Die „Incels“. Was sich vielleicht anhört wie ein neuer und lustiger Tiktok-Trend oder eine neue quotenträchtige Sitcom, bezeichnet eine Bewegung aus Frauenhassern. Diese gewinnt leider immer mehr an Bedeutung. Ein Einblick.
Was sind die Incels?
Sie bezeichnen sich selbst als „Incels“. Eine aus dem Englischen kommende Kurzform für den Begriff „involuntary celibates“. Die „Incels“, das sind die unfreiwillig im Zölibat lebenden Männer. Eine Gruppe schräger Weirdos, die keine „Frauen abbekommen“, bilden eine Community.
Hört sich erst einmal an wie der Stoff einer Sitcom. Der Nachfolger von Big Bang Theory vielleicht. Die Typen darin waren ja eigentlich auch totale Anti-Frauen-Magneten. Doch ist Vorsicht geboten. Die Frauenhasser der „Incels“ haben im Netz – in den vergangenen Jahren – immer mehr an Bedeutung gewonnen. Und ihr Tonfall wird zunehmend rauer und menschenverachtender. Die „Incels“, auch einige Attentäter sympathisierten mit dieser Gedankenwelt…
Im Namen der Liebe?
„Incels wollen geliebt werden und Liebe zurückgeben“, heißt es in einem Forum. Doch trotz dieses unbändigen Willens, diesem sehnsüchtigen Lechzen und dem größtmöglichen Effort sind die „Incels“ nicht in der Lage, eine Partnerin für eine liebevolle Beziehung zu finden. Was zunächst nach dem jammernden Tenor einer Gruppe aus bemitleidenswerten Losern klingt, ist ein komplexes Geflecht unreflektierter Emotionen.
Der Frust der „Incels“ über ihr unerfülltes Liebesleben richtet sich nämlich nicht nur gegen sich selbst. Ihr Hass bündelt und kanalisiert sich vor allem gegen Frauen. Paradoxerweise gerade gegen jene Menschen, die sie im Grunde ja so sehr begehren. Somit sind die Foren der „Incels“ ein Sammelsurium frauenverachtender Kommentare.
Women's definition of 'harassment' in online dating depends on the attractiveness of the man.
— Incels Wiki (@incelswiki) March 8, 2021
Es bleibt nicht nur bei Worten
Doch bei verbalen Kommentaren bleibt es nicht. Vor allem die Auswüchse bis zu beängstigenden Gewaltfantasien sind ein Phänomen, das die Alarmglocken auslösen sollte. Und die Foren selbst verstärken diesen Frust auch noch.
Anstatt unterstützend füreinander da zu sein und sich beizustehen, sind gegenseitige Demütigung und Ermunterung zum Suizid an der Tagesordnung. Eine unaufhaltbare Spirale der Negativität.
Attentäter solidarisierten mit den „Incels“
Einer der größten Idole der „Incels“: Elliott Rodger. Nein. Kein Baseballstar oder Football-honk. Der damals 22-jährige US-Amerikaner Elliot Rodger erschoss 2014 sechs Menschen und verletzt 14 weitere. Das war die Rache für sein unfreiwillig zölibatäres Leben.
Vor seinem Anschlag nahm er ein Video auf, das bis heute in der Welt der „Incels“ kursiert und geteilt wird. Seine Botschaft: Weil sich die Mädchen nie zu ihm hingezogen fühlten, wollte er sie einfach auslöschen. Ganz im Sinne von „wenn ich Euch nicht haben kann, dann zerstöre ich Euch“. Bis heute hallt dieser Satz in den „Incel“-Foren nach wie ein ewiges Echo.
Doch nicht nur Rodgers war ein Incel-Vorreiter. Auch der Neonazi Stephan B., der am 9. Oktober 2019 ein Attentat auf eine Synagoge und einen Döner-Imbiss in Halle verübt hat, stand der „Incel“-Ideologie nahe.
