aggressives Marketing, große Erwartungen, unrealistische Glücks- und Heilsversprechungen. Lügen, die dabei nicht einmal gut gemacht scheinen.
Die Sehnsucht der Coaching-Opfer ist dabei viel größer als der Realismus, so der Experte Dieter Frey. Bei diesen Coachings geht es hauptsächlich um Selbstoptimierung und eine daraus folgende Umsatzsteigerung. Es gilt, das Beste aus sich herauszuholen – wobei die Coaches vor allem an einem interessiert sind: Geld.
Zugegeben, Coachings (in welchem Bereich auch immer) sind immer eine spannende Option, und können eine echte Hilfe sein. Doch tun sich in der Coaching-Welt so einige Abgründe auf und man sollte wirklich mehr als zweimal hinsehen, bevor man darüber nachdenkt, bezahlte Hilfe von sogenannten Coaches entgegenzunehmen.
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