Wir leben in einer feel good society. Das bedeutet, dass negative Gefühle und Gedanken jedweder Art unerwünscht sind. Jemand der kritisch hinterfragt, wird als Miesmacher:in hingestellt. Ein Feedback soll gefälligst positiv ausfallen – die sogenannte Toxic Positivity. Die Menschen wollen nämlich glücklich sein, auch wenn sie Scheiße bauen. Dass sich diese happy-peppy-Doktrin jedoch negativ auf die Gesellschaft auswirken kann, ist eine eher unerwartete Erkenntnis.
Paradigmenwechsel in der Psychologie
Martin Seligman – Begründer der Positiven Psychologie – hatte einen Traum. Er wollte eine neue psychologische Sicht auf die Dinge werfen. Vor allem auf die menschliche Natur. Unerwartete Unterstützung bekam er hierbei von seiner Tochter.
Ein Konflikt mit dieser führte ihn zu einer Erkenntnis. Dieser „Einleuchtung“ folgend, wollte er die Psychologie wegführen von dem versteiften Blick auf die negativen Züge des Menschseins. Traumabewältigung, Neurosen, Psychosen usw. sind alles interessante Bereiche, die es zu erforschen gilt, doch wo bleibt der Blick nach vorne? Warum soll man sich immer auf die negativen Seiten des Menschseins fokussieren? Und nicht vielmehr auf die positiven Eigenschaften und den Menschen dabei helfen, ihr Potenzial vollständig zu entfalten. Das war sozusagen die Geburtsstunde (ca. 2000) der Positiven Psychologie.
Stay positive: Markterschließung für glückliche Menschen
Danach ging alles recht schnell, denn „in weniger als einem Jahrzehnt verzehnfachten sich Umfang und Einfluss der akademischen Forschung zu Glück und verwandten Themen wie subjektivem Wohlbefinden, Stärken und Tugenden, positiven Gefühlen, Authentizität, menschliches Wachstum, Optimismus und Resilienz.“1
Begriffe wie Optimismus, positives Denken und positive Gefühle waren plötzlich wissenschaftlich erforschbare Phänomene. Gesunde und erfolgreiche Menschen hatten nun auch ein „Anrecht“ auf psychologische Dienstleistungen. Nicht nur die Depressiven, Verzweifelten, Kranken und Armen.
Ging es bei Letzteren noch um ein Herausholen aus einem seelischen Elend, konnten nun auch Menschen, denen an und für sich nichts fehlte, Expertinnen und Experten zurate ziehen, um zu ihrem bestmöglichen Selbst zu gelangen. Ein:e Schelm:in, wer der Positiven Psychologie hier unterstellen will, den Psychologie-Markt dadurch auch für die Gesunden geöffnet zu haben.
Happyness
Heute ist klar, dass es nicht mehr ausreicht, seelische Störungen zu behandeln und den Leidenden Strategien zur Bewältigung des Alltags beizubringen. Denn Menschen haben heute nicht mehr nur das Bedürfnis glücklicher zu sein, wenn ihr Leben mies ist, sondern man hat auch dann Anrecht auf Glück, wenn eigentlich alles in Ordnung ist. Nicht mehr nur das Leid soll gelindert werden, sondern individuelle Potenziale sollen maximiert werden.
„Es geht mir gut“ ist auf einmal zu wenig. Es gilt: immer noch glücklicher zu sein und zu werden, als man schon ist. Somit ist auch das Glück etwas, das optimiert werden kann und muss. Aber vor allem ist es auch etwas geworden, das man messen und quantifizieren kann.
Die Vermessung des Glücks
Glück wird heute als ein objektiver Begriff verkauft, der sich naturwissenschaftlich untersuchen lässt. Doch genau das ist auch der Schlüssel dafür, um Glück in einer Ware verwandeln zu können. Glück ist daher kein Glück mehr, sondern eine Pflicht. Und wer unglücklich ist, der ist eben selber schuld – er könnte ja zu einem Glückscoach gehen.
Es scheint unnötig zu erwähnen, dass ein solcher Ansatz strukturelle, politische und ökonomische Unrechtmäßigkeiten unsichtbar macht. Die Suche und das Streben nach Glück sind somit kein Recht mehr. Heutzutage ist es sogar fast schon eine Pflicht, glücklich zu sein.
Die Glücksökonomie – soziale Ungleichheit macht glücklich
Doch nicht nur die Psychologie hat sich dem Glück verschrieben. Auch die Wirtschaft integriert den Faktor Glück in ihre Agenda. Mit dem erstaunlichen Ergebnis, dass der bis dato negative Zusammenhang zwischen Glück und Ungleichheit revidiert worden ist.
Denn Glücksökonomen behaupten nun (anhand von Studien und Analysen großer Datenmengen), dass eine Einkommensungleichheit und Kapitalkonzentration sich plötzlich positiv auf unser Glück auswirken sollen. Dieser Ansatz widerspricht radikal der Überzeugung, dass eine soziale Grundverteilung, Umverteilung und Gleichheit das Fundament von gesellschaftlichem Wohlstand sind.
Doch der Glücksökonomie zufolge ist soziale Ungleichheit vielmehr ein „Hoffnungsfaktor“, aufgrund dessen die Armen den Erfolg der Reichen als Vorboten der eigenen Chancen wahrnehmen. Die Armen sehen im Reichtum (in der ökonomischen Ungleichheit also) vielmehr „einen Anreiz, der ihnen Hoffnung macht und ihr Glücksniveau hebt, was wiederum die Motivation fördert, sich für den eigenen Erfolg einzusetzen.“, so Illouz und Cabanas. Klassenunterschieden wird so jedwede Argumentationsgrundlage entzogen. Denn größere Einkommensungleichheit ist sozusagen gleichgesetzt mit größerem Glück. WTF!
Glück macht egoistisch!
Dass das Phänomen Glück nicht nur positiv ist, zeigt eine andere Studie. Denn glückliche und übermäßig positive Personen neigen nämlich dazu, sich emotional zurückzuziehen und unter bestimmten Umständen wenig einfühlsam, sorgend und solidarisch gegenüber anderen zu sein. Forscher:innen haben nachgewiesen, dass ein Glücksgefühl zu größerem Egoismus bei der Verteilung von Ressourcen im Diktator-Spiel führt.
Im Gegensatz dazu zeigen sich melancholische Menschen als fair und gerecht. Eine positive Emotionalität stärkt zwar das subjektive Einfühlungsvermögen, schwächt gleichzeitig aber auch die Empathie anderen gegenüber. Und führt daher auch vermehrt zu Stereotypisierungen und Fehlurteilen bei der Erklärung des Verhaltens anderer. Wie man also sieht, ist Glück nicht alles im Leben. Vor allem dann nicht, wenn es zur Ware geworden ist.
1Edgar Cabanas und Eva Illouz (2019): Das Glücksdiktat und wie es unser Leben beherrscht, Seite 34
Titelbild © Shutterstock
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