Anna Winger – die Schöpferin der Erfolgsserie Unorthodox – legt mit Transatlantic eine durchaus sehenswerte Netflix-Serie hin, die leider das Thema der Flucht und des Krieges ein wenig zu leicht nimmt und eher ins Wohlgefühl abrutscht, anstatt charakterlich in die Tiefe zu gehen.
Transatlantic: Vorsicht, die Nazis kommen
Marseille im Jahre 1940: In der südfranzösischen Hafenstadt wimmelt es von Geflüchteten aus ganz Europa. Darunter auch bekannte Persönlichkeiten und Künstler (Walter Benjamin, Max Ernst, usw.). Verzweifelt versuchen diese den Fängen von Nazi-Deutschland zu entkommen und Geld für Visa und Ausreise aufzutreiben.
Der US-Amerikaner Varian Fry (Cory Michael Smith) und die US-Society Lady und rich-girl Jayne Gold (Gillian Jacobs) helfen den Flüchtenden dabei zu entkommen. Mit dem Geld ihres Vaters versucht letztere allen zu helfen, während Fry sich um diejenigen kümmert, die auf der Most Wanted-Liste der Nazis stehen. In der Villa seines ehemaligen Geliebten versucht Fry alle Geflohenen zu versammeln. Trotz der allgemeinen Hoffnungslosigkeit wird der Ort zu einem Platz, wo das Leben gefeiert wird. Die Netflix-Serie basiert übrigens auf einer wahren Geschichte.
Transatlantic: Massentauglichkeit, Scorsese und weißgewaschene Kunst
Was sofort ins Auge sticht, ist die Massentauglichkeit der Netflix-Serie Transatlantic, welche uns entgegenschlägt. Jeder und jede, der oder die in letzter Zeit bei einer populären Serie oder einem teuren Film Regie führte, hat praktisch keine eigene Handschrift mehr. Die Produktionshäuser achten darauf, dass alles immer schon gleich bleibt.
Ein Problem, das vor allem durch den Kult-Regisseur Martin Scorsese an die Öffentlichkeit kommuniziert wurde – auch wenn es auch ohne dessen Kommentar offensichtlich sein sollte. Scorsese hat offen kritisiert, dass vor allem den Blockbustern etwas fehle, was fürs Kino eigentlich essenziell sein sollte: „Die vereinende Vision eines Künstlers. Und das, weil der individuelle Künstler das größte Risiko darstellt.“
Klar, in einer kalkulierten Welt ist der Künstler, die Künster*in aufgrund ihrer Individualität das größte Problem, bei der Schaffung einer allen zugänglichen Unterhaltung. Denn bei Kunst geht es ja gerade darum, anzuecken und anzustoßen, zu provozieren. Mit der leichten Verdaulichkeit einer wohl bekömmlichen Unterhaltung à la Blockbuster oder Netflix hat diese künstlerisch gewollte Irritation nichts mehr zu tun. Leider! Oder bedauerlicherweise im Sinne der Kunst. Wer eben nicht irritiert, herausgefordert und provoziert werden will, dem kommt dieses „Weißwaschen“ von Kunst, wie Jean Baudrillard vielleicht sagen würde, natürlich entgegen.
© Netflix
Transatlantic oder die Schwierigkeit, die Nazi-Zeit filmisch zu erzählen
Dieses Weißwaschen (bedeutet hier, die Entfernung des kritischen Stachels, wie Adorno und Horkheimer wohl sagen würden) ist ein Problem, mit dem viele Kriegs- und Weltkriegsfilme zu kämpfen haben. Aber natürlich auch die Serien. Was übrig bleibt, ist eine aalglatte Inszenierung.
Dies ist ein Problem, dass für viele vielleicht schwer zu verstehen ist, deshalb versuchen wir es mit einem Vergleich und direkten Beispielen. Denn Filme, die menschlich und tiefgreifend vom Krieg erzählen, gibt es nicht viele. Der schmale Grat von Terrence Malick wäre so ein Film, in dem man die Angst, die Verzweiflung spürt und vor allem, die Sehnsucht der Soldaten nach der Heimat.
Gut gemacht, aber nichts Neues
Über Transatlantic kann man nicht einmal sagen, dass die Serie schlecht ist. Sie ist durchaus gut gemacht. Sie unterhält ganz gekonnt. Aber man kann schon sagen, dass diese Netflix-Serie nichts Neues präsentiert, sondern immer nur altbekannte Elemente aufgreift, von der Flucht, vom Nationalsozialismus, vom Leben im Krieg und so weiter. Wobei gerade das problematisch ist.
Aktuelle Themen wie das Flüchtlingsdasein werden geschickt verwoben und die Gegenwart wird gekonnt an die Vergangenheit geknüpft. Dennoch sind diese Verbindungen eigentlich klar und zeugen nicht von so etwas wie Genialität. Denn auf der Flucht sein, ist ja immer schlimm. Das Warten auf das rettende Schiff (ist aktueller denn je). Dennoch wird in der Netflix-Serie Transatlantic gerade diese Furchtbarkeit nicht ausreichend gut dargestellt. Die Dramatik wirkt aufgesetzt, das Schlimme wird hier auf eine sterile Art präsentiert.
© Anika Molnar
Wie das Furchtbare darstellen?
In seiner genialen Analyse der Serie Squid Game bringt Wolfgang M. Schmitt einen autobiografischen Bericht von Primo Levi ins Spiel, Zeuge und Überlebender des Holocausts, und stellt beide „Erzählungen“ von Gewalt gegenüber. Es geht ihm um die Entmenschlichung des Gemetzels.
Während wir bei Primo Levi nach jedem Satz innehalten müssen, weil seine Beschreibungen uns so sehr treffen, oder vor einem Kunstwerk über das Kriegs- und Flüchtlingsthema von Ai WeiWei gebannt stehen bleiben und länger auf eine, von Kugeln durchlöcherten Tür aus Syrien starren müssen, weil diese eine menschliche Unmittelbarkeit vermittelt, bleiben die meisten filmischen Abhandlungen über dieses Thema nicht viel mehr als ein „konsumierbares Spektakel“, wie Schmitt feststellt.
Transatlantic und der fehlende Raum
Transatlantic leidet unter genau demselben Problem. Wir sehen keine wahrhaften Menschen, die eine empfindsame Geschichte haben. Es gibt einen Walter Benjamin (gespielt von Moritz Bleibtreu) doch dieser funktioniert nur als Schablone. Das reichhaltige Innenleben, das dieser Mensch geführt hat (was man auch nachlesen kann!) findet keinen Platz in Bleibtreus zurückhaltendem Spiel.
Das liegt jedoch nicht an Moritz Bleibtreus beschränkten Fähigkeiten, wir wissen, dass er ein großartiger Schauspieler ist. Es ist einfach die Netflix-Umrahmung, welche ihm keinen Raum gibt, um seine Fähigkeiten zu entfalten.
© Anika Molnar
Die Coolness des fliehenden Mannes
Ein anderes Beispiel: Es geht in der Serie Transatlantic um Leben und Tod. Alles klar. Die Figur Albert Hirschmann wurde mit mehreren Pässen erwischt und befindet sich mitten im Polizei-Verhör. Sein Schicksal scheint besiegelt. Doch wie durch ein Wunder wird Hirschmann (Lucas Englander) aus dem Gefängnis geholt und eine schöne, reiche Frau holt ihn in einem Mercedes ab. Er ist die ganze Zeit über ganz cool.
Während der Fahrt bzw. Flucht hat Hirschmann dann noch genug Charme, Humor und Esprit, um einen Flirt hinzulegen und weiter den coolen Mann zu spielen. Doch er spielt ihn nicht, er ist einfach so! Man kann sich nur fragen: Passiert so etwas wirklich? Dem Tod vielleicht entronnen und dann noch cool den Womanizer raushängen lassen?
Lässig aus dem fahrenden Auto sehen, als fahre man auf Urlaub, wo doch eigentlich die Wehrmacht hinter einem her ist und man so schnell wie möglich das Land verlasen müsste. Und bei der Kontrolle im Auto, bleibt der Flüchtende wieder sooo verdammt cool, wie die Leute aus der Werbung. Ist auf einer Flucht wirklich Zeit und Energie für so ein Verhalten?
Transatlantic: Zeit für Coolness
Das sollen die Zuseher*innen selbst entscheiden. Doch es ist diese Coolness, die zu oft so vieles unglaubwürdig macht. Denn was wir in den Filmen und Serien gesehen haben, zu oft, das ist, wie cool der Krieg doch ist, wie cool Sylvester Stallone, Schwarzenegger und wer auch immer, die Granaten jonglieren und in einer furiosen One-Man-Show ihre Feinde (die eindeutig Bösen) zu dutzenden niedermähen.
Wenn man nur eine kleine Ahnung hat, dann weiß man, dass Krieg oder Flucht so nicht funktionieren kann. Dass vor allem die Flucht als verfolgte Person aus einem Land so nicht funktioniert. In den Filmen und Serien hat man Zeit für diese Coolness, im echten Leben will man nur eines: Überleben. Wobei man auch noch versucht, mehr oder weniger nicht daran zu zerbrechen.
© Anika Molnar
Wenn man sich etwas ansehen will, von dem immer klar ist, dass es ein unterhaltendes Format ist, das nicht erschüttert, dann kann man sich Tranatalanic ansehen und wird begeistert sein. Wenn man aber etwas Tieferes sehen will, Menschlichkeit, ja dann wird man vielleicht enttäuscht sein. Als Unterhaltung funktioniert Transatalntic wunderbar. Die Frage ist jedoch, ob man über dieses Thema jetzt unbedingt genauso seicht unterhalten werden will wie in einem Marvel-Film.
Was traurig gut gezeigt wird, dass ist die Bestechlichkeit und die Tatsache, wie viel Menschen sich eigentlich and er Hoffnungslosigkeit Flüchtender schamlos bereichern! Es zeigt wieder eindringlich, dass Geld einfach alles schafft. Jeder hat seinen Preis.
Transatlantic: ein Fazit
Es kann sein, dass wir zu hart zu Transatlantic sind. Denn laut der Serienschöpferin Anna Winger geht es darin vor allem darum, wie Menschen selbst in schrecklichen Zeiten Freude finden können. Spannung, Melodrama und Screwball-Comedy werden miteinander verknüpft. Humor fungiert hier als Vehikel, um über etwas Schmerzhaftes zu sprechen, so die Idee. Und wer ihre Erfolgsserie Unorthodox kennt, der weiß, dass es Winger hauptsächlich um ein Wohlgefühl zu gehen scheint und nicht so sehr darum, die Empfindungsgrenzen der Zusehenden zu erweitern. Wie dem auch sei. Vielleicht jammern wir ja auf zu hohem Niveau. Für einen entspanntes Netflix and Chill Date ist Transatlantic allemal zu empfehlen.
Titelbild © Anika Molnar
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