Hip-Hop Kultur aus Heidelberg wird nun auf die Liste des immateriellen Weltkulturerbes der UNESCO aufgenommen, nachdem Hip-Hop-Akteur*innen und Musikexpert*innen aus Heidelberg den Antrag im vergangenen Jahr gestellt hatten. Die deutsche Kultusministerkonferenz hat dies inzwischen offiziell bestätigt.
Hip-Hop und die Anfangszeiten in Heidelberg
Heidelberg gilt als Wiege des deutschen Hip-Hops, da bereits Ende der 80er-Jahre bekannte Künstler wie Torch, Gee One oder DJ Mike MD dort auftraten und maßgeblich zur Entwicklung von Hip-Hop in Deutschland beitrugen. Damals waren das noch die ersten Schritte einer Kultur, die später durch die Vermarktung der Unterhaltungsindustrie zu einem millionenschweren Geschäft anwachsen sollte. Doch geht es hier nicht um den kommerziellen Teil der Kultur, der heute in der Populärkultur in aller Munde ist, nein, hier geht es um die Hip-Hop-Kultur im Gesamten, mit all ihren politischen und sozialen Facetten.
Das ideale Beispiel für die Heidelberger Hip-Hop-Kultur der Anfangsjahre ist die Gruppe „Advanced Chemistry“, bestehend aus den Hip-Hoppern der ersten Stunde: Torch, Toni-L, Linguist, Gee-One & DJ Mike MD. Manche von ihnen sind heute auch noch im Auftrag der Kultur aktiv. Einer ihrer bekanntesten Songs war die hochpolitische Hip-Hop-Hymne „Fremd im eigenen Land“.
Ein Titel, der später auf eine perverse Art und Weise von der politischen Rechten umgedeutet und als Propagandaslogan missbraucht wurde. Die musikalische Kultursendung „Deutschlandfunk Kultur“ hat, mit Frederik Hahn aka Torch, über die Entwicklung des Hip-Hops hin zum UNESCO-Weltkulturerbe und die Anfangszeiten in Heidelberg gesprochen.
Advanced Chemistry 1995 mit „Fremd im eigenen Land“
„Ich habe einen Grünen mit ’nem goldenen Adler drauf. Dies bedingt, dass ich mir auch die Haare rauf. Jetzt mal ohne Spaß. Da gab ich zuhauf. Obwohl ich langsam Autofahrer und niemals sauf.
All das Gerede von europäischem Zusammenschluss / fahr ich zur Grenze mit dem Zug oder einem Bus. Frage ich mich, warum ich der Einzige bin, der sich ausweisen muss, Identität beweisen muss?
Ist es so ungewöhnlich, wenn ein Afrodeutsche seine Sprache spricht / und nicht so blass ist im Gesicht?
Das Problem sind die Ideen im System. / Ein echter Deutscher muss so richtig deutsch aussehen. Blaue Augen, blondes Haar, keine Gefahr. Gab es da nicht schon mal so war?“
Frederik Hahn aka Torch im Interview mit Deutschlandfunk Kultur
Wir haben an dieser Stelle das Interview von Frederik Hahn mit Deutschlandfunk Kultur verschriftlicht. Denn wer könnte die Causa besser in Worte fassen als einer der Urväter von deutschsprachigem Hip-Hop?
DfK: Herr Hahn, eine große Ehre für Heidelberg. Wie fühlt sich das jetzt an?
Frederik Hahn: Sehr gut fühlt sich das an, dass man auch jetzt von offizieller Stelle die Anerkennung ein Stück weit bekommt für die Kultur, die man sein ganzes Leben gelebt hat. Und die damit verbundene Bildungsvermittlung, die man eigentlich seit den Neunzigern auf den Schallplatten, den Workshops und auf den Lehraufträgen, die wir machen, vermittelt.
DfK: In Sachen Hip-Hop. Wenn man jetzt noch mal zurückschaut, hat man in der Anfangszeit ja oft von Stuttgart geredet. Heute reden die Leute von Berlin, Hamburg und Frankfurt. Ist das jetzt auch so ein bisschen späte Genugtuung für Heidelberg?
Frederik Hahn: Ja, genau! Also bis jetzt war Hip-Hop oft in der Unterhaltungsbranche verortet. Und das war natürlich Fluch und Segen, denn es ist da, wo man viele Fans bekommt und viel Geld verdient. Aber damit ist natürlich nicht die gesamte Kultur erklärt, sondern man hat dann meistens nur den Teil der Kultur genommen, den man vermarkten und verwerten kann.
Und das gibt natürlich ein total verzerrtes Bild bis zu dem, was wir heute kennen. Also, dass man eigentlich nur ein Zerrbild kennt. Und diese komplett gelebte Kultur, die findet man dann fast nirgendwo mehr. Und da steht halt Heidelberg definitiv so als kleines gallisches Dorf noch da.
Bedeutung der „Knowledge“ in der Hip-Hop-Kultur
DfK: Was heißt denn das „komplette gelebte Kultur“ heute in Heidelberg?
Frederik Hahn: Ein Teil davon sind zum Beispiel die 360 Grad Jams, die wir organisieren. Das sind Jams, an denen alle vier Elemente der Kultur seit jeher vertreten sind und dadurch die Kultur in ihrer Gesamtheit quasi zelebriert wird. Diese verschiedenen Elemente, die sind ja ein bisschen in Vergessenheit geraten. Und es ist nicht nur Rap, sondern auch DJing, Breaking oder Graffiti. Aber eben auch die Knowledge.
Und diese Knowledge ist ein Teil, der bei uns sehr stark ausgeprägt ist. Schon seit unserer ersten Veröffentlichung 1992 mit „Fremd im eigenen Land“. Und jetzt mache ich mittlerweile Lehraufträge an der Universität in Heidelberg und der Kunstakademie in Karlsruhe. Uns ist einfach wichtig, dass die Kulturträger selbst dieses Wissen vermitteln. Und nicht nur Menschen über Hip-Hop reden, sondern dass auch Menschen, die Hip-Hop selbst leben, als Vertreter der Kultur das quasi vermitteln.
Conscious Rap in Deutschland
DfK: „Fremd im eigenen Land“ haben sie schon genannt. Wie wichtig war denn das damals für Sie, sich auch der eigenen Identität zu vergewissern und das eben musikalisch auszudrücken?
Frederik Hahn: Die eine Komponente ist, was es für mich persönlich bedeutet. Und die andere Komponente ist ja, dass mit „Fremd im eigenen Land“ die Geburt von Conscious Rap in Deutschland begonnen wurde. Das war der erste Conscious Rap in Deutschland. Später haben sich noch sehr viele andere Künstler darauf berufen. Wie Max Herre oder Curse und solche Sachen. Das ist ja so eine Linie. Aber es ist nicht die einzige Linie.
Was viele heute auch nicht wissen: mir wird oft nachsagt, dass ich deutschen Rap erfunden habe. Das stimmt natürlich nicht. Ich habe sogar zwei Mixtapes gemacht, wo ich Sachen zusammengesucht habe von Leuten, die vor mir gerappt haben. Ich versuchte quasi wissenschaftlich zu beweisen, dass ich nicht der erste deutsche Rapper bin. (lacht)
Aber ich bin der Erste, der auf Deutsch gefreestyled hat. Das heißt, dass Freestyle Rappen in Deutsch war, meine Innovation und eine ganze Schule von MCs wie MC Rene oder Blumentopf, Samy Deluxe sind aus dieser Linie herausgewachsen. Und das ist eine Praxis, die bis heute landesweit praktiziert wird.
Hip-Hop Ende der 80er & die Szene
DfK: Was ich mich gefragt habe, wenn Sie jetzt noch mal zurückschauen auf die Anfänge. Also Ende der 80er oder so. Warum ist es eigentlich Hip-Hop geworden und nicht eine andere Musik?
Frederik Hahn: Das ist der Zeitgeist. Ich kann mir vorstellen, wenn man zurück in die Zeit reist, Congo Square in New Orleans. [Anmerk. d. R.: New Orleans Treme & Congo Square sind von zentraler Bedeutung für die Entstehung und Entwicklung des Jazz, da sie als historische Geburtsstätten des Genres und wichtige Zentren der afroamerikanischen Musik und Kultur in New Orleans gelten].
Dass das, was damals passiert ist, wahrscheinlich genau das Gleiche war, nur dass man es da Jazz genannt hat. Und dann später hat man es Hip-Hop genannt. Aber genau solche Fragen sind eben die Fragen, die wir erforschen. Deswegen mache ich ja diese Lehraufträge, deswegen holt man uns an die Unis und gibt uns Lehraufträge und Forschungsaufträge, damit wir genau diese Fragen beantworten oder erforschen können.
„Die wachsen ja jetzt mit deutschem Hip-Hop auf.“
DfK: Was hatten Sie denn damals so an Szene? Oftmals sind das ja Geschichten, die im Umfeld von Plattenläden oder Clubs entstehen. Waren da Strukturen, die Sie damals schon hatten, oder haben Sie das selbst alles aufgebaut in Heidelberg?
Frederik Hahn: Das Besondere ist, weil wir eben aus der Provinz sind, dass da eigentlich so gut wie nichts an Strukturen, die wir nutzen konnten, da war. Das war eben der Punkt, dass man kreativ werden musste. Und das ist, glaube ich, was Leute nicht ganz nachvollziehen können. Die wachsen ja jetzt mit deutschem Hip-Hop auf. Das heißt, alles ist da.
Und zu unserem Zeitpunkt war es eben etwas, was man noch entwickeln musste. Man musste sich das ausdenken. Weder wusste man, wie man eine Schallplatte presst, noch hatte man ein Studio, noch hatte man ein Publikum und das musste man sich alles erst mal erdenken. Und so geht es ja weiter. Und so müssen wir jetzt auch zum Beispiel die Museen erdenken und die Lehraufträge. Man bleibt der Pionier dieser Kultur, die dieses Jahr 50 Jahre alt wird.
Das gesamte Interview könnt ihr hier bei Deutschlandfunk Kultur nachhören!
Man kann nur hoffen, dass die offizielle Aufwertung des Hip-Hops aus Heidelberg als UNESCO-Weltkulturerbe dazu beiträgt, dass die Kultur im Allgemeinen als eine der bedeutendsten Subkultur der letzten 50 Jahre weiterhin Anerkennung findet. Vor allem, dass die Werte rund um das Element „Knowledge“, die vom kommerziellen Markt nur allzu gerne vernachlässigt werden, wieder ihren nötigen Stellenwert erhalten.
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