Bono Vox, bekannt als Sänger einer der erfolgreichsten Rock-Bands aller Zeiten, U2, aber auch berüchtigt als politischer Aktivist, stöbert in seinen Erinnerungen und liefert uns eine der spannendsten Autobiografien der letzten Zeit.
U2, Bono und das unaufhaltsame Sliden durch den Kakao
Über Musikgeschmack lässt sich streiten. Die irische Erfolgsband U2, aber vor allem ihr Sänger Bono Vox, haben in den letzten Jahren sehr viel einstecken müssen. Nicht weil sie etwa in einen rassistischen oder MeToo-angehauchten Skandal verwickelt waren – man muss es sagen, sie sind immer brav gewesen, in jeder Hinsicht – sondern einfach nur… because.
Die letzten Alben waren alle – sagen wir es, wie es leider ist – scheiße. Aber das sollte man ihnen nicht unbedingt vorhalten. Warum? Es ereilte sie einfach dasselbe Schicksal, das viele, wenn nicht fast aller Bands ereilt. Sie altern schlecht, sind in ihrem Stil gefangen und reproduzieren am Ende ihrer Karriere immer nur dasselbe. Auch wenn man U2 eine Wandlungsfähigkeit nicht absprechen darf. Sie haben vor allem in den 1990er Jahren immer wieder bewiesen, wie wandelbar sie sind.
Alter Erfolg rostet nicht?
Man möchte meinen, diese Reproduktion desselben wäre gut – man macht einfach weiterhin das, womit man immer erfolgreich gewesen ist. Aber der schnelllebige Zeitgeist lässt es heutzutage einfach nicht mehr zu, dass Dinge, die vor Jahrzehnten noch der Shit waren, auch heute immer noch einschlagen wie Smash-Hits.
Sagen wir wieder, wie es ist: alte Stars leben hauptsächlich davon, dass sie von ihrem einstigen Erfolgen zehren. Bob Dylan geht es da nicht anders als U2. Er lebt von längst vergangenen Helden-Taten. Einzig Madonna ist jemand, der versucht mit der Zeit zu gehen. Klar: einmal mehr, einmal weniger erfolgreich, doch eine umtriebige Wandlungsbegabung kann man ihr nicht absprechen.
Aber zurück zu U2 und Bono: Was hat man sich nicht alles anhören müssen. Vor allem Bonos politischer Aktivismus war für viele Anlass zum Spot. Was eigentlich verwundert, da sich endlich einmal jemand engagiert gezeigt hat. Denn so ehrlich muss man sein, vor Bono haben sich Weltstars nicht wirklich für Charity — zumindest in diesen Ausmaßen — interessiert. Aber vermutlich hat er es einfach nicht richtig gemacht, zu preachy zu sehr auf der Welle des eigenen Erfolges.
Erfolg nutzen, um die Welt zu retten
Dabei hat er vermutlich nur versucht, seinen Erfolg und den der Band für so etwas wie Wandel positiv zu nutzen. Für viele Kritiker*innen wurde aus diesem Benutzen bald einmal Missbrauch. Dabei waren U2 nie ungut, sie waren einfach too much. Was aber mehr über die Gesellschaft aussagt, als über U2 und Bono, die sich wirklich bemüht haben, eine Message zu senden und etwas zu verändern.
Viele, die das Buch kritisieren, machen einen Fehler – sie hängen sich an bestimmten Dingen auf, die nichts mit der Sache zu tun haben. Wie zum Beispiel im Standard. Ja, es stimmt. Bono ist recht Bibel-kundig (wenn man das diplomatisch so sagen darf) und scheut auch nicht davor zurück, diese Kundigkeit in seiner Autobiografie kund zu tun.
Dies ist vor allem zu Beginn des Buches eher ungewohnt zu lesen, für mache vielleicht auch befremdlich – dabei sollte es doch gerade was die Religion betrifft, jedem erlaubt sein das zu handlen wie er oder sie das will. Das Problem liegt vermutlich darin, dass es die Bibel ist und nicht etwas ein anderer religiöser Text oder gar etwas über Tantra, denn in diese Richtung würde dann wohl keine Kritik aufkommen, aber das ist ein anderes Thema.
Übersättigung an Religiosität mündet in politisches Bewusstsein
Man schlägt das Buch auf und ja, die Religiosität darin ist ungewohnt – man liest die Geschichte eines Menschen, der immer noch glaubt und das ist schon etwas. Gerade zu Beginn wirken die Bono-Memoiren oft unerträglich pathetisch.
Doch nach etwa 50 Seiten – diese durchzuhalten, was für eine Erwartung an die Lesenden! – wird es besser. Denn Bono schildert sehr genau die Entstehungsgeschichte von U2, das Leben in Irland und auch die Entwicklung bzw. die Phasen der musikalischen Entwicklung von U2. Letzteres ist ein ziemliches Highlight, weil man wirklich sehr viel erfährt, wann, wo und wie genau es zu dem jeweiligen Song bzw. Album gekommen ist, wer es produziert hat und was da jetzt genau der neue Einfluss gewesen ist. Was Musik betrifft, kennt sich Bono sehr gut aus und verfügt auch über literarisches Talent, das auch poetisch gut zu beschreiben.
U2, IRA und die klare Positionierung
Vor allem erfährt man, dass das – oft kritisierte – politische Bewusstsein von U2 und Bono alles andere als aufgesetzt ist. Man hat es hier mit Menschen zu tun, die sich selbst ihre Meinungen bilden und diese dann auch so vertreten. Am Anfang ihres Erfolges hat die IRA nämlich versucht, den Erfolg der Band für ihre Zwecke zu missbrauchen. U2 hat sich sofort davon distanziert und klargestellt, dass es für sie nur Frieden geben kann. Das war in den 1980er Jahren, also eine Zeit, in der die IRA weltweit an Popularität gewinnen konnte und sich nicht wenige Stars dafür ausgesprochen haben (wie z.B. Mickey Rourke).
Bono war auch nie ein Elendstourist. Noch bevor U2 bekannt wurde und lange bevor der Weltruhm daherkam, hat Bono mit seiner Frau mehrere Wochen in Ethiopien in einem Zelt verbracht. Einfach nur, um mehr zu erfahren, über das Land, die Leute, aber auch über die Lebensumstände. Während viele Stars in Form von Band Aid die Hungersnöte mit einem Song lindern wollten, war Bono dort und hat diese erfahren oder es zumindest versucht. Das alles lange bevor Ruhm, Geld und Macht um die Ecke kamen. Klar, jetzt lässt sich praktisch schon ein jeder Star durch ein dritte Welt Land kutschieren und postet über die argen Verhältnisse.
Literarisch überzeugend mit leichten Schwächen
Bono offenbart sich in seinem Surrender als ein ehrlicher und reflektierter Mensch. Während andere Stars über ihre Lifestyle-Probleme sich echauffieren, wie zum Beispiel Zlatan Ibrahimović in seiner Autobiografie, schreibt Bono über die Schuldenentlastung der Dritten Welt, den Weltfrieden, das Klima, die Flüchtlingspolitik und mehr. Klar, seine Steuerflucht aus dem ohnehin schon Steuer-freundlichen Irland in das Briefkastenparadies Holland ist da ein Gegenpol. Doch warum sich genau darauf aufhängen?
Surrender überzeugt auf literarischer Ebene und bietet Hintergrundgeschichten, die auch für nicht U2-Fans interessant sind. Es ist oftmals wie eine musikalische Reise in die 1980er und 1990er Jahre und vor allem Musikhistorisch gelingt es Bono überzeugend, die Musikrichtungen und auch die Entwicklung der Band gut einzuordnen. Klar werden so ziemlich alle Berühmtheiten erwähnt, denen Bono über die Jahrzehnte über den Weg gelaufen ist. Der Papst, Obama und dergleichen, sodass er schon phasenweise am Namedropping vorbeischrammt, wenn er kundtut, wie er mit Bill Clinton und Co per du ist … However.
Alles in allem, und auch trotz mehrerer Makel und religiöser Übersättigungen ist Bonos Autobiografie Surrender. 40 Songs, eine Geschichte ein geradezu episches Werk, dem teilweise eine Kürzung gutgetan hätte. Dennoch ist es aber auch die gelungene Einladung in die Nachzeichnung eines Lebensweges, der es wert ist verfolgt zu werden. Wer nicht nur etwas über U2, sondern vor allem etwas über die Musik der 1980er und 1990er erfahren will, der ist hier bestens aufgehoben. Und wenn man sich von den religiösen Untertönen nicht allzu sehr stören lässt, dann ist die Bono-Autobiografie trotz Länge ein extrem lesenswertes Buch.
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