Anlässlich des Welt Paniktages am 18. Juni haben wir uns mit dem präsenten und doch häufig unter den Tisch gekehrten Thema der „Panik“ auseinandergesetzt und die Stellung von Ängsten in unserer Gesellschaft ein bisschen unter die Lupe genommen.
Panik ist die kleine Genossin ihrer großen Schwester, der Angst, denn auch, wenn erst aus einem Moment der Angst Panik resultiert, so ist die reine Angst vor Etwas gesellschaftlich mehr „salonfähig“ bzw. akzeptiert, als die Panik vor Etwas.
„Ich glaub ich zuck aus“ – ein kleiner Einblick
Ich sitze im Restaurant in entspannter Atmosphäre und warte in gemütlicher Runde auf mein Essen. Die Gespräche fließen fast so angeregt und energisch wie der Wein es tut, und ich freue mich auf mein jeden Moment eintreffendes Essen. Ein Wort nach dem Anderem, ich bin aktiv am Gespräch beteiligt und erkläre meinem Gegenüber gerade gefühlt die halbe Welt, ich bin präsent und im Fokus.
Zwischen den Sätzen hole ich einmal kurz tief Luft, zumindest versuche ich es, denn nach drei vergeblichen Versuchen merke ich, dass ich gar keine Luft kriege. Peinlich verstummt, versuche ich desperat ein paar Worte zu einem Satz zusammenzufügen, während ich mit Hochdruck dran arbeite, mich zu beruhigen und nicht vom Sessel zu fallen wie ein nasser Sack. „Bloß nicht umfallen, du beruhigst dich jetzt sofort“ hämmert es durchgehend durch meinen Kopf – natürlich tue ich alles, nur nicht mich beruhigen. Als Meisterin des Improvisierens entschuldige ich mich mit einem kurzen coolen „Puh ich glaub ich geh mal kurz eine Rauchen“ und torkle innerlich so benommen weg vom Tisch, dass man meinen könnte, ich hätte gerade drei Tage durchgefeiert.
Ich bin nicht mehr die Herrin meiner Sinne und habe weder meine Emotionen noch meinen Körper unter Kontrolle, und das wiederum macht gehörig Angst. Ein dunkler Kreisel in meinem Kopf aus grauen Rauchschwaden und Kaltschweiß. Zittern am ganzen Körper. Ich schaffe es grad noch so, in die WC Kabine zu taumeln, zumindest weg von den Blicken anderer um mich herum, wo ich dann endgültig und mit rasselndem Atem zusammenklappe, denn meine Beine weigern sich, mich zu tragen. […]
Während ich noch immer wieder damit beschäftigt bin, diese Situation und ein dutzend Ähnliche, aus dem Nichts aufgetaucht und doch kleine Spuren hinterlassend, zu analysieren, gehe ich spazieren und lasse an diesem sonnigen Tag meine Gedanken ein bisschen Kreisen, ohne bestimmtes Ziel oder dem Wunsch, einen Konsens zu irgendeinem Thema zu finden. So schnell wie ich damit begonnen hatte, so schnell überkommt mich eine eiskalte Welle, die sich wie eine Ansammlung aus kleinen spitzen Nadeln anfühlt und mich von hinten trifft.
Die Sonne scheint noch immer, ich bin noch immer draußen und es ist noch immer nichts um mich herum passiert, was solch ein Verhalten hätte triggern („auslösen“) können. Zumindest Nichts, was mit dem rein menschlichen Auge erkennbar ist, denn innerlich fühlt es sich an, als würde ich gleich sterben. Stichwort Todesangst. Hello my old friend, diesen Zustand kenne ich zwar zu gut, und doch hebt die Machtlosigkeit einen jedes Mal aus allen Angeln.
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Wieso haben Menschen Angst?
Evolutionstechnisch ist Angst ein uns Individuen antrainierter Mechanismus, der zu unserem eigenen Schutz ausgeprägt ist. Das Spektrum der Angst ist dabei breit. Man unterscheidet zwischen „Angst als Zustand“ und „Angst als Eigenschaft“.
Wenn dein Großvater krank im Spital liegt, du um fünf in der Früh allein über den Rennbahnweg gehst oder eine Prüfung schreibst, ohne dafür gelernt zu haben, dann verspürst du die Angst als Zustand, eine reale Bedrohung, auf die deine Psyche und in Folge dessen auch dein Körper angemessen reagieren werden, zumindest in den meisten Fällen.
