Filmbiografien gibt es viele. Die Szene stürzt sich schon seit einigen Jahren auf eine Vielzahl an realen Begebenheiten, die dann verfilmt werden. Hauptsächlich, weil den Autor*innen keine neuen Geschichten mehr einfallen. Ist die Kreativität gestorben? Dass dem nicht ganz so ist, zeigt der beeindruckende Netflix-Film Blonde, über das – faktisch nicht ganz so reale – Leben der Hollywood Legende Marilyn Monroe.
Blonde, Marilyn Monroe und die Problematik der Verfilmungen von Biografien
Biografische Verfilmungen von Berühmtheiten sind in der Regel oft übertrieben glamourös, clean und im Grunde ziemlich einfallslos. Es gibt da einen Helden oder eine Heldin, die es aus schwierigen Verhältnissen herausschafft, um berühmt und erfolgreich zu werden. Und an diesem Erfolg letztlich auch zerbricht.
Das trifft jetzt auch auf Marilyn Monroe zu, natürlich. Doch was der Ausnahmeregisseur Andrew Dominik uns mit dem filmisch brillant inszenierten Film Blonde liefert, ist mit einem Wort herausragend. Statt eines pompösen Hollywood-Biopics liefert er uns einen 166 Minuten langen experimentierfreudigen Kunstfilm, der – und das ist die Grandiosität daran! – keine einzige Minute zu lang ist. Alleine die Bilder – die ästhetisch hochwertigsten, die man seit Jahren vorgesetzt bekommen hat –, entwickeln eine Sogwirkung, der nicht zu entkommen ist.
Die Dekonstruktion des Mythos Marilyn Monroe
Marilyn Monroe war zeitlebens ein sexualisierter Mythos, zu dessen „Ehren“ vermutlich sämtliche Männer der 1940er, 1950er Jahre und darüber hinaus, ihre Fleischflöte rauf und runter gespielt haben. Und Frauen ihre eigene Persönlichkeit auslöschten – nur um zu sein, wie diese Frau. Eine Frau, von der dennoch niemand wusste, wer und wie sie wirklich war.
Andrew Dominiks Blonde – basierend auf dem Erfolgsroman von Joyce Carol Oates – weiß das auch nicht. Doch anstatt so zu tun, als ob, (wieder)erfindet er das Leben des wohl größten Hollywoodstars einfach neu. Gekonnt und ästhetisch meisterhaft werden die Grenzen zwischen Fakt und Fiktion verwischt. Und dennoch zeichnet der Film Blonde ein glaubwürdiges Porträt, das einen immer tiefer und tiefer in seinen Bann zieht. Mit einer fast übersinnlichen Bildarbeit, die man in allen Filmen immer nur sucht und sucht und sucht, und dennoch nur sehr selten findet.
Netflix’ Blonde – eine ästhetische Halluzination
Andrew Dominiks Biopic Blonde – das sehr stark an sein Meisterwerk The Assassination of Jesse James by the Coward Robert Ford erinnert – ist eine ästhetische Halluzination, die von Traumsequenz zu Alptraumsequenz hetzt. Und in der Ana de Armas eine schauspielerische Leistung abruft, der man getrost einen Oscar verleihen darf. Oder sogar muss.
Aus kleinen Gerüchten (vermeintliche Affäre mit Charlie Chaplins Sohn und der Bekanntschaft mit Edward G. Robinson Jr.) entfaltet Blonde eine ganze Geschichte darüber, wie das Privatleben von Marilyn Monroe – von dem man nicht viel wusste – sein hätte können. So versucht der Film, die reale Kluft zwischen Privatmensch und öffentlicher Figur eklatant sichtbar zu machen. Monroe ist in diesem Ausnahmefilm daher ein Mensch, der niemals zur Gänze die Persona sein wollte, die das Studio aus ihr gemacht hat. Ein widerwilliges Idol, das einfach nur Mensch sein will. Eines, das die Männerwelt aber gerade daran scheitern und – ja – untergehen lässt.