Dieser Zusammenhang wird nahegelegt, durch das von ihm selbst während der Tat live gestreamte Video, als auch sein „Manifest“. Zudem hörte B. während der Tat ein Lied, das einem anderen Idol der „Incel“-Szene gewidmet ist. Dem Kanadier Alek Minassian.
Dieser raste 2018 mit einem Auto in eine Menschenmenge. Dabei tötete er zehn Menschen. Vor seiner Tat postete dieser noch: „The Incel Rebellion has begun.“ Sind jetzt alle unfreiwillig zölibatären Männer eine Gefahr für die Gesellschaft?
Nicht alle Incels sind Amokläufer und Gewalttäter
Klar werden nicht alle Männer, die alleine leben und keine Partnerin abbekommen, automatisch zu Serienmördern oder Amokläufern. Natürlich gibt es unter den „Incels“ auch Foren, die nicht so extrem sind. Da gibt es etwa die Aktivisten der Männerrechtsbewegung „Men’s Rights Activists“.
Diese sehen Männer in verschiedenen sozialen und rechtlichen Bereichen benachteiligt. Etwa beim Zuspruch des Sorgerechts oder bei der Schulbildung. Sie setzen sich ein, daran etwas zu ändern und machen sich für Änderungen in Politik und Gesetzgebungen stark. Also ganz legal. Eine normale Männerrechtsbewegung.
Auch die Gruppierung der „Men Going Their Own Way“ sieht Männer als Benachteiligte in der Gesellschaft an. Im Gegensatz zu den „Men’s Rights Activists“ sehen diese es jedoch als aussichtslos an, das System zu ändern. Sie sind politisch nicht aktiv und ihr Credo lautet simpel, einfach keine Beziehungen mit Frauen einzugehen.
Nächster Schritt: sich dem gesellschaftlichen Leben einfach zu entziehen. Mit dem Ziel, das Leben eines einsamen Wolfes zu leben. Dieses Männerbild ist uns allen noch aus den Actionfilmen der 70er, 80er und 90er Jahre vertraut. Der Lonesome Wolf.
„Incels“ – dem Zeitgeist entsprechen?
Anstatt sich (beleidigt – Annahme der Redaktion) von der Gesellschaft abzuwenden, reagieren die „Incels“ jedoch anders auf ihre Unzufriedenheit. Ihr Frust wird zu Hass. Die wohl einfachste Lösung. Doch mit ihrer Ideologie des Hasses treffen sie da wohl einen Nerv der Zeit. Studien belegen, dass die „Incels“ in den vergangenen Jahren zunehmend an Bedeutung gewinnen.
Auf der Diskussionsplattform „Reddit“ finden diese Gleichgesinnten des Hasses oft zusammen. Diskutiert wird dort in thematischen Boards, sogenannten „Subreddits“. In einer Studie wurden 22 Millionen dieser „Reddit“-Posts ausgewertet. Es wurde u.a. analysiert, wie populär die einzelnen Strömungen der Manosphere in den vergangenen Jahren waren.
Während die „Incels“ und „Men Going Their Own Way“ zulegen konnten, scheinen die „Men’s Right Activists“ immer mehr an Einfluss zu verlieren. Somit zeichnet sich ein trauriges Bild. Anstatt sich politisch zu engagieren, flüchten sich diese Männer lieber in den Hass auf Frauen oder wenden sich enttäuscht von der Gesellschaft ab.
„Incels“ auf dem Vormarsch
Demnach sind die als „nicht radikal“ geltenden Formationen der „Incels“ mitnichten in der Mehrheit. Was ja oft als Argument gebracht wird, um etwaiges Besorgnis zu beschwichtigen. Davon berichtet auch die Autorin Veronika Kracher in ihrem 2020 erschienenen Buch über die „Incel“-Szene.
Das Fazit: Die „Incels“ gewinnen seit Jahren an Bedeutung. In den USA, so Kracher, gelten die „Incels“ mittlerweile sogar als Gefahr für die innere Sicherheit. Insgesamt seien mehr als 50 Menschen in den USA und Kanada durch „Incel“-Attentate ums Leben gekommen.