Wird eine Situation, unabhängig ob bei realer oder vermuteter Bedrohung, brenzlig, reagiert nicht nur die Psyche, sondern auch der Körper entsprechend drauf: Registrieren die menschlichen Sinne eine potenzielle Bedrohung, so beginnen die Nebennieren Adrenalin und Noradrenalin auszuschütten, die Atmung wird schneller und rasselnder, auch schlägt das Herz parallel schneller und bindet somit mehr Sauerstoff im Blut, was sich wiederum körperlich auswirkt.
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Denn wer kennt sie nicht, die guten alten Kaltschweißausbrüche, das flaue Gefühl im Magen, als hätte man drei Dutzend schlechte Austern gegessen oder das ohne jeglichen Grund plötzlich rasende Herz, das auf einmal offenbar für den Marathon trainiert. Wie ein solch komplexer, irrationaler und individueller Zustand auf so eine logische Mischung aus Neurochemie und Anatomie zurückgeführt werden kann, wird mir persönlich wohl immer ein Rätsel bleiben.
Fun Fact: So sehr ich früher Menschen fast schon ehrfürchtig verehrt habe, die mit eiserner Miene und voller Stolz „Ich habe von rein gaaaarnix Angst“ predigten, umso mehr muss ich diese Kandidaten mittlerweile ein bisschen milde belächeln, denn Angst als menschliche Eigenschaft ist mit Sicherheit Etwas, was uns sonst eher bequeme Persönlichkeiten vorantreibt, uns an die Grenzen bringt, raus aus der Komfortzone jagt und im Allgemeinen Stärker macht.
Wo zieht man die Grenze?
Gefährlich wird es erst, surprise surprise, wenn es beginnt irrational zu werden.
Doch wann wird Angst zur Panik und wo genau liegt der Unterschied? Panik resultiert aus einem Zustand der Bedrohung, und lässt sich oftmals schwerer kontrollieren und entschärfen, als der von Angst, da sich Panik oftmals schnell und weit weg von der Realität befindet. Und genau hier wird ein Cut gemacht.
Ab dem Moment, ab dem die Angst nicht mehr rational belegbar ist, hervorgerufen durch eine nicht reale Bedrohung, deren Präsenz und Auswirkung sich meist nur im hintersten Winkel des Kopfes abspielt, spricht man von „Angst als Zustand“. Et voila kommt die Panik ins Spiel, die Menschen dazu bringt, Dinge zu tun und zu fühlen, die für einen Außenstehenden als vollkommen obskur wirken mögen.
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„Keine Panik!“ führt erst recht zu Panik
Wie eine Made im Speck setzt sie sich fest und ist nur schwer unter Kontrolle zu bekommen, wenn sie mal inmitten von vielen, sich in einer ungewissen Situation Befindenden Fuß gefasst und sich breit gemacht hat. Der Mensch ist am Ende des Tages ein Gewohnheitstier par excellence und jegliche Veränderung in persönlichen, aber auch gesellschaftlichen Gewohnheiten schürt Angst.
Wovor genau haben wir Angst? Auch wenn die Mehrheit der westlichen Bevölkerung gar nicht so richtig weiß, wovor sie sich fürchtet, so ist der große gemeinsame Nenner am Ende des Tages „Veränderung“.
Wird einem der Boden unter den Füßen weggerissen, so wandelt sich diese Angst ganz schnell in Panik um. Diese vielleicht auf den ersten Blick entrückt klingende These wird durch ein derzeitig präsentes Beispiel perfekt untermauert – Corona lässt grüßen!
Grundlegende Existenzängste á la „Bloß nicht den Job verlieren“ oder „Ich hoffe meine Liebsten sind glücklich und gesund und ich am Besten auch gleich mit dazu“ sind sonst zwar auf den ersten Blick trivial, doch reflektieren sie die große gemeinsame Seele unserer Gesellschaft ganz gut, gerade in der Zeit, in der all diese Ängste wahr zu werden drohen.
So haben Angst und Ungewissheit in der Gesellschaft eine prägnante Rolle und ziehen sich auch durch die Geschichte wie ein roter Faden – nicht nur der Zustand an sich, sondern auch wozu er die Menschen treiben kann. Dabei spielt auch die Psyche des Einzelnen eine wichtige Rolle. Sagen Personen des öffentlichen Interesses wie beispielsweise Politiker „Liebe Bevölkerung, habt keine Angst vor dem Coronavirus!“ so wird alles andere eher eintreten, nur nicht das Bewusstsein, dass man keine Angst haben soll.
Das Leben ist eine Achterbahn – spaßig, aber manchmal doch zu viel
Neben all den gesellschaftlich gängigen Auslösern für panische Zustände, den oben beschriebenen Möglichkeiten der Angst und den Allmächtigen, die vor gar nichts Angst haben, gibt es auch noch jene armen Seelen, die unter einer verstärkten Form des Ganzen leiden.
In die Reihe der rationalen Angstzustände, physischen Ängste oder Existenzängste reiht sich auch die Todesangst ein. Damit meine ich nicht die Angst vor dem Tod, sondern das Gefühl, dem Tod nah zu sein, aber dazu später noch mehr.
„Die verstärkte Form des Ganzen“ konkret betitelt ergibt Panikattacken, jene plötzlich auftretenden Gemütszustände, die mit rein gar nichts Rationalem in Verbindung gebracht werden können, aber trotzdem auftreten. Man kann diese auf die schnelllebige und reizüberflutende Welt und die vielen Möglichkeiten, die früher oder später zu einem „Human System Overload“ führen schieben, auch auf die Tatsache, dass man als Kind zu wenig geliebt wurde oder auf den Nachbarn von nebenan, weil der einen immer schief anguckt. Man kann davon weglaufen oder die Existenzberechtigung von Panikattacken leugnen, dies wird einem jedoch, vor allem als Betroffener, nicht helfen.
Panikanfälle treten in den unterschiedlichsten Situationen und Konstellationen auf, es gibt meistens keine plausible Erklärung á la „2+2=4“ dafür, auch wenn man sich diese oftmals sehnlichst wünscht. Genetische Faktoren und psychische Vorerkrankungen können, wie sonst auch, eine größere Rolle spielen, jedoch ist am Ende des Tages niemand vor Panikattacken „sicher“. Schwere Schicksalsschläge und damit einhergehende Veränderungen und Traumata, sowie vermehrt hohe Belastung und ein nicht gegebenes seelisches Gleichgewicht können Auslöser sein. Auslöser für jene Zustände der Angst, die nicht mehr in die oben beschriebene „Angst aus Zustand“ hineinfallen oder die fragile Grenze zur „Angst aus Eigenschaft“ überschreiten. „Überschreiten“ ist hier der eher zurückhaltendere Ausdruck, „die Tür mit dem Vorschlaghammer einbrechen“ trifft es schon eher besser.
Panic attacks are so unpredictable that they can be caused by simply thinking about having one. #theanxietyhealer #anxiety #panicattack
— The Anxiety Healer (@helphealanxiety) May 22, 2020
„Jetzt stell dich mal nicht so an, ist ja alles gut“ – Aufmerksamkeitsheischende Einbildung oder valide Realität?
„Alles im subjektiven Auge des Betrachters“ wie man jetzt sagen könnte, „Mah beruhig dich bitte, was hast du denn jetzt schon wieder?“ oder „Komm leg dich hin, du musst dich ausruhen„, alles wunderbare Sprüche, auf die ich gerne „Danke für Nix“ sage. Denn Panikattacken hin oder her, sind wir uns mal ehrlich: Wenn ich nicht ruhig bin dann Shut the fuck up und Sag.Mir.Nicht.Dass.Ich.Mich.Beruhigen.Soll.
Wir alle haben Panik und unsere Ängste, und je eher man die des anderen akzeptiert, umso einfacher wird es auf Dauer. Noch wichtiger jedoch ist es, die Eigenen zu akzeptieren und sich ihnen zu stellen, egal wie schmerzhaft es ist und egal wie sehr man währenddessen aus der Haut fahren möchte. Denn so lebt es sich nicht nur einfacher. So schafft man gesellschaftlich mehr Bewusstsein für jene Menschen, die unter solchen Anfällen leiden, was es wiederum für diese einfacher macht, sich nicht vollkommen unverstanden zu fühlen.
Titelbild Credits: Unsplash
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