© Netflix (Screenshot)
Marilyn Monroe und der Feminismus
Darüber hinaus ist Blonde auch eine starke feministische Geschichte. Die Geschichte über eine Frau, die von einem Männer-System und einer patriarchalen Ordnung langsam aber sicher als Mensch ausgelöscht wird. Sie hat als Sexsymbol, als Objekt, als das Bild einer hyperrealen Vorzeigefrau zu funktionieren. Jedoch nicht als Mensch (die schon erwähnte Kluft!). Auch ihr Weg nach oben ist das Porträt einer Frau, die sich den Männern immer nur unterwerfen musste. Ausnahmslos! Das alles ist sehr grausam, erinnert uns aber daran, dass #metoo noch lange nicht vorbei ist.
In diesem Sinne zeichnet Blonde in all seiner Fiktion auch ein erschreckend reales Bild darüber, wie Frauen in Hollywood behandelt wurden. Mit der Erinnerung an gegenwärtige Probleme. Denn Frauen erfahren dort nach wie vor Missbrauch, Gebrauch und Verbrauch. Frau muss einem heteronormativen cis-Begehren entsprechen. Marilyn Monroe ist in diesem Sinne eine Figur, deren Emanzipation als Mensch an der Illusion und dem Begehren der ihr Leben bestimmenden Männer zum Scheitern verdammt ist.
Marilyn Monroe, Blonde und eine Kritik
Blonde ist ein ästhetisch-psychologisches Filmessay, dass aus einem toxischen Leben einen bildgewaltigen Reigen kreiert, welcher bei den Oscars im nächsten Jahr unbedingt Berücksichtigung erfahren sollte. Vor allem die Kamera, die Regie und eine Hauptdarstellerin, die über sich hinauswächst. Zudem verleiht de Armas dem hohlen Image einer Marilyn Monroe (wie man es eben kennt) einen psychologisch dichten und überzeugend tief-leidenden Kontrast, der die Frage aufwirft, wer denn diese Marilyn Monroe wirklich gewesen ist. Doch dafür gibt es auf Netflix die Dokumentation Mysterium Marilyn Monroe.
Doch genau hier macht der ästhetische Hochgenuss Blonde einen Fehler. Denn ob man dank des Filmes mehr Einblick in das Leben dieser Leinwand-Legende hat, ist zu hinterfragen. Im Grunde zeichnet der Film die Geschichte eines Menschen, der sein Leben ausschließlich als Opfer gelebt hat. Und das ist die Kritik, dass sich der Film nur auf die (oft übertrieben inszenierten) Schattenseiten des Lebens der Marilyn Monroe stürzt, sich daran aufhängt und, man muss es leider sagen, bewusst und oft auch über die Schmerzgrenze hinaus provozieren will. Geschickt manipuliert uns der Film auch mit gekonnt eingesetzten Triggern: Die versuchte Ermordung der Tochter durch ihre gestörte Mutter, Vergewaltigungen, sexueller Missbrauch, psychische Probleme – Daddy Issues. Das alles wird zwar ästhetisch hochwertig präsentiert, dem Leben von Marilyn Monroe aber bedauerlicherweise alles andere als gerecht.
Der ignorierte Erfolg — Marilyn war nicht nur Opfer
Dass Marilyn Monroe nicht ausschließlich das Opfer vom Dienst gewesen ist, sondern sich in einer hart umkämpften Männerwelt auch durchgesetzt hat, zeigt der Film enttäuschenderweise nicht. Monroe gründete zum Beispiel ihre eigene Produktionsfirma, als das Studio ihren Vertrag nicht verlängern wollte, studierte Method Acting bei der Lehrmeister-Legende Lee Strasberg, erkämpfte sich als Frau ein höheres Gehalt, und auch das Recht, ihre eigenen Projekte, Regisseure und Kameraleute auswählen zu dürfen. Es stand ihr auch frei, für jeden abgeschlossenen Film für das Studio Fox, einen Film mit ihrer eigenen Produktionsfirma MMP zu machen. Und das in den 1950er Jahren. All diese, für eine Frau geradezu bewundernswerten Erfolge, erwähnt der Film kein einziges Mal. Stattdessen reitet er ästhetisch brillant auf den Wunden eines zu früh geendeten Lebens herum und schlachtet das Leid bis zur Gänze aus. Ein cineastisches Meisterwerk, dass noch von sich hören lassen wird.
Titelbild © Netflix
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