Bereits in ihrer Kindheit merkte Sophia*, dass sie kein Kind wie jedes andere war. Obwohl psychische und physische Krankheiten ihren Alltag erschwerten, konnten Ärzte und Psychotherapeutinnen keine eindeutige Diagnose stellen. Wie Sophia suchen viele Menschen nach den Ursachen ihrer Leiden – vielleicht liegen sie auch bei dir an einer Form von Hochsensibilität?
Die Vermutung lag nahe, dass es sich um eine Depression handeln könne, jedoch fand die Studentin schnell heraus, dass ihre Symptome viel mehr Merkmale ihres Wesens sind: Sie ist hochsensibel.
Hochsensibilität oder auch HSP (Highly Sensitive Person) bezeichnet ein Persönlichkeitsmerkmal, welches laut Experten bei etwa 15-20 % der Bevölkerung auftritt. Hochsensitive Menschen verfügen über eine stärkere Wahrnehmung gegenüber Reizen jeder Art. Dies kann sich einerseits positiv äußern – wie beispielsweise durch Kreativität, eine gute Intuition und hohe Leistungsfähigkeit – allerdings für Betroffene auch zur Belastung werden.
Menschenmassen, Lärm, Stress und körperliche Schmerzen nehmen HSP stärker wahr. Nicht selten sind Depressionen, Burn-Out und andere psychische Erkrankungen die Folge.
„Im Kindergarten ertrug ich das Geschrei der anderen nicht, reagierte sehr betroffen auf Maßregelungen der Pädagoginnen und zog mich lieber alleine zurück, als an Gruppenspielen teilzunehmen. Meistens wollte ich gar nicht hin und entwickelte körperliche Symptome, wie Übelkeit und Bauchschmerzen. Dies setzte sich in der Volksschule fort, weswegen ich mit sieben Jahren aufs Land zog – mit der Hoffnung meiner Eltern, die permanente Kränklichkeit würde sich legen.“
Allerdings war das Gegenteil der Fall. Krankheiten wurden ihr dauernder Begleiter, Arztbesuche immer häufiger und bald entstanden auch gröbere soziale Schwierigkeiten mit MitschülerInnen und sogar der Klassenlehrerin.
„Ich war zuvor schon eine verträumte Persönlichkeit, aber irgendwann grenzte sich mein Innenleben stark von der Außenwelt ab. Andere Kinder verstanden mich nicht, so war mein Gefühl. Malen, musizieren und alles Spirituelle halfen mir dabei, das Leben auf der Erde erträglicher zu machen.“
Die ständigen Konflikte mit sich selbst und ihrem Umfeld hörten allerdings nicht im Kindesalter auf, sondern zogen sich wie ein roter Faden durch Sophias junges Leben. In der Pubertät – wo typischerweise gegen alles und jeden rebelliert wird – entwickelte die Studentin depressive Verstimmungen und kapselte sich ab.
„Ich saß lieber zwischen PensionistInnen als lärmenden Gleichaltrigen. Während KlassenkollegInnen abends durch das Wiener Nachtleben zogen, erholte ich mich vom Schultag. Wenn ich es doch einmal wagte, ein Glas Alkohol zu trinken, musste ich mich drei Tage lang davon erholen.“
Eine ständige Kosten-Nutzen-Analyse. Bald fiel ihr jedoch auf, dass sie in kreativen bzw. musischen Kreisen eher Gleichgesinnte fand, weswegen sich soziale Schwierigkeiten schnell legten und folglich auch die Depression & Co.
„Dennoch war der Schulabschluss die größte Erlösung in meinem Leben, denn ich war zwar eine gute Schülerin, aber nicht dafür gemacht, 40 Stunden pro Woche mit anderen Teenagern zu verbringen.“
Im Studium testete Sophia sämtliche Grenzen, vor allem ihre eigenen. „Ich wusste nicht, wie weit ich gehen konnte und sollte. Ich ging hemmungslos allem nach, was mir in den Sinn kam. Ich konnte meine Interessen kaum eingrenzen und fühlte mich regelrecht reizüberflutet.“
Ihre körperliche Grenze erreichte sie dann allerdings schon Anfang 20: Der erste Bandscheibenvorfall. Für Ärzte unerklärlich, da Sophia nie übergewichtig war und auch Sport betrieb. Erst später erkannte sie den Zusammenhang zwischen Psyche und Rückenbeschwerden. Bald schlichen sich wieder depressive Phasen ein, die mit den Jahren immer stärker wurden. Im Gegenzug allerdings auch Hochphasen, weswegen sie von nun an beide Extreme lebte.
„Je höher ich stieg, desto tiefer war der Fall. Psychotherapeutinnen und Ärzte waren ratlos. „Irgendwas im bipolaren Spektrum“, hieß es dann einmal nicht besonders überzeugend. Ich konnte meine gesamte Energie bündeln, nächtelang herumirren, in sozialen Kontakten jede Hemmung verlieren und anschließend mehrere Tage abtauchen und das Gefühl haben, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Für meine Mitmenschen natürlich absolut unverständlich, denn es ging mir ja „unlängst so gut“.“
High Sensation Seeker – der Drang nach Aktivität
Das Buch Wenn Frauen zu viel spüren von Sylvia Harke öffnete Sophia die Augen. Die deutsche Psychologin beschrieb dieses Phänomen aus einer anderen Perspektive. Hochsensible Menschen sind klassischerweise introvertierte und schüchterne Personen.
„Ich hätte mich aufgrund meines großen Bedürfnisses nach Rückzug zwar immer als introvertiert bezeichnet – eine „Rampensau“ war ich auch nie – allerdings erkannte ich mich in den anderen Merkmalen nicht hundertprozentig wieder.“
Das Kapitel über „High Sensation Seeker“ (HSS) beantwortete allerdings sämtliche Fragen, die Sophia seit ihrer Kindheit quälten. Der Begriff beschreibt eine Personengruppe, die etwa ein Drittel aller Hochsensitiven ausmacht. HSS-Personen benötigen intensive Erfahrungen und sind ständig auf der Suche nach neuen Lebensaufgaben. Langeweile und Routineaufgaben sind für diese Menschen eine Qual und lösen ein Gefühl der Sinnlosigkeit aus.
Doch genauso wie andere HSP benötigen auch HSS denselben Ausgleich in Form von Entspannung, Rückzug und Ruhe. Da High Sensation Seeker aufgrund ihrer teils extrovertierten Art kaum als hochsensibel erkannt werden und auch nicht wissen, dass ihr starkes Bedürfnis nach Rückzug nicht vernachlässigbar ist, sind Erschöpfungszustände oder sogar Depressionen die Folge.
Burn-Out mit Anfang 20? Ist das nicht komplett übertrieben? Schließlich gibt es ja so viele Menschen, die genau das gleiche oder mehr leisten und keine Überlastung beklagen, so das häufig vorgebrachte Argument.
Hochsensibilität ist allerdings keine erfundene Rechtfertigung für Faulheit oder mangelnde Leistungsfähigkeit, sondern betrifft mindestens ein Fünftel der Gesellschaft. Diese Personen haben ein (körperlich) nachweislich höheres Empfinden und deshalb auch andere Bedürfnisse.
Wenn HSP nicht tagelang Party machen wollen, sind sie keine „Spielverderber“, sondern achten einfach auf sich selbst. Wenn es ihnen zu laut oder geruchsintensiv ist, ziehen sie lieber das Weite. Diese Menschen saugen Stimmungen wie ein Schwamm auf und benötigen mehr Zeit, sich davon wieder zu regenerieren. Die meisten nutzen diese Eigenschaft und betätigen sich in ehrenamtlichen und sozialen Berufen, wie etwa im Umwelt- und Tierschutz. Klassische Gutmenschen, würden viele sagen.
Obwohl Hochsensibilität von Betroffenen größtenteils als Schwäche wahrgenommen wird, birgt sie zahlreiche Stärken. HSP handeln intuitiver und erkennen Gefahren schon früher als andere Menschen. Des Weiteren sind hochsensitive Personen empathischer und daher ein wichtiger Teil – wenn nicht sogar eine Bereicherung – für die Gesellschaft.
In kreativen Berufen sind HSP stark vertreten, da sie eine grandiose Vorstellungskraft haben und sich gut in ihre Arbeit vertiefen können. Aufgrund ihres Perfektionismus sind sie auch in anderen Bereichen gern gesehen, analytisch begabt und sehr reflektiert. Hochsensibilität ist also Fluch und Segen zugleich.
*Name von der Redaktion geändert.
Titelbild Credits: Shutterstock
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