Anfang Juni lerne ich Jack in einer Bar kennen. Jack ist 22 Jahre alt und erzählt mir von seinem Luftballonfetisch. Er wäre ein „Looner“, sagt er. Was ist ein Looner? Zwei Getränke später ist er dazu bereit, mit mir ein Interview zu führen. Dazu verabreden wir uns in der darauffolgenden Woche in seiner Wohnung.
Du, mein Luftballon und ich
Es ist ein warmer Frühlingstag. Die Straßenbahn ist überfüllt und es riecht nach Schweiß. Als Jack die Wohnungstür aufmacht, kommt mir kühle Luft entgegen. In der hinteren Ecke des Wohnzimmers, stehen schon die ersten Ballons. Schwarze, große und aufgeblasene Ballons die ordentlich auf einen Stab montiert wurden. „Die sind für ein Grillfest“, lacht Jack. Der Name Jack ist sein Instagram Pseudonym.
In seinem Schlafzimmer ist gerade mal Platz für sein Bett. Alles andere besteht aus Ballons und durchsichtigen Kisten mit Ballons darin. Nach Farbe, Marke oder Material sortiert. Die Rollos sind fast dauerhaft zugezogen, um die Luftballone zu schützen, wird mir erklärt. In der hinteren Ecke befindet sich ein riesiger, weißer Luftballon. Auf so einen werde ich mich später noch draufsetzten. Aber dazu später mehr.
© Alina Bogensperger
Luftballonfetisch: was bedeutet Looner?
Looner ist die gängige Bezeichnung für Personen mit einem Luftballonfetisch. Der Luftballonfetisch kann aber als Spektrum gesehen werden, da die Personen mit Ballonfetisch für gewöhnlich ganz individuelle Vorlieben haben. Die Ballons sind jedoch bei allen der springende Punkt. Manche wollen das Material berühren, den Ballon auf der Haut reiben, mögen das Geräusch oder den Geruch und wieder andere erregt es, die Luftballons platzen zu lassen.
Jack weist mich schon bei unserem ersten Gespräch darauf hin, das grundsätzlich zwischen drei Luftballonfetischen unterschieden werden kann. Es gibt die:
- Popper
- Non-Popper
- und Semi-Popper
Luftballonfetisch: die drei Arten der Looner
Die Popper finden es besonders erregend, wenn der Luftballon solange aufgeblasen wird bis er platzt. Oder er nach dem Aufblasen absichtlich zerplatzt wird, zum Beispiel durch das daraufsetzten. Jack erzählt mir auch, dass das Aufblasen bis der Luftballon platzt, ebenfalls für viele ein Erregungsakt ist.
Die Non-Popper dagegen, wollen genau das nicht. Oft haben Non-Popper sogar Angst vor dem Platzen des Ballons. Ihnen ist meist vor allem der Körperkontakt mit dem Ballon wichtig. Das Material fühlen und die Luft im Ballon spüren. Auch der Geruch ist oft ein wichtiger Erregungspunkt.
Die Semi-Popper liegen zwischen den beiden schon erwähnte Kategorien. Das Zerplatzen ist erwünscht, jedoch keine Notwendigkeit für den ultimativen Spaß. Die Angst das der Ballon platzt, wird mir jedoch als ein zusätzlicher Kick beschrieben.
© Alina Bogensperger
Luftballonfetisch: Interview mit einem Looner
Wie hat es mit deinem Fetisch angefangen?
Ich und einige andere Looner, teilen die Erfahrung, dass wir als Kind zuerst Angst hatten vor Ballons. Lange Zeit konnte ich Einladungen zu Geburtstagen nicht nachkommen, weil ich so Angst vor den Luftballons hatte, die dort auf mich warten würden. Einmal haben meine Eltern zu meinem Geburtstag ein paar Ballons draußen aufgehängt. Da habe ich das Haus nicht mehr verlassen, bis sie mein Vater abgehängt hat.
Wann ist dir bewusst geworden, dass es ein Fetisch ist?
Den Übergang habe ich gar nicht bemerkt. Es war zuerst noch nichts Sexuelles für mich. Meine damalige Nachbarin, auf die ich einen leichten crush hatte, hat vor mir mit einem Luftballon gespielt. Ich wollte nicht zugeben, dass ich Angst vor Ballons hatte aber auch nicht weggehen. Also habe ich meine Angst überwunden und mitgespielt. Da habe ich dann gesehen, wie harmlos Ballons sind, sogar wenn sie platzen. Der Moment wo eine sexuelle Erregung entstand, war aber erst ein halbes Jahr später – da kamen auf einmal ganz andere Gefühle in mir hoch, als ich einen Ballon in der Hand hielt. Ich glaube da war ich 13 Jahre alt.
Könntest du den Begriff Looner genauer definieren?
Als Looner kannst du einen Fetisch oder Kink zu Luftballonen haben. Es gibt aber auch die Inflatables die stehen auf das PVC-Material wie Wasserbälle. Das habe ich schon probiert, ist aber nicht so meins. Jede Person hat eigene Vorlieben. Auch als Looner unterscheiden wir uns alle. Ich mag es zum Beispiel, wie sich das Material an meiner Haut anfühlt. Anderen reicht es, wenn jemand den Luftballon für sie aufbläst — solange bis er platzt. Es ist ein Spektrum und in diesem gibt es viel zu entdecken. Ich habe auch ganz große Ballons bei denen das Material so stabil ist, das man darauf Spaß haben kann. Du siehst also, es gibt viele Variationen, wie man die Ballons einsetzten kann.
Hast du auch ohne Luftballons Geschlechtsverkehr?
Habe ich auch, ja. Es fällt mir aber mittlerweile schwerer, ohne den Einsatz von Ballons zu ejakulieren, da muss ich dann manchmal selbst nachhelfen. Ich merke halt, dass ich diesen extra Kick brauche. Es kommt natürlich darauf an. Ich kann aber sagen, dass es für mich mit Ballons wesentlich einfacher ist, zum Höhepunkt zu kommen. Da muss ich gar keinen Sex haben. Es reicht schon, wenn mir die andere Person einen Ballon ins Gesicht drückt und ich beispielsweise dazu masturbiere.
Macht es dich an, wenn jemand mit einem Luftballon vorbeigeht oder du bei einer Feier in einem Raum voller Ballone bist?
Nein, überhaupt nicht. Als Deko finde ich Luftballone auch cool, aber da bin ich nicht sexuell erregt. Ich habe dieses Jahr beim CSD in Wien auch Herz-Luftballons verteilt. Aber nicht weil mich das sexuell erregt. Verteilen tu ich die, weil ich ja genug davon hab! Mich freut es, wenn sich die Leute freuen. Es haben mich auch ein paar gefragt, ob sie den Ballon bezahlen müssen. Natürlich habe ich alle gratis hergegeben. Ballons sind nicht nur was für Kinder, Erwachsene haben die auch gern, sogar wenn sie sich nicht als Looner identifizieren.
Ich kann aber natürlich nicht ausschließen, dass andere Looner es anmacht, wenn beispielsweise eine Frau einen Ballon vor ihnen aufbläst. Wir sind da halt alle verschieden. Es ist auch wieder was anderes für mich, wenn meine Partnerin einen Luftballon aufbläst — natürlich erregt mich das. Das liegt dann aber an der Partnerin und zusätzlich an dem Luftballon.
Muss der Luftballon eine bestimmte Form haben?
Bei mir nicht so. Aber viele Looner finden den langen Hals des Luftballons cool. Manche mögen längliche die anderen wieder runde. Es gibt auch welche die Luftballon-Figuren oder bestimmte Formen mögen und andere die das gar nicht anmacht. Also auch das ist total variabel.
Woher bekommst du deine Ballons?
Ich bestelle bei Großhändlern, bei eigenen Shops die sich auf Looner konzentrieren und frag auch oft bei Firmen und Geschäften nach, ob sie einen Restbestand haben. Die meisten Geschäfte werfen die Ballons einfach weg, deswegen bekomme ich die dann gratis. Jetzt habe ich aber erst wieder welche bestellt. Ganz Besondere sogar, in die kann man dann reinsteigen während aufgeblasen wird und dann ist man im Ballon drin! Die sind extra durchsichtig damit keine Platzangst entsteht.
© Alina Bogensperger
Was erregt dich am meisten an Luftballons?
Die Kombination zwischen dem Gefühl, dem Geruch des Latex aber auch dem Geräusch wenn ihn jemand aufbläst oder mit Fingernägel damit spielt. Ich mag es aber auch, wenn der Ballon aufgeblasen wird, bis er richtig prall ist. Und natürlich das Zerplatzen, das erregt nochmal extra. Beim Sex finde ich es erotisch, wenn mir meine Sexualpartnerin einen Ballon ins Gesicht drückt, während mein Intimbereich berührt wird.
Wie ist die Community der Looner?
Die Community ist nicht allzu groß. Sie fühlt sich wie eine Familie an, einige sind bisschen schräg, einige sind richtige Normalos. Die meisten führen ein „normales“ Leben, haben stink normale Jobs und sind erfolgreich. Ich hatte jetzt schon ein paar Mal Leute aus der Community bei mir zu Besuch. Die lerne ich meist durch Instagram oder Fet4life kennen. Mich schreiben halt viele Leute an, weil ich auf meinem Instagram Kanal offen bin, was meinen Fetisch angeht. Viele Looners haben größtenteils Angst sich zu outen. Sie haben Angst als komisch oder creepy gesehen zu werden. Bei manchen geht das so weit, dass sie sich nicht einmal trauen einen Luftballon zu kaufen.
Unseren Fetisch von Anfang an zu verurteilen, weil Luftballone als Spielzeug oder Deko gesehen werden, ist ein großes Problem beim Outing. Extrem viele in der Community können nicht offen über ihre Vorlieben reden, leben den Fetisch nur aus, wenn sie alleine sind und verstecken ihn sogar vor ihren Partner*innen. Meine Eltern standen dem Thema von Anfang an offen gegenüber und haben mich unterstützt. Das hat dazu beigetragen, dass ich offen mit meinem Fetisch umgehen kann. Wahrscheinlich unterstütze ich jetzt deswegen andere Looner dabei, offener mit ihrem Fetisch umzugehen und darüber zu sprechen. Jeder Mensch sollte die Möglichkeit haben, so zu leben, wie er das möchte.
Luftballonfetisch: Jack, die Luftballone und alles drum herum
Mein Eindruck des Treffens
Jack war bemerkenswert offen mir gegenüber. Das Gespräch war luftiglocker aber vor allem extrem spannend. Bevor ich Jack kennenlernen durfte, habe ich noch nie von Looners oder dem Luftballonfetisch gehört.
Nach dem Interview ist es auch endlich so weit: Ich selbst darf mich auf einen Ballon draufsetzten. Was man nicht alles für die Recherche eines Artikels macht!
© Alina Bogensperger
Luftballonfetisch: eine Kostprobe
Jack bläst dafür einen neu verpackten Luftballon auf. Mit einem Akkubläser, den ich bis dahin nur im Baumarkt gesehen habe. Kurze Zeit später sitze ich schon auf dem 1 Meter Ballon. Es fühlt sich zu meiner Überraschung an, wie ein komplett normaler Ballon. Das Material wirkt ein wenig reißfester, aber nicht reißfest genug für mich, um länger als wenige Sekunden auf dem Ballon bleiben zu wollen.
Das Gefühl erinnert an einen unstabilen Sitzsack ohne Styropor. Zwar nichts für mich, gelacht habe ich trotzdem. Am Ende darf ich sogar noch ein Ballon-Tier machen. Jack zeigt mir dafür die richtige Technik und schenkt mir den selbstgemacht Ballon-Hund als Souvenir.
Ich durfte bei Jack nicht nur durchs Schlüsselloch schauen, er hat mir weit die Tür geöffnet und bei unserem Gespräch alles erklärt, was ich wissen wollte. Damit hat er mir einen umfangreichen Einblick ermöglich. Ich bedanke mich herzlich, dass er mich in seine Welt eintauchen hat lassen.
Titelbild © Shutterstock
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