Wissenschaftliche Daten zeigen, dass die „Incels“ gegenüber anderen frauenfeindlichen Strömungen im Netz in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Vor allem ihr Tonfall ist toxischer geworden. Auch das haben Wissenschaftler untersucht und mithilfe eines sogenannten Toxizitäts-Index auch ermittelt. Sprich, einem Maßstab dafür, wie „unhöflich, respektlos oder unangemessen“ ein Kommentar ist.
Das Ergebnis dieser Forschung: Bei den „Men Going Their Own Way“ wie bei den „Incels“ ist der Diskurs auf „Reddit“ immer rauer und toxischer geworden.
Radikalisierung der Frauenhasser
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch die zweite Untersuchung. Darin wurde der Anteil frauenfeindlicher und abwertender Wörter ermittelt. Auch hier wird klar, dass der raue Tonfall und insbesondere die verbalen Aggressionen gegenüber Frauen zugenommen haben. Auch da lässt sich klar ein Trend bestimmen. Im Vergleich zum Mittelwert der Jahre 2010 und 2011 ist der Anteil dieser Hass-Wörter teilweise sechsmal so hoch.
„Wir sehen Anzeichen für eine Radikalisierung“, sagt auch der an der wissenschaftlichen Erhebung beteiligte Computer- und Kommunikationswissenschaftler Manoel Horta Ribeiro gegenüber dem „Spiegel“. Doch sind diese abwertenden Kommentare nur der Grundton des Frauenhasses.
Wie die Böll-Stiftung beschreibt, setzen antifeministische Männerrechtsbewegungen vor allem auf „Hate Speech“. Sprich: das Angreifen, Abwerten, das Aufrufen zu Hass und Gewalt. Es beginnt mit Beleidigungen in Foren und geht über zu allgemeinen Gewaltfantasien gegen Feministinnen. Oft mündet es in „Steckbriefen“ oder Fotos gezielter Verunglimpfung von Einzelpersonen. Daraufhin verstärkt es sich hin zu gezielten Vergewaltigungs- und Morddrohungen. Und endet?
Frauenhass – noch kein Massenphänomen
Als „Massenphänomen“ kann diese Strömung angesichts der Gesamtzahlen in den Foren zwar noch nicht bezeichnet werden. Doch der stetige Zulauf gibt zu bedenken. Das sieht auch der Wissenschaftler Ribeiro. Dieser sagte gegenüber Spiegel, dass es sich bei diesen Communitys zwar noch um Randgruppen handle, man deren Potenzial aber dennoch nicht unterschätzen sollte.
Es ist nachvollziehbar, dass misogyne und nihilistische Debatten einen Anteil daran haben, dass Menschen zu Massenmördern werden. Doch so befremdlich die Ideologie der „Incels“ auch sein mag, gilt immer noch: Nicht jeder „Incel“ ist ein potenzieller Mörder oder Gewalttäter.
Frauenhass nicht nur ein Phänomen der „Incels“
Natürlich sollte man bedenken, dass Frauenhass nicht ausschließlich ein Spezifikum der „Incels“ ist. Das Phänomen der „Incels“ u.ä. entsteht nicht einfach so. Es ist immer auch Ergebnis und Resultat eines Systems. Einer Gesellschaft, in der patriarchale Strukturen, Frauenfeindlichkeit und Gewalt gegen Frauen fest verankert sind und unbewusst wiederholt werden.
Die „Weirdos“ der „Incels“ in eine Ecke zu stellen und als allein ständiges Problem auszurufen wäre zu kurzsichtig. Frauenhass ist vielmehr ein Thema, dass sich durch die ganze Gesellschaft zieht und nicht erst bei den „Incels“ beginnt, sondern vielmehr schon beim unscheinbaren Typen nebenan.
Titelbild Credits: Shutterstock
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