Sex auf einem anderen Level – Wiens versteckte Parallelwelt: Die neue Swinger-Szene zwischen Sex-Positivity und Schwanzparaden

Es ist noch früher Abend in Wien-Neubau, als ich zum ersten Mal in meinem Leben die steile Treppe hinunter in einen Swinger-Club stöckle. „Zieh dich aus, entspann‘ dich“, grinst Manuel und stellt mir ein Stamperl „Berliner Luft“ auf den Tresen. „Zum Aufwärmen.“ Viel an habe ich ja nicht, aber ob die Gänsehaut wirklich damit zusammenhängt?
Für Manuel ist das hier Alltag. Der 37-Jährige mit den hellen Augen, aus denen der Schalk blitzt, und den umgedrehten Ananas-Tattoos ist in Wiens Swinger- Szene aufgewachsen. Heute führt der gelernte KFZ-Mechaniker das „UNIQUE X“ (Kandlgasse 26, 1070 Wien) zwischen Tradition und sexueller Revolution. Dies ist eine Geschichte über eines der ungewöhnlichsten Familienunternehmen Wiens, geheime Sehnsüchte und unglaubliche Sex-Hoppalas, bei denen einem die Eltern über die Schulter schauen.
„Bereit für eine Tour?“, fragt Manuel und macht eine ausladende Geste über sein – noch unbevölkertes – Reich. Ich schlupfe wieder in mein Winter- Daunenzelt, es ist wirklich arschkalt ohne die Körperwärme von 120 Leuten, die heute noch erwartet werden, und es geht los:
© STURMBILD
Unten befindet sich die Bar mit Sitzgelegenheiten – alles abwischbar. Außerdem ein kleiner Raum mit Spinden, wo Straßenschuhe und jedwede überflüssige Kleidung abgelegt werden, und das Dampfbad. „Das brennt wenigstens nicht ab“, scherzt der Unternehmer, dem die ganze Bude 2018 in Flammen aufging: Saunaofen-Kurzschluss. „Danach haben wir alles renoviert. Keiner hat hier so viel genagelt wie mein Stiefpapa“, erzählt Manuel und meint damit die Nieten in der Wand des rot-bestofften Shades-Of-Grey-Raums, der sich wie die anderen „Spielzimmer“ im ersten Stock befindet. Manuel und sein Ingenieursfreund konstruierten das Andreaskreuz (ein BDSM Stahlkonstrukt mit 125 Ösen zum Fesseln und Hängen) „in der strengen Kammer“. „Wir haben fast alles selbst gemacht“, sagt der gut gelaunte Besitzer stolz und rubbelt sich durch die blondierten Haare. Dann tauchen wir ein in eine Unterwasserwelt, klettern in den Love-Bus mit Porno am Screen, grüßen Alice im Wunderland – und plötzlich habe ich die Orientierung verloren. Down the rabbit hole! Ah, da war ja die Besenkammer (von Boris Becker), die wirklich nur eine Besenkammer ist.
Einige Räume sind versperrbar und uneinsichtig, andere offen zugänglich oder mit einer verspielten Möglichkeit zum Zuschauen. Sauberes Schuhwerk ist Pflicht. „Handtücher dienen nicht als Kleidungsstück sondern zum Drunterlegen!“ – das ist Manuel wichtig. Schließlich kennt auch er die berüchtigten RTL-2-Reportagen von damals, die das Image des Swingers nachhaltig zerstörten: „Alt. Abg’rennt. Mit Mundl-Shirt. Schlapfn. Natürlich: da gehst nie in einen Swingerclub. Aber die Sex-Positiven von heute sind nix anderes als Swinger. Konsens ist bei allen zweien dabei. Nur: Der eine diskutiert’s. Und der andere macht’s kurz und knapp: Wir sind zum Vögeln da. Passt, woll‘ ma? Ja oder nein? Und fertig. Kannst dich auch totquatschen.“
Manuel zupft an seinen Ohrenpiercings und fährt mit seiner Tour fort: Überall gibt’s Kondome und Desinfektionsmittel. Ein Schild weist darauf hin: High Heels sind bitte abzulegen. „Im Spiegelzimmer ganz links hinten war auf einmal ein Loch drinnen. Gesplittert. Keine Ahnung wie sie das gemacht hat. Er hat sie nach hinten geschupft oder so.“ Gab’s sonst noch Unfälle? Manuel lässt wieder seinen charakteristischen, etwas dreckigen Lacher hören und packt Geschichte um Geschichte aus. Aber dazu gleich mehr.
© STURMBILD
Vorher will ich wissen: „Wie war das so, also, mit den Eltern in einem Swinger Club zu arbeiten? Sieht man die dann auch *räupser* bei der Sache oder sie dich?“ Wieder der Lacher. Dann ein versucht geschäftsmäßiges Gesicht. „Drüben im Frivoli, wo ich mit meiner Mutter gearbeitet hab, war’s so, dass meine Tante mal reing’schaut hat durchs Fenster: ob der Neffe das gut macht. Ich hab das nicht mitkriegt, weil das so Kirchen-Ornaments-Fenster sind. Sie hat’s mir nur danach gesagt. Und mit 18 hab ich halt ‚knick-knack‘ gemacht im Separee und dann spür ich so im Rücken: irgendwas beobachtet mich. Das war mir dann echt unangenehm. Aber ich hab mir gedacht: jetzt halt deinen Mann, mach weiter, schau kurz, okay, der Vater isses, mach einfach weiter.“
„Das sind schon arge Geschichten“, sagt eine rauchige Stimme hinter uns. Wir wenden uns um: eine Frau mit langen dunklen Haaren, vollen Lippen und schwarzem Kajal lächelt uns verschmitzt an. Manuels rechte Hand. Sie hat eine ruhige, selbstbewusste Präsenz und möchte anonym bleiben. Wir nennen sie R. An Manuel gewandt fragt sie: „Hast du ihr vom Riesenloch im Spiegel erzählt?“ Ich nicke sofort – der High Heel! Aber Manuel kräht: „Da hat einer gedacht, er hupft da rein mit viel Schwung, rutscht aufm frisch gewachsten Bett weiter und – knall – hat er den Spiegel gefressen. Jetzt schau nicht so schockiert!“ Mir steht noch die Vater-Geschichte im Kopf rum. Also hake ich nach: „Und wie ist das mit den weiblichen Familienmitgliedern?“
© STURMBILD
Wir gehen wieder an die Bar. Eine zweite Runde „Berliner Luft“ ist fällig. Und während Manuel Post von den Wiener Netzen und verschiedenen Behörden ordnet, erzählt er: „Die echt argen Geschichten sind, wenn Mütter sich unterhalten im Lokal.“ Mit gespielt hoher Stimme flötet er:‘Ich hab letztens g’schaut, ob er eh gut gewachsen ist von ihm.‘ – ‚Ja, ich hab meinen auch gesehen, zufällig beim Duschen bin ich reinkommen.‘“ Manuel schüttelt den Kopf. „Und ich denk mir nur so: ‚Mutter, sag du dazu jetzt bitte nichts.‘“ R. und ich lachen laut auf. Der Sohnemann klopft die Briefe zu einem Packen, steckt sie unter die Schank und seufzt: „Frauen unter sich.“
Es ist kurz vor 21 Uhr, draußen bildet sich bereits eine kleine Schlange. Manuel „bewacht“ den Eingang. Im Laufe des Abends wird er wieder einige wegschicken, die er als unpassend empfindet. „Dass es bei uns so harmonisch ist, liegt auch an der Türpolitik“, sagt er. Heute ist Pärchen-Party: Nur der Mann zahlt Eintritt, alle Getränke und das Buffet, das Manuel immer selbst zubereitet, sind inklusive. Die Anmeldung für die Party erfolgt im Vorfeld über die Website: joyclub.de (siehe Infos unten). Ab und an gibt’s aber auch „Laufkundschaft“: Stammgäste oder Touristen zum Beispiel aus Deutschland oder den USA.
R. scrollt am Bildschirm durch die Gästeliste und berichtet: „Die meisten hetero oder bisexuell, einige wenige lesbisch, viele Neue.“ Besonders Anfänger seien recht aufgeregt, erzählt sie. „Es kann schon jemanden schockieren auch, wenn viel Action ist.“ Selbst ihr sei es so gegangen, als sie hier zu arbeiten begann. Und da ist es wieder: mein Herzklopfen. Und dieses Bild von einem Haufen hässlicher Männer, deren erigierte Penisse mich anglotzen. „Aber du kannst das auch als Schwanzparade nehmen!“, ruft Manuel und schenkt mir nochmal nach. „Du musst dir das alles ganz anders anschauen: der ist eine Drei, der eine Sieben… oh, eine Neun!“
R. erzählt von Frauen, die zu speziellen Männerüberschuss-Partys kommen, eben weil es ihr Wunsch ist, von vielen begehrt und befriedigt zu werden. „Außerdem: für einen One-Night-Stand ist es hier sicherer. Weil bei einem fremden Typen in der Wohnung sein, möglicherweise betrunken, und dann ist das ein Verrückter oder so… Es gibt crazy Leute da draußen.“ Sie verzieht den Mund und richtet sich ihr sexy Outfit. Und plötzlich scheint das Tabu „Swingerclub“ ganz normal und die Norm „Ausgehen, Aufreißen, Casual Sex“ verrückt zu sein. „Und dann kommt er vielleicht nach 10 Sekunden und du hast nichts davon gehabt!“, setzt Manuel noch eins drauf. „Hier holst dir einfach den Nächsten! Und der soll machen, was DU willst.“ So gesehen… Der Chef geht aufsperren. Und ich lasse die Hüllen fallen.
Der Club füllt sich rasch. Fast alle Frauen haben sich etwas zu ihrem Outfit überlegt: superkurze Glitzerkleidchen, verschiedenste Dessous-Varianten mit und ohne Kimono, Bodystockings, Netsuits, fabelhafte Heels. Unterschiedlichste Körperformen, alle ästhetisch verpackt. Ihre Männer wirken dagegen meist modisch hilflos. Ich erinnere mich daran, was Manuel gesagt hat über die Angst der Männer: „Du willst halt auch nicht dastehen mit einem Tanga und Lederärmeln und die anderen haben eine lange schwarze Hose an. Da kommst dir overdressed vor – oder underdressed. Manchen sag ich auch: ‚Zieh das Leiberl aus, geh ohne dem.‘ Dann zieht er’s aus und ich sag ihm: ‚Zieh’s wieder an. Is besser.‘“
© STURMBILD
Rasch lerne ich ein junges, hottes Paar aus München kennen, das verheiratet ist und sich gern viele Freuden gönnt. Sofort startet das Gespräch auf einer spannenden, sehr offenherzigen Ebene. Vielleicht auch, weil wir bewusst Decknamen verwenden. In diesem Fall ist sie: Sunshine, er: Robert. Außerdem: Fast nackt zu sein und gleichzeitig übers Wetter zu reden, das geht angenehmerweise nicht zusammen. Jobs, Politik, Probleme, all das bleibt draußen. Auch billige Anmache: Kein B’soffener, der einfach hinlangt, ohne zu fragen, oder eine Gruppe Männer, die sich gemeinsam stärker fühlt und auf Aufriss unterwegs ist. Wozu auch? Jede und jeder darf sich hier Sehnsüchte erfüllen. Alles kann, nichts muss. Und ein Nein ist ein Nein. „Das ist im Volksgarten oder in der Pratersauna schon anders“, meint R. und zieht die Augenbrauen hoch.
Nach einigen aufschlussreichen Plaudereien ziehe ich mir einen der kuscheligen Bademäntel über und besuche Manuel „bei der Tür“. Wie sieht er das mit der Sicherheit – besonders von Frauen? Was ist mit Grenzen? „Meine Mutter hat immer schon gesagt: Der Safe Space für Frauen ist ein Swingerclub. Da kann sich die Frau auslassen, gehen lassen.“ Spezielle „Awareness-Teams“ wie sie auf manchen Sexpositiv-Partys üblich sind, seien nicht nötig: „Hier passen alle aufeinander auf.“ Das sei ein ungeschriebenes Gesetz. Teil des Lifestyles. Immer schon gewesen. Und dann packt er natürlich noch eine Anekdote aus: „Wie ich begonnen hab‘, hat eine Frau geschrien einmal. Ich bin hingesprintet, weil ich dachte, ich muss dazwischen gehen, ihn von ihr wegreißen. Und dann sehe ich: ach so, sie ist grad ganz ordentlich geschleckt worden von einem Typen. Was soll ich dir sagen?“ Er begrüßt ein Pärchen, von denen ich später erfahre, dass sie eigentlich keines sind. Beide sind anderweitig vergeben und leben hier etwas aus, das in der Beziehung nicht möglich ist. „Ich möchte, dass mir andere zusehen“, sagt die – geschätzt – 35 jährige Blondine mit dem getunten Körper.
Bevor sich die Leidenschaften vom abgedunkelten, ersten Stock bis hinunter zur Bar ausbreiten, packe ich mich wieder in mein Winter-Daunenzelt und mache einen Abgang. „Alles kann, nichts muss“, wiederholt Manuel zum Abschied das Motto der Swinger. Und: „Hab ich dir von dem Sexunfall mit der Frau und den zwei Männern erzählt? Und was wir danach alles aufwischen mussten?“ Fortsetzung folgt.
SO GEHT’S:
Anmeldung
Melde dich an auf der Plattform JOYCLUB.de. Dort kannst du ein Profil anlegen und dich für Sex-(Positive)-Parties oder Workshops aller Art anmelden – auch für Manuels UNIQUE X. Du siehst, welche Leute sich wofür bereits interessieren, kannst dich über Vorlieben austauschen und dich mit Ähnlichgesinnten vernetzen oder für Partys verabreden.
Kleidung
Suche im Netz nach Fotos vom „Studio 54“ und du kommst in die richtige Richtung. Aber grundsätzlich: Nimm dir etwas mit, indem du dich sexy fühlst. Und ein passendes, sauberes Paar Schuhe. Viele Männer kommen in einem offenen Hemd und schwarzer Hose, manche tragen einen Harness/Ledergeschirr, andere nur eine Hot Pants. Bei Frauen gibt es von durchsichtigem Nichts bis zu kurzem Kleid alles. Fabelhaft!
Parties
Im UNIQUE X gibt es eigene Anfänger-Partys (First Touch), Workshops für Self-Bondage, Wachs & Co (First Outch), FLINTA, Fetish, Partys zu verschiedenen Kinks etc. Die Swinger/Sex-Positivity-Welt ist groß und bunt. Checkt auch die Events von Hausgemacht.org oder Soul-events.at aus.
Titelbild © STURMBILD
DAS KÖNNTE SIE AUCH INTERESSIEREN
Frisches Geld - Staffel Party, Bromance und ein Blick hinter die Kulissen
In Österreich genießen Podcasts noch nicht die Popularität wie sie es etwa in Deutschland tun, dennoch ist die Tendenz steigend. Zwei ziemlich verschiedene Jungs, die im Kern eine ähnliche Erfolgsgeschichte aufweisen und vergleichbar crazy sind, entschieden sich zu Jahresbeginn auch auf den Zug aufzuspringen. Wir haben mit ihnen über die abgelaufene Staffel, über ihre Entwicklung und die Erwartungen an sich selbst gesprochen.
Blutbuch – Kim de l'Horizons fulminantes, non-binäres Romandebüt
Mit Kim de l'Horizons Debütroman Blutbuch (erschienen bei DuMont) ist seit langem und endlich, endlich, muss man sagen, nein, endlich, muss man schreien! ein Text erschienen, der literarisch geradezu meisterhaft ein Phänomen einzufangen vermag, mit dem sich viele Literaturschaffende schwertun.
Nationaler Ändere-Dein-Passwort-Tag: Warum „Passwort ändern“ nicht reicht
Der 1. Februar ist der Tag, an dem viele von uns beschließen, ihre Passwörter zu ändern – eine nette Idee, […]
Wilde Sex-Party am Spielfeld – norwegische Fußballprofis treiben es im Stadion
Knapp der halbe Kader des norwegischen Fußball Erstligaklubs Brann Bergen – einst Station des österreichischen „Fußballstar“ Paul Scharner – feierte […]
10 Dinge, die du in Graz bei Regen tun kannst
Was ist denn das für 1 Wetter? Für August kommt da grad ziemlich viel Regen nach Graz. Aber keine Sorge: […]
House of the Dragon: ist der Hype um den Game of Thrones-Nachfolger gerechtfertigt?
Ganz klar zeigt sich, dass im Herbst diverse Streaming Anbieter um eine Krone rittern: die Gunst des Publikums. Das Ziel: […]