Männerwelten – von der Doppelmoral, reiner Symptombekämpfung und wirklichen Veränderungen
„Es ist nicht alles Gold, was glänzt!“ – das trifft auch auf Joko und Klaas zu. Dennoch löste „Männerwelten“ eine Welle der Entrüstung aus, die zu wichtigen und doch längst überfälligen Debatten führte. Über Doppelmoral, sexistische Schandtaten, Lernprozesse und den Weg zu echter Veränderung.
2020 what a fucking year. Wir kehren langsam in den „normalen“ Alltag zurück. It seems. Menschen sprechen davon, dass es nie mehr so sein wird wie davor. Keine Falschaussage, wenn man die aktuellen Medien verfolgt, denn es wird peu á peu denaturierter denn je. Man sollte meinen, in den letzten zwanzig Jahren hat sich auch die Welt im Kampf für Gleichberechtigung wirklich weiterentwickelt – Fehlanzeige.
Doch dann lässt man zwei bekannte männliche Komödianten einen Schockbeitrag über Missbrauchsfälle produzieren, profiliert sich länderübergreifend und rettet damit vermeintlich die Frauenwelt – kommt jetzt die Veränderung von allein? Nein! Zudem hat der Beitrag einen bitteren Beigeschmack: Die Helden von heute tragen eine blamable Tätergeschichte vor laufender Kamera mit sich. Die Message sollte dennoch unbedingt weiter hochgehalten werden!
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Statistiken mögen besagen, wir Frauen wären weit gekommen im 21. Jahrhundert, doch betrachtet man Werbungen wie jene von PETA mit ihrer famosen „i’d rather go naked than fur“-Kampagne, die erst dieses Jahr, nach 30 Jahren Exhibitionismus Geschichte, ein Ende gefunden hat, steht eines fest – Sexismus ist präsenter denn je zuvor. Instrumenteller Missbrauch von Geschlechtern findet nach wie vor statt.
Die sozialen Medien und eine wünschenswerte Freiheit
Zu unterscheiden hiervon ist eindeutig der private Umgang mit Körpern und dessen Darstellungen in diversen Formen. In Hinblick auf soziale Medien und Accounts diverser UserInnen vergessen viele – vorwiegend Männer -, dass der Gebrauch von Körpern für Fotografie im Sinne der Ästhetik keine Einladung zu sexistischen Äußerungen oder zur Kontaktaufnahme darstellt. Umdenken erforderlich!
Eine Frau mit schönen Fotos auf ihrem Instagram-Account ist kein Schnitzel in einem Werbekatalog für Bestpreis-Produkte, das man mit einer Instagram-Nachricht 50% billiger bekommt.
Auch das wäre ein wichtiger Schritt zur Gleichberechtigung. Männer mit halbnackten Fotos werden grundlegend anders behandelt als Frauen mit ähnlich unbekleideten Darstellungen ihrer selbst. So unterscheidet sich die Freiheit von Frauen zu jener von Männern auch hier. Why? Kann Mann sich wirklich nicht zurückhalten, wenn mal der Ansatz eines Nippel auf dem Foto zu sehen ist? So unbeherrscht, wie manche Männer sich zeigen, frage ich mich als männlicher Teil dieses Artikels dann doch, ob ich nicht vielleicht an massivem Testosteronmangel leide oder etwa vollkommen verweichlicht bin. Aber Nein, ganz im Gegenteil – denn es kann auch die Ästhetik und das Schöne genossen werden, ohne herabwürdigende und sexistische Äußerungen zu tätigen. Respekt – das Wort scheint vielen fremd zu sein!
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Die brutale Realität – weit entfernt von einem gesunden Umgang
Nahezu drei Viertel der Frauen wurden im Erwachsenenalter schon mindestens einmal sexuell belästigt. In Form von Übergriffen, sexistischen Äußerungen oder – was ganz trendy zu sein scheint – durch das Zusenden von sogenannten ungefragten „dickpics“ (=Foto eines Geschlechtteils, meistens Penis). Jede dritte Frau in Österreich hat laut einer Studie des Österreichischen Instituts Familienforschung (ÖIF) sexuelle Gewalt erfahren und davon wiederum waren zwei Drittel sehr schwerer sexueller Gewalt ausgesetzt.
Wer kennt nicht das obligatorische Pfeifen beim Vorbeschreiten einer Baustelle und den Grabscher in Clubs. Auch dafür gibt es männliche Erklärungen, wie: „dann ziags Rockerl weiter runter“ oder „naja wenn du’s drauf anlegst“. Während die Anforderungen für Frauen ins Lächerliche hoch schwinden, scheint es für Männer unausgeglichen zu sinken. Den Satz „be a lady in the streets and a freak in the sheets“ sagt so ziemlich alles aus, ist die allgegenwärtige Message an Frauen und gesellschaftlich höchst konform. Wir leben quasi die Doppelmoral.
Be a Lady They Said from Paul McLean on Vimeo.
Das World Wide Web macht es noch leichter
Durch die schier endlose Vernetzung des Internets, unterstützt von diversen Datingplattformen, scheint es keine Grenzen mehr für den Äther der sexistischen Äußerungen zu geben. Der Raum für übergriffiges Verhalten hat sich beinahe ins Unendliche potenziert und Männer verschicken durch den Schutz der partiellen Anonymität an zahlreiche Frauen diverse – okay, sind wir ehrlich, respektlose und vollkommen schambefreite – Anmachversuche.
„Bin so horny, würde gerne meine Latte für dich abwichsen“ – random Dude aus dem Nichts und viele Nachrichten dieser Art. Warum schreibt Frau nicht solche Nachrichten? Ist das etwa biologisch oder doch nur Sozialisierung? Wir tippen auf Letzteres. Und genau hier sieht man, wie weit wir 2020 sind – nämlich noch ziemlich weit am Anfang. Mit solch scheinbar harmlosen Geschichten beginnt es. Denn das Bild der Frau ist auch in der aktuell ach so modernen Gesellschaft immer noch ein „niederes“, was in vielen Fällen leider dann zu echten und nicht mehr nur digitalen Übergriffen führt.
Die Doppelmoral des Fernsehduos
Auf solche aktuellen gesellschaftlichen Missstände haben vor knapp einer Woche Joko und Klaas, zwei bekannte TV Moderatoren, aufmerksam gemacht. Mittels eines 15-minütigen Beitrages berichteten ausschließlich weibliche Personen relativ unverblümt von eigenen Missbrauchsfällen. Das einzig Widersprüchliche dabei ist, dass die eben genannten Moderatoren vor exakt 8 Jahren in ihrer eigenen Sendung für eine Challenge und vor laufender Kamera einer Frau ungefragt auf die Brüste gegrabscht haben. Das lässt sich höchstwahrscheinlich nur dadurch rechtfertigen, dass damals sexuelle Belästigung zum Abendprogramm zählte. #Hypocrisy at its finest. Aber gestehen wir ihnen ein, dass sie es mittlerweile besser wissen – hoffentlich.
Somit war die ganze 15 Minuten-Inszenierung eine doppelmoralische Aktion. In Zukunft sollten sich Frauen nicht von Männern in Thema weiblicher sexueller Belästigung vertreten (!) lassen – dabei ist aber die Mitwirkung derselben nicht ausgeschlossen oder auch eine Hilfeleistung bei Überschreiten diverser Grenzen. Selbst ist die Frau und auch das muss vom Mann einmal so akzeptiert werden.
Männer müssen Frauen nicht vertreten!
Denn der Mann hat seine Rolle in einem ganz anderen Bereich – das Erlernen von Respekt. Und jene, die das schon beherrschen, sollten lernen, ihre Geschlechtsgenossen vollkommen unverblümt darauf hinzuweisen, dass dieses Verhalten nicht normal ist. Aktuell scheint ja die Normalität eine ganz andere zu sein, sehr weit entfernt von echter Gleichberechtigung. Wenn manche Männer nicht mal verstehen wollen, was das Wort „Nein“ bedeutet, oder dieses einfach übergehen, weil es ja von einer Frau kam und scheinbar nicht ernstzunehmen ist, dann zeigt sich deutlich, welche Rolle und Position die Frau in der Gesellschaft hat.
Und nein, Frauen sind vom Lernprozess nicht ausgeschlossen, denn auch der Mann darf sich emanzipieren, was von Seiten der Frauen auch zugelassen werden muss. Doch was ist eine männliche Emanzipation? „Eine Entlassung von Söhnen aus der Herrschaft des Vaters“ (aus dem lat. „emancipatio“) und somit ein Verlassen des unglaublich männlichen Rollenbildes eines emotionslosen, harten, kriegerischen Mannes. Emotionalität und Gefühle dürfen aber sein – und vielleicht ist es auch das, was letztlich einen modernen Mann ausmacht. Ein gesunder Zugang zu sich selbst und seinen Gefühlen, woraus automatisch auch häufig ein gesunder und respektvoller Umgang mit Frauen resultiert – tada!
Was zudem nicht vergessen werden darf: Auch Frauen erziehen die Männer von morgen – you have the power!
Nichts desto trotz muss man auch die positiven Auswirkungen in Betracht ziehen, sofern man das so nennen kann. Aus den jüngsten Belästigungsvorkommnissen von Weinstein, Bill Cosby und CO, den sexistischen und frauenfeindlichen Ansagen von Trump, resultierten einige Bewegungen, die nichts auslassen. Wir haben das 21. Jahrhundert und die Geschlechterrollen klaffen noch kilometerweit auseinander. An dieser Stelle benötigen wir keine weiteren ‚fake‘ leading male roles, um etwas zu verändern. Es braucht eine Gesellschaft mit einem kollektiven Bewusstsein, die geschlechterunabhängig eine klare Meinung vertritt.
Es braucht ganz klar die Debatte um Veränderung. Es braucht dann nach den Worten und einem entstandenen Bewusstsein auch wirklich die Veränderung. Es braucht Männer, die ihren Geschlechtsgenossen zeigen, dass eine andere Form des Umganges mit Frauen nicht nur wünschenswert, sondern unerlässlich ist – und in für viele Männer unerklärlicher Weise auch zu mehr Erfolg bei Frauen führt, seems like magic! Es braucht Männer, die nicht aus Vorsicht, sondern aus Selbstverständlichkeit so agieren. Es braucht auch Männer, die nicht wegschauen – egal ob bei Freunden oder Fremden.
Und es braucht Frauen, die immer wieder öffentlich ansprechen, wie es um die Realität steht, welchen Formen der Belästigung sie ausgesetzt sind und was sie sich erwarten. Es braucht Frauen, die ihre Stärke zeigen und sie nicht aus Angst vor Stigmatisierung verstecken – oder gar aus Angst vor männlicher Ablehnung. Es braucht Frauen, die nicht andere Frauen dafür kritisieren, dass sie das Verhalten von Männern an den Pranger stellen. Aber vor allem braucht es ein anderes Verständnis von Geschlechtern. It’s not about money, it is about respect. Die Debatte solte sich nicht nur um Gehälter drehen, denn das ist auch nur ein Symptom der Ungleichberechtigung. Wenn Frauen endlich respektiert werden, dann resultiert das womöglich auch in einem gleichen und fairen Gehalt.
Titelbild Credits: Shutterstock
Beitrag von Viktoria Pontasch und Fabian Petschnig